Matthias Maurer fliegt im nächsten Jahr ins All: "Meine Schmutzwäsche verglüht im Weltall"
Der deutsche Astronaut über sein Training für den Flug, die Arbeit und den Alltag auf der Umlaufbahn.
Der Saarländer Matthias Maurer fliegt im kommenden Jahr als nächster Deutscher ins All. Im Interview mit dem Tagesspiegel verrät er, wie die Pandemie seinen Trainingsalltag beeinflusst, was er am liebsten auf die ISS mitnehmen würde und wie kompliziert es sein wird, im Weltraum auf Toilette zu gehen.
Herr Maurer, Sie bereiten sich seit Mitte Mai in Houston auf die All-Mission vor. Was bekommen Sie eigentlich von Corona mit?
So einiges, ich verfolge ja die Nachrichten. Wir trainieren hier in Houston nur mit FFP2-Maske, auch die Ausbilder in den unterschiedlichen Trainingsgruppen tragen Mund- und Nasenschutz. Die NASA legt sehr viel wert darauf, dass wir geschützt sind.
Ist das nicht unglaublich anstrengend?
Ja, es ist schon ein bisschen anstrengender. Aber das Training läuft uneingeschränkt weiter.
Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen?
Sehr gemischt. Ab 8 Uhr fängt hier mein Unterricht an und geht dann bis 17 Uhr. Danach habe ich Sport. Manche Tage sind aber auch intensiver. Einmal im Monat bin ich im Raumanzug unter Wasser. Das sind dann sechs Stunden am Stück, ab 6 Uhr morgens bereite ich meine Instrumente und Geräte vor, die ich dann späterim Tauchbecken benötige.
Ist das Unter-Wasser-Sein der Schwerelosigkeit am Ähnlichsten?
Ja. Wir trainieren unter Wasser Außenbordeinsätze im All. Der Anzug ist aufgeblasen, man fühlt sich wie ein Michelin-Männchen. Sie müssen die Hände und Arme permanent gegen einen Widerstand bewegen. Das ist sehr anstrengend. Wenn man abends rauskommt, ist man reif fürs Wochenende.
Was werden Sie im All untersuchen?
Das Wichtigste sind die medizinischen und wissenschaftlichen Experimente. Wir versuchen z.B. herauszufinden, wie man Medikamente entwickelt, die immer ausgefeilter und besser werden. Ein Vorzeigebeispiel ist die Duchenne-Muskeldystrophie, bei der man beim Medikament dank Erkenntnissen aus All-Experimenten bereits in der klinischen Testphase ist. Die Erkrankung, von der vor allem Jungen betroffen sind, wird wie viele andere durch Proteine im Körper ausgelöst. Japanische Forscher haben Proteine im All in eine Kristallform gezüchtet, um später auf der Erde die Struktur mit einem Röntgengerät analysieren zu können. So ließ sich ein Schlüssel entwickeln, der die Proteine ausschaltet. Der Knackpunkt: Eine stabile Kristallform lässt sich nur unter Schwerelosigkeit erzeugen.
Ist in der Schwerelosigkeit alles anders?
Ja. Schwer und leicht gibt es da nicht. Das Öl weiß gar nicht, dass es leichter ist als Wasser. Die Phänomene wirken anders. Das sind Dinge, die wichtig sind für unsere technischen Prozesse auf der Erde.
Beispiel?
Wenn Sie einen Motorblock oder eine Flugzeugturbine herstellen wollen, möchten Sie möglichst wenig Material verwenden, aber gleichzeitig die besten Eigenschaften aus dem Material herausholen. Die Ingenieure wollen sich also der idealen Herstellungsweise in Computersimulationen nähern. Dafür brauchen sie Parameter, die Sie unter den Bedingungen des Weltraums in ihrer reinsten Form erhalten.
Warum lernen Sie eigentlich Russisch?
Bislang sind wir immer mit dem Raumschiff Sojus geflogen, die Hälfte des Astronautentrainings war in Russland, die andere Hälfte in den USA und ein paar Wochen noch in weiteren Zentren. Da war Russisch definitiv Pflicht. Man musste in der Sojus-Kapsel die Prozeduren ja auf Russisch lesen und verstehen. Mit Thomas Pesquet fliegt nun der erste Europäer im kommenden Jahr mit einer amerikanischen Kapsel. Die NASA lotet gerade aus, wie viel Russisch ein Astronaut noch können muss. Ich lerne es aber gerne, weil es Spaß macht und mir bei der Kommunikation mit meinen russischen Kosmonautenkollegen hilft.
Wollten Sie eigentlich schon immer ins All?
Der Traum zu fliegen war von Kind auf da. Der Wunsch, Astronaut zu werden, kam erst als Erwachsener. Ich hatte mich dafür interessiert, aber dann hatte ich bei der ESA geguckt und dachte: Oh, die stellen nur alle 15 Jahre Leute ein. Das war dann erst mal erledigt. Bis zum Tag im Jahr 2008. Da hörte ich im Fernsehen: „Die ESA sucht neue Astronauten.“ Ich dachte: Jetzt oder nie.
Und jetzt stehen Sie kurz vor dem Höhepunkt Ihrer Karriere. Wann ist es denn so weit?
Das kann man noch nicht so genau sagen. Mein französischer Team-Kolleg Thomas Pesquet fliegt voraussichtlich Ende März. Ich bin in einer Back-Up-Position. Das bedeutet, dass ich bei Problemen für ihn einspringen kann und dann auch hoffentlich bei der nächsten Kapsel, die von hier aus startet, zur ersten Besatzung gehöre.
Also nur noch eine Frage der Zeit?
Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass ich Ende nächsten Jahres da oben sein werde.
Wie kann man sich das Leben im All vorstellen?
Sechs Monate zu siebt in einem abgeschirmten kleinen Raum, ungefähr so groß wie der Innenraum einer Boeing 747. Oben, unten, rechts und links ist Wissenschaftsfläche. Jeder Schrank ist ein Labor. Wenn ich ein Experiment mache, krame ich Kabel und Versuchsbehälter aus und baue sie gemäß Anleitung auf. Wenn ich fertig bin, funke ich runter zur Erde und gebe Bescheid. Von unten aus steuern sie dann den Versuch. Den ich im Anschluss wiederum abbaue. Es kann auch sein, dass ich etwas reparieren muss, wenn was schiefläuft.
Was kann denn alles schieflaufen?
So ziemlich alles. Wenn Ihnen auf der Erde was auf den Boden fällt, nehmen Sie einfach ein Tuch und wischen es weg. Im Weltraum muss ich erst mal ein Buch aufschlagen: Was ist da jetzt eigentlich entwichen? Wie kann ich das einfangen? Vielleicht muss ich die Lüftung stoppen, die Notfalltaste drücken. Dann geht die rote Lampe im Kontrollzentrum an. Alle Ingenieure springen an die Konsolen, denken „Ui,ui,ui, wir haben eine Ausnahmesituation.“ Ich muss also auf alles vorbereitet sein. Auch auf Dinge wie: Wie benutze ich die Toilette?
Ja, erzählen Sie doch mal! Wie benutzen Sie denn die Toilette?
Wenn alles gut geht, werden wir bald vier statt jetzt zwei Toiletten an Bord haben. Die Auswahl ist wichtig, weil die Toiletten unter Schwerelosigkeit störanfälliger sind. Außerdem fällt nicht immer alles nach unten, was nach unten gehört (lacht). Die Worte des Ausbilders, die mich ein bisschen erschreckt haben: „Wir empfehlen für die ersten fünf Male Toilettenbenutzung, dass Sie sich komplett nackt ausziehen, bevor Sie die Toilette verwenden.“ Sie müssen sich vorstellen: Ich habe für meine sechs Monate da oben nur sechs Hosen dabei und keine Waschmaschine.
Was tun Sie, wenn Sie im All krank werden?
Wir werden sehr gut überwacht, bevor wir hochgeschickt werden. Und wir machen vorm Start 2-3 Wochen Quarantäne. Es gab einen Apollo-Astronaut, der hatte ein krankes Kind und wurde deshalb ganz kurzfristig vom geplanten Flug runtergenommen.
Das heißt, wenn Sie sich mit dem Coronavirus infizieren würden, wäre Ihre Mission gefährdet?
Ja. Deshalb führe ich ein Leben wie ein Mönch (lacht), gehe in meiner Freizeit noch nicht mal ins Restaurant. Wir werden ohnehin zwei bis drei Wochen vor dem Flug abgeschottet, um uns mit nichts zu infizieren. Es ist nicht immer ein Arzt an Bord daher werde ich auch als Bordsanitäter ausgebildet.
Was erwartet Sie in den nächsten Monaten?
Ich werde bis zum Start in Houston sein, werde ab und zu pendeln, weil ich einige Trainings in Europa habe. Wir werden bis dahin quasi alles lernen, um als Team von sechs, sieben Leuten sechs Monate lang alleine klarzukommen.
Wie viel persönliches Gepäck dürfen Sie mitnehmen?
Maximal anderthalb Kilogramm. Dazu kommt noch die Kleidung: Ich habe pro Woche je zwei T-Shirts, Unterhosen und Socken zur Verfügung; eine Hose pro Monat. Wir haben keine Waschmaschine und keine Dusche an Bord sondern waschen uns mit feuchten Waschlappen. Wenn ich die Kleidung eine Woche lang getragen habe, wird sie aussortiert und kommt in die nächste Kapsel. Meine Schmutzwäsche verglüht zusammen mit den leeren Essensdosen und den vollen Toilettenbehältern im Weltraum. Nicht jede Sternschnuppe ist also eine feine Angelegenheit (lacht).
Wenn Sie freie Wahl hätten: Wen oder was würden Sie auf jeden Fall mitnehmen?
Saarländisches Essen und Fotos von meiner Familie.
Wie oft werden Sie Kontakt zu Ihrer Familie aufnehmen können?
Ich kann von oben aus jederzeit anrufen, aber umgekehrt kann mich nur das Kontrollzentrum anrufen. Das hat die NASA so geschaltet. Pro Woche habe ich zusätzlich 15 Minuten, in denen eine Videoverbindung zur Familie hergestellt wird.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich freue mich unglaublich darauf, den Planeten von außen zu sehen. Das stelle ich mir unglaublich vor. Ich werde wohl die meiste Zeit damit verbringen, einfach runterzuschauen.
Wie werden Sie sonst die Zeit zwischen Experimenten im All verbringen?
Mit zwei Stunden Sport pro Tag. Wir haben ein Laufband und ein Fahrrad da oben. Das Fahrrad ohne Sattel. Den braucht man nicht in der Schwerelosigkeit (lacht). Schwimmen oder duschen kann man aber leider nicht. Wasser ist eine kostbare Ressource. Wir haben 200 Milliliter pro Tag für Körperhygiene. Man kann sich also nur ein bisschen abrubbeln.
Noch etwas Anderes: Warum gibt es aus Ihrer Sicht deutlich mehr Männer als Frauen in Ihrem Beruf? Brauchen wir eine Astronautinnenquote?
Es hat sehr viel damit zu tun, dass Frauen sich das nicht zutrauen. Als ich als Astronaut in der Auswahl war, waren von den 8500 Bewerbern nur etwa 13 Prozent weiblich. Bei dieser ESA Astronautenauswahl sind sechs Männer und eine Frau aus Europa ausgewählt worden. Das spiegelt genau die Zahl der Bewerber wider. Es gab nicht genug Bewerberinnen, um 50 Prozent zu erreichen.
Ist die Nasa da fortschrittlicher als die ESA?
Nein. Die ESA ermutigt Frauen genauso, sich zu bewerben. Bei der NASA, wo ich gerade vorbereitet werde, versucht man bei der Auswahl der Astronauten den Aufbau der Gesellschaft als Ganzes widerzuspiegeln. De facto ist es so, dass etwa die Hälfte der Astronauten aus dem Militär kommen. Ich persönlich denke, man kann aus jedem, der nicht klaustrophobisch ist, der zwei Arme, zwei Hände und zwei Augen hat, einen Astronauten machen. Und mit Blick auf Frauen: Man muss dieses Leben natürlich auch wollen, mit all den Einschränkungen und Entbehrungen, die es mit sich bringt. Mein früherer Ausbilder hat mal gesagt: „Astronaut sein ist wie schwanger sein. Entweder man ist es zu 100 Prozent oder gar nicht.“
Fatima Abbas