Großbritannien: Mit eigener Handschrift
Die Tageszeitung „Guardian“ hat vor dem obersten Gericht erzwungen, dass die britische Regierung 27 Briefe von Prinz Charles an Labour-Minister herausgeben muss. Die Veröffentlichung der Schreiben ist politisch heikel. Von unserem Korrespondenten aus London
Noch weiß niemand, was in den 27 handschriftlichen, mit dicker schwarzer Tinte geschriebenen Briefen oder Memos steht. Prinz Charles hatte sie 2004 und 2005 eigenhändig und, wie es hieß, „privat“ an sieben verschiedene Minister der damaligen Labour-Regierung geschrieben – wohl um ihnen die Meinung zu sagen. Oder, wie einige vermuten, seine privilegierte Position dazu zu nutzen, Einfluss auf ihr Denken und demokratische Entscheidungsprozesse zu nehmen.
Nicht mal die Richter kennen die Briefe
Bald dürfen es die Briten im „Guardian“ nachlesen. Nicht einmal der britische Supreme Court, das höchste Verfassungsgericht, weiß, was darin steht. Nach einem zehnjährigem Rechtsstreit um ihre Veröffentlichung nach dem britischen Gesetz über Informationsfreiheit gab das Gericht am Donnerstag der Zeitung „Guardian“ Recht, die auf die Herausgabe gedrungen hatte. Mit dem Argument, die Regierung könne sich kein Vetorecht gegen ihre eigenen Gesetze anmaßen, machten die Richter Versuche der Regierung zunichte, die Herausgabe der „Spinnenmemos“ zu verhindern, wie die oft seitenlangen Briefe wegen der krakeligen Handschrift des Prinzen heißen. Die höchsten Richter entschieden 5 zu 2. Nun hat die Regierung 30 Tage Zeit für die Herausgabe.
Heikle politische Einmischung
Doch die Veröffentlichung ist heikel. Werden die Briefe die Eignung des Thronfolgers für den royalen Spitzenjob untergraben, wie Monarchisten nun fürchten und britische Republikaner hoffen? Den Republikanern zufolge werden die Briefe zeigen, dass die Monarchie keine apolitische und harmlose Kraft, sondern ein im Geheimen operierendes Machtzentrum ist. Der ehemaliger Justizminister Dominic Grieve hatte diese Vermutung geschürt, als er die Blockade mit dem Argument begründete, ihre Veröffentlichung würde Charles’ zukünftige Rolle als König „schwer beschädigen“. Laut Graham Smith, Chef der Kampagne „Republik“, werden die Briefe zeigen, dass die Monarchie eine „ernst zu nehmende politische Macht hat“. Einer der Labour-Minister, der solche Briefe empfing, der frühere Europaminister Denis MacShane, warnte per Twitter vor Enttäuschungen: „Habe als Minister Charles’ Briefe gesehen. Fürchte, Journalisten und Bürger werden enttäuscht sein, wie so oft von SKH“ (Seiner Königlichen Hoheit).
Schon mal Bauprojekt verhindert
Der bisher bekannteste Fall einer königlichen Einmischung in öffentliche Angelegenheiten war Charles’ Kampagne gegen einen Wohnblockbau in Londons Edelstadtteil Chelsea. Charles hatte nicht nur den Bauherrn, den mit ihm befreundeten Emir von Katar, beiseite gezogen und ihm das Bauvorhaben ausgeredet, sondern hatte auch über verschwiegene Kanäle beim Stadtplanungsamt seiner Stimme Gehör verschafft. Londons Architekten liefen Sturm. Heute sind viele Londoner dem Thronfolger wohl eher dankbar.
„Der ,Guardian’ tut der Öffentlichkeit keinen Gefallen mit seiner Kampagne“, sagte Patrick Holden, ein mit Charles befreundeter Bauer, dem „Guardian“. „Es ist das Recht eines Prinzen von Wales, mit Ministern einen privaten Briefwechsel zu führen“. „Guardian“-Chef Alan Rusbridger dagegen sagte: „Ein guter Tag für Transparenz in der Regierung, der zeigt, wie wichtig es ist, unabhängige Gerichte und eine freie Presse zu haben.“
Der gelassene Prinz
Charles selbst will seiner Biografin, der US-Journalistin Catherine Mayer, zufolge auch als Monarch nicht mit seiner Meinung hinterm Berg halten. „Die Welt verbessern“ sei ihm so wichtig wie der Thron, argumentiert sie. Charles selbst ließ durch seine Pressestelle wissen, er sehe der Veröffentlichung der Briefe „gelassen“ entgegen. Aber man bedauert auch, „dass das Prinzip der Privatheit nicht aufrechterhalten wurde“.