Zehn Jahre nach Hurrikan Katrina: New Orleans – eine gespaltene Stadt
Jünger und weißer: Hurrikan „Katrina“ hat vor zehn Jahren der schwarzen Mittelschicht schwer geschadet. Beim Wiederaufbau gewannen Unternehmensgründer und Touristen.
Armut, Ungleichheit und Rassismus sind in den USA seit Monaten leidenschaftlich diskutierte Themen. Doch nicht erst seit den Demonstrationen gegen weiße Polizeigewalt in schwarzen Wohnvierteln steht die Frage, warum junge schwarze Männer eher Gefängnisse als Universitäten bevölkern, ganz oben auf der Tagesordnung. Um die Frage, wie Schwarz und Weiß zusammenleben wollen und können, ging es schon, nachdem am 29. August 2005 der Hurrikan „Katrina“ über New Orleans und die Golfküste im Süden der USA hinweggefegt war. Zwischen 1100 und 1800 Menschen starben. Über die Zahl der Toten gibt es bis heute keine Einigkeit.
Dabei war „Katrina“ zunächst weniger eine soziale Katastrophe als vielmehr eine Naturkatastrophe. Der gewaltige Wirbelsturm wird vom Rückversicherer Munich Re als teuerster Sturm geführt. 125 Milliarden Dollar volkswirtschaftlicher Schäden hat „Katrina“ nach Berechnungen der Munich Re hinterlassen, die versicherten Schäden lagen bei 62 Milliarden Dollar. Auch der zweitteuerste Hurrikan hat die USA getroffen. 2011 war „Sandy“ sogar bis nach New York und New Jersey gezogen und hatte dort Schäden in Höhe von 68,5 Milliarden Dollar verursacht, von denen lediglich 29,5 Milliarden versichert waren.
Eine Katastrophe mit sechs Tagen Ankündigung
Seit dem 23. August 2005 wussten Behörden und Bewohner entlang der Küste des Golfs von Mexiko, dass ein Hurrikan im Anmarsch war. „Katrina“ bildete sich nahe den Bahamas und zog zunächst auf Florida zu. Doch die eigentliche Katastrophe begann, als „Katrina“ sich längst zu einem Tropensturm abgeschwächt hatte und von New Orleans ins Landesinnere zog. Die gewaltigen Regenfälle und die Flutwelle vom Golf, die ausgelöst wurden, waren mehr als die maroden Flutsicherungswälle von New Orleans, das zur Hälfte unter dem Meeresspiegel liegt, verkraften konnten. 80 Prozent der Stadt standen unter Wasser. Hunderttausende Menschen verloren ihre Wohnungen oder Häuser. Die Evakuierung der Stadt verlief chaotisch, niemand war auf die Sturmflüchtlinge vorbereitet, in New Orleans machte sich Anarchie breit. Die nationale Katastrophenschutzbehörde Fema versagte ebenso wie regionale oder lokale Institutionen. Fast die Hälfte der damals 440 000 Einwohner musste die Stadt verlassen, rund 100 000 sind bis heute nicht zurückgekehrt, obwohl in der Stadt inzwischen wieder knapp 400 000 Menschen leben.
Am Donnerstag hat Präsident Barack Obama das mehr oder weniger wiederaufgebaute New Orleans besucht. Er fand eine andere Stadt vor, als sie es vor der Katastrophe war: Sie ist jünger, besser gebildet, hispanischer, weißer – und es herrscht mehr Ungleichheit. Zwar bilden die Schwarzen noch immer die Mehrheit. Nach Angaben des Data-Centers New Orleans leben derzeit 59 Prozent Schwarze in der Stadt, vor „Katrina“ waren es 64 Prozent gewesen. Doch der große Unterschied zu damals ist: Die schwarze Mittelschicht stirbt aus. Zwar waren auch vor „Katrina“ vor allem die Schwarzen arm. Aber sie waren in Mittelklasseberufen, vom Arzt bis zum Ingenieur, gut vertreten. Heute ist die schwarze Mittelklasse gealtert, und die Jungen fehlen.
Die Schwarzen fühlen sich ausgegrenzt
Zum Jahrestag hat die Universität Louisiana eine Umfrage unter mehr als 2000 Einwohnern von New Orleans zum Wiederaufbau vorgelegt. Vier von fünf der befragten Weißen finden diesen gelungen und halten ihn für abgeschlossen. Dagegen sagen drei von fünf Schwarzen, dem sei nicht so. 41 Prozent der Weißen loben die Lebensqualität nach dem Sturm als besser. Ein Drittel der Schwarzen ist davon nicht überzeugt. Die Armen und die Schwarzen waren von der Flut nach „Katrina“ härter getroffen als diejenigen, die sich Häuser in höheren Lagen hatten leisten können. Schon in den ersten zwei Jahren des Wiederaufbaus sind 20 000 Sozialmieter einfach „ausgesperrt“ worden, schrieben die beiden Sozialforscher Christian Jakob und Friedrich Schorb von der Universität Bremen in einer Studie 2008. Die Sozialbauten seien abgesperrt und später abgerissen worden. Häftlinge aus den Gefängnissen kehrten nicht in die Stadt zurück, sondern sind ganz weggezogen. Das hat allerdings die Kriminalitätsrate nicht gesenkt, wie Bürgermeister Mitch Landrieu beklagt.
Die Mieten sind dramatisch gestiegen
Für die Armen war es besonders schwierig, in ihre Heimat zurückzukehren. Nach Angaben des Data-Centers zahlen 37 Prozent der Einwohner der Stadt mehr als die Hälfte ihres Bruttoeinkommens für die Miete oder den Hauskredit. Vor dem Sturm waren es 24 Prozent. 39 Prozent der Kinder gelten als arm, in den ganzen USA liegt der Anteil bei 22 Prozent.
Durch den starken Zuzug junger Unternehmensgründer und die Konzentration auf den Tourismus in New Orleans sind die Mieten deutlich gestiegen. Die Schwarzen fühlen sich zunehmend ausgegrenzt. In der Umfrage der Universität Louisiana sagten 55 Prozent der Weißen, die Schulen seien besser als vor der Katastrophe. Nur 34 Prozent der Schwarzen sehen das genauso. Direkt danach sind sämtliche 4600 Lehrer, viele davon schwarz, entlassen und nur teilweise wieder eingestellt worden. Auch darüber diskutiert New Orleans bis heute.
Schutzräume, Mauern und ein Plan
Rund zehn Milliarden Dollar haben die USA seit „Katrina“ ausgegeben, um New Orleans besser vor Flutkatastrophen zu schützen. 2,9 Kilometer Flutmauern in einer Höhe von bis zu acht Metern sind neu gebaut worden. Im Gegensatz zur Zeit vor „Katrina“ gibt es nun klare Verantwortlichkeiten, wer die Mauern zu warten hat. Als Hurrikan „Gustav“ 2008 auf New Orleans zuraste, haben die Flutmauern ihren ersten Praxistest bestanden. Damals wurde auch der neue Evakuierungsplan getestet. Inzwischen hat das Rote Kreuz der USA 61 000 Schutzräume für Notfälle geschaffen. Es gibt eine Internetseite, auf der Eltern nach ihren verlorenen Kindern suchen können und umgekehrt. Das gab es vor zehn Jahren noch nicht.
Die Debatte, ob der Klimawandel Häufigkeit und Intensität von Hurrikanen erhöht, ist nicht abgeschlossen. Höhere Meeresspiegel und Oberflächentemperaturen haben Auswirkungen auf Wirbelstürme – auch wenn sich nicht vorhersagen lässt, welche genau.