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Russland: Noch nie so viele Verletzte bei Meteoriteneinschlag

Es ist der erste Meteoriteneinschlag der Menschheitsgeschichte mit so vielen Verletzten. Wieso wurden die Menschen nicht gewarnt? Kann so etwas auch in Deutschland passieren? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Ein Kondensstreifen am Himmel, ein rasender Lichtblitz, ein Ohren betäubender Knall. Fensterscheiben bersten, Alarmanlagen heulen auf. Viele Einwohner der russischen Stadt Tscheljabinsk glauben zunächst an einen Flugzeugabsturz. Doch was sich um 9 Uhr 20 Ortszeit über dem Ural abspielt, ist ein seltenes und zerstörerisches Naturereignis: Ein Meteoritenregen geht über der Region nieder. Insgesamt sollen etwa 1000 Menschen verletzt worden sein, viele von ihnen müssen in Krankenhäuser eingeliefert werden. Die meisten von ihnen haben Prellungen, Schnitt- und Splitterwunden erlitten.

Wie haben die Menschen den Einschlag erlebt?

„Ich unterrichtete gerade Sport in unserem Kindergarten, da sah ich durch das Fenster am Himmel einen weißen Streifen, dann gab es einen hellen Blitz“, erzählt die Erzieherin Ljudmila Belkowa, „ich rief den Kindern zu: Legt euch auf den Boden! Macht die Augen zu! Dann folgten fünf oder sechs Explosionen.“ Die Druckwelle zerstört alle Fensterscheiben. Die Erzieher bringen die Kinder in die Turnhalle. „Wir haben ihnen Musik angestellt, versucht, sie abzulenken.“ Vielerorts bricht Panik aus. Handy-Videoaufnahmen zeigen Jugendliche in einer Schulkantine, die schreiend durch Glassplitter laufen, einige bluten. „Das war so eine Explosion wie bei der Atombombe im Film Terminator“, berichtet Michail Schtajura aus Tscheljabinsk schockiert.

Die Druckwelle ist von großer Hitze begleitet. Augenzeugen berichten von einem metallischen Geschmack im Mund. Manche haben Angst vor Radioaktivität. „Bei meiner Schwiegermutter landete ein Brocken auf dem Balkon. Sie macht sich große Sorgen, ob das strahlt“, erzählt Jewegenija Repnikowa. Nach Angaben des Katastropheministeriums wurde aber keine erhöhte Radioaktivität festgestellt. Schnell tauchen die ersten Bilder und Videos des Meteoriten im Netz auf, ein weißer Blitz ist darauf zu sehen, gefolgt von einem Kondensstreifen.

Welche Dimension hatte der Einschlag?

Wohl noch nie hat es in der Geschichte der Menschheit einen Meteoriteneinschlag mit vielen Verletzten gegeben. „Das ist das erste Mal, dass das passiert ist - zumindest soweit wir das dokumentiert haben“, sagte Detlef Koschny, Experte der Europäischen Weltraumorganisation (Esa). Bislang ereigneten sich größere Einschläge abseits größerer Ortschaften wie 1908 in Sibirien am Fluss Tunguska. Nach ersten Erkenntnissen der Russischen Akademie der Wissenschaften war der Himmelskörper, der jetzt mit einem Knall über Tscheljabinsk explodierte, von einem anderen Kaliber als seinerzeit der Tunguska-Meteorit. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Meteorit mehrere Meter groß und Dutzende von Tonnen schwer gewesen sein muss.

Er schlug mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 Kilometern pro Sekunde in die Erdatmosphäre ein. Auf einer Höhe von 30 bis 50 Kilometern über der Erdoberfläche explodierte der Meteorit. Die Bewegung seiner Fragmente mit großer Geschwindigkeit habe das Leuchten und den starken Knall ausgelöst. Das Epizentrum der Explosion habe sich etwas südlich von Tscheljabinsk befunden. Größere Teile des Meteoriten sollen in einen See gefallen sein. Es gibt Bilder von einem abgesperrten Loch im Eis. Rund 20000 Retter des Katastrophenministeriums und 10000 Polizisten sind in Tscheljabinsk im Einsatz. Sie sollen möglichst viele Fragmente des kosmischen Brockens sicherstellen. Wissenschaftler erwarten sich davon wertvolle Hinweise.

Der Meteoritenregen von Tscheljabinsk traf die Erde ohne Vorwarnung. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sind Tag für Tag mehrere Tonnen von Meteoriten-Teilchen in Richtung unseres Planeten unterwegs. Nur ein Zehntel davon trifft allerdings die Erdoberfläche. Entsprechend schwierig ist es, ein Frühwarnsystem einzurichten. In verschiedenen Ländern, darunter in Russland, würden Systeme zur Beobachtung der Bahnen von Himmelskörpern existieren, doch sie seien bisher ungenügend entwickelt, sagte Oleg Malkow, Abteilungsleiter am Institut für Astronomie der Russischen Akademie der Wissenschaften. Meist werden nur ganz große Brocken erfasst. Und selbst dann ist es schwierig, die Bahn des Geschosses zuverlässig vorherzusagen.

Kann so etwas auch in Deutschland passieren?

Ist der Ural besonders gefährdet?

Sergej Smirnow vom Pulkowo-Observatorium in St. Petersburg widersprach der in Russland verbreiteten Auffassung, gerade die Uralregion und Sibirien seien überdurchschnittlich oft von Meteoriten-Einschlägen betroffen. „Die meisten Meteoriten fallen irgendwo in den Ozean“, so der Wissenschaftler, „viele landen auch im ewigen Eis der Arktis und Antarktis.“ Forscher, die zu Untersuchungszwecken große Eisbrocken geschmolzen hätten, seien dabei häufig auf eingeschlossene Meteoriten-Fragmente gestoßen. In Tscheljabinsk ist die Angst vor einem weiteren Schlag aus dem Kosmos dennoch groß, auch wenn es bislang keine konkreten Anzeichen dafür gibt. Das russische Katastrophenministerium gab vorsorglich Tipps für richtiges Verhalten: Die Einwohner sollen sich mit ausreichend Wasser und Lebensmittelvorräten ausstatten, sich von den Fenstern fernhalten und diese möglichst zukleben, hieß es.

Kann so etwas auch in Deutschland passieren?

In Deutschland besteht nach Angaben des Bundesinnenministeriums derzeit keine konkrete Gefährdung durch Meteoriten. Allerdings träten wöchentlich Weltraumtrümmer in die Erdatmosphäre ein. „In den letzten Jahren betrug die Gesamtmasse etwa 60 bis 80 Tonnen pro Jahr“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Satellitenabstürze und Gefahren durch Meteoriten ließen sich generell nicht vermeiden. „Bislang gibt es noch keine Technologien, um die einzelnen Satelliten einzufangen“. Ein Krisenzentrum beobachte ständig die Lage, da dadurch Katastrophen und Schäden an kritischer Infrastruktur ausgelöst werden könnten. Vor knapp 13 Jahren wurde hierzulande der Einschlag eines Meteoriten verzeichnet, der allerdings weit weniger spektakuklär verlief als die jüngsten Ereignisse in Russland: Im April 2002 wurde über Bayern eine ungewöhnlich helle Feuerkugel gesichtet. Später fand man mehrere Bruchstücke dieses gut sechs Kilo schweren Brockens, der nach dem Ort seines Auftauchens Neuschwanstein-Meteorit genannt wird. Durch den Einschlag kam niemand zu Schaden.

Hat der Einschlag etwas mit dem Asteroiden zu tun, der Freitagabend an der Erde vorbeifliegt?

Der am Freitag über Russland abgestürzte Meteorit hatte nach Worten eines Nasa-Experten nichts mit dem Asteroiden zu tun, der am Freitagabend an der Erde vorbeifliegen soll. „Das ist ein faszinierender Zufall. Aber er erinnert uns daran, was da draußen noch so alles rumfliegt und von uns erforscht werden soll“, sagte Dante Lauretta am Freitag im Informationskanal der US-Weltraumbehörde Nasa am Freitag. „Die beiden Objekte haben jedoch definitiv nichts miteinander zu tun, weil sie aus ganz unterschiedlichen Ecken des Sonnensystems kommen.“

Am Freitagabend rast der kleine Asteroid 2012 DA14 in einem Abstand von nur 27 700 Kilometern an der Erde vorüber. Es ist die bislang engste Begegnung mit einem anderen Himmelskörper, die von Astronomen vorhergesagt wurde. Die Flugbahn des Asteroiden durchquert damit sogar den Bereich, in dem sich die beispielsweise für die Telekommunikation zuständigen geostationären Satelliten befinden.

Der etwa 45 Meter große kosmische Felsbrocken wurde am 23. Februar 2012 von einem automatischen Teleskop auf Mallorca im Rahmen eines Suchprojekts nach erdnahen Objekten aufgespürt. Solche „Near Earth Objects“, kurz NEOs, stellen eine potenzielle Bedrohung für die Erde dar. „Wir schätzen, dass wir erst ein Prozent aller Körper kennen, die größer als 50 Meter sind – vermutlich gibt es Millionen davon“, erklärt Detlef Koschny, der das NEO-Suchprogramm der europäischen Raumfahrtorganisation Esa leitet.

Die Berechnungen der Astronomen zeigen, dass 2012 DA14 in absehbarer Zeit keine Gefahr darstellt. Zwar liegt seine Umlaufbahn nahe am Orbit der Erde. Doch die nächste Begegnung findet erst am 16. Februar 2046 statt – und dann mit einem respektvollen Abstand von etwa einer Million Kilometern. (mit rtr/dpa/AFP)

Rainer Kayser

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