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Deutschland drumherum (1): Mit Polonia Dortmund ins Finale

Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken und erzählt von seiner Reise. Mit polnischen Fans Borussia Dortmund zuzujubeln ist sicher kein schlechter Auftakt.

Die Bar Neptun auf der Insel Wollin in der Województwo Zachodniopomorskie, das ist das, was wir Westpommern nennen, ist an diesem Abend zwar nicht in schwarz-gelb getaucht, aber voll, und keiner ist da, der Real Madrid doch noch die Wende im Champions League gegen Borussia Dortmund wünscht. Die Dortmunder, das am Rande, setzen ja gerade fort, was im Ruhrgebiet schon lange Tradition ist, nämlich, dass die Kuzorras und Szepans die Helden sind, die allerdings waren es auf Schalke, was die Dortmunder sicher nicht so gerne hören. Die Tradition: Eingewanderte aus Gebieten, die heute Polen sind, waren es, die den Bergbau auf Vordermann brachten und den Fußball auch. Der Bergbau ist so gut wie passé, aber der Fußball lebt auch dank Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski, Lukasz Piszczek und wer nicht noch alles mit polnischem Migrationshintergrund oder direkter Herkunft für Borussia Dortmund die Champions League und damit den Himmel erobern will. Deswegen sind sie hier, wegen ihrer Helden, noch ist Polen lange nicht verloren.

Ob jetzt nun alle Polen, wie es heißt, abgöttische Liebhaber von Borussia Dortmund sind, kann ich an diesem Abend nicht beurteilen, ich bekomme nur die Stimmung in der Bar Neptun mit. Und die kreischt auf, wenn Lewandowski am Ball ist, die leidet mit, wenn er den Ball nur an die Latte knallt. Sie zittert aber auch in den letzten Minuten des Spiels, und da zittert sie nicht nur für die Landsleute.

Dass Polen sich versammeln, um eine deutsche Fußballmannschaft ohne Groll zu beobachten und ihr sogar zujubelt, ist gewiss nicht der schlechteste Auftakt einer langen, langen Reise, die genau das erkunden will: Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Nun, da Europa im Zentrum der Gedanken, Gefühle und Debatten steht wie noch nie, nun, da um Europa gestritten wird, wie es in den besten Familien vorkommt, in der wir im Mittelpunkt stehen, nicht immer und überall gut gelitten. Von abgrundtief dümmlichen Karikaturen einer Frau Hitler in unserem Kanzleramt, muss dabei nicht geredet werden. Wie sehen uns unsere unmittelbaren Nachbarn, die Polen und Tschechen, die Österreicher, wenn sie bei der Frage mal nicht an Fußball denken, die Schweizer, wenn sie nicht im Verkauf von CD's involviert sind, die Luxemburger (dito), die Belgier, die Niederländer (für die dass gleiche gilt, wie für die Österreicher, den Fußball betreffend, meine ich), die Dänen, die es auch noch gibt als unmittelbare Nachbarn?

Dazu umkreise ich Deutschland, 3400 Kilometer Grenze, ich bewege mich außen herum, in den Nachbarländern, etwa die Hälfte werde ich mit Regionalzügen zurücklegen, mit Bussen, als Tramp, auf Schiffen. Den Rest, also die andere Hälfte, ich wiederhole, die andere Hälfte, zu Fuß. Mit Rucksack auf dem Rücken. Und Wanderstöcken in der Hand. Der Rest, um es noch einmal deutlich zu sagen, sind 1700 Kilometer, zwei Monate gebe ich mir dazu.

Der Start am vergangenen Montag war weniger heroisch. Als ich ausstieg aus dem Zug, der mich von Berlin zum Start- und Zielort Świnoujście (dt Swinemünde) brachte, floss da zunächst mal die Swine. Und eine Fähre stand bereit. Kostenlos für die Bewohner des Küstenstädtchens, kostenlos auch für ihre Besucher. Ist das Verrat an der Sache, wenn ich sage, dass ich nicht übers Wasser laufen kann, nicht einmal im erzkatholischen Polen? Die Wanderung fing an, ich gestehe, mit einer zehnminütigen Fährfahrt. Ging aber weiter mit einem Gang durch die Stadt, vorbei an Vorgärten, in denen es vor Gartenzwergen nur so wimmelt (bin ich nicht der aus dem Land der Gartenzwerge?), bis runter zum Strand der Ostsee.

Ein paar Meter weiter links mit Blick auf das Meer ist das Seebad Ahlbeck zu sehen, Grenzgebiet eben. Erstes Erstaunen in den Kneipen an der Promenade: Man trinkt hier Bier mit dem Strohhalm. Das Bier ist warm. Doppeltes Grausen. Man wird aber auch gefragt, ob man ein kaltes Bier haben will. Und das große Bier kostet sieben Zloty, das sind nicht einmal zwei Euro. Zweiter Eindruck: Der bestätigt das Klischee. Der Pole isst gerne schwer. Das Schaschlik aus gegrilltem Schweinebauch liegt noch am nächsten Morgen beim Weg nach Wollin drückend im Magen. Nach 30 Kilometern ist es erst abgearbeitet. Jetzt müsste alles leichter werden.

Helmut Schümann

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