Detroit nach der Pleite: Madonna und die kaputte Stadt
Amerikas einstige Autometropole Detroit verfällt seit vielen Jahren – doch nun regt sich Widerstand und neues Leben in den Ruinen. Dass eine der erfolgreichsten Popsängerinnen nun wieder in ihre Heimatstadt investiert ist nur ein Zeichen einer Wiederbelebung.
Es ist ein bisschen wie im Film, wenn man vom Flughafen Detroit in die Stadt fährt. Das Taxi hat seine besten Jahre längst hinter sich, die Kunstledersitze sind aufgeschlitzt, darunter vergilbtes Futter. Vor dem Fenster eine düstere Kulisse: die alte Packard-Fabrik, die seit Jahrzehnten leer steht. Wo früher Luxuskarossen geschmiedet wurden, wachsen Sträucher aus zerborstenen Fensterscheiben – eine urbane Wüste, typisch für das Detroit der Gegenwart.
Vor einer Woche war Madonna in Detroit. Die Sängerin wuchs in den Siebzigerjahren hier auf, ihr Vater war Ingenieur bei General Motors, damals in der Blütezeit des amerikanischen Automobils. Dann kam die Konkurrenz aus Asien. Die „Großen drei“ – GM, Chrysler und Ford – kamen im Preiskampf unter Druck, sie schlossen Werke und entließen Tausende.
Detroit hat die höchste Arbeitslosigkeit in den USA
Nach ein paar Jahren war Detroit verwaist. Einst lebten 1,8 Millionen Menschen in der Industrie-Metropole, heute sind es 700 000. Eine traurige Statistik beschreibt den Exodus der letzten Jahre: Alle 20 Minuten zog eine Familie weg, weil man die Hoffnung aufgegeben hatte.
Auch die übrigen Statistiken zeichnen ein trauriges Bild: Detroit hat mit mehr als 23 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit aller amerikanischen Städte. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die Verbrechensrate ist die höchste im ganzen Land: Zuletzt gab es hier 52 Morde pro 100 000 Einwohner, zehnmal so viele wie in New York City.
War der Konkurs auch ein Neuanfang?
Doch es regt sich Widerstand. Detroit gibt nicht auf. Zwei Jahre nachdem die Stadt offiziell Konkurs angemeldet hat, sieht man Licht am Ende des Tunnels. Die Verwaltung hat mehr als zehntausend verlassene und baufällige Häuser abgerissen und Grünflächen geschaffen. Tausend weitere Häuser werden zur Zeit im Internet versteigert – zu Spottpreisen ab 1000 Dollar, aber mit einer Bedingung: Der Käufer muss hier einziehen. So kommen wieder Leute in die Stadt, darunter viele Kreative.
Zahlreiche Künstler aus Brooklyn und San Francisco haben zuletzt den Weg in die marode Stadt gefunden, weil es hier günstigen Wohnraum gibt, große Ateliers und jede Menge Gestaltungsspielraum. Die Stadt ist voll von legalen und illegalen Graffiti, und es hat sich eine lebendige Szene etabliert. Die hat auch Nathalie van den Bergh kennengelernt. Die junge Kölnerin, die selbst Street Art macht und mit Neonbeige Ehrenfeld ein Mützenlabel betreibt, hat eine Woche lang Detroit erkundet. „Es war bemerkenswert, wie ich von der ersten Minute an in die Szene eintauchen konnte“, sagt van den Bergh, die in Detroit unter anderem an die Schauspielerin Crystal Starr geriet. Starr ist Protagonistin in „Detropia“, einer 2012 erschienenen Kino-Dokumentation über Verfall und Wiedergeburt der Autostadt. Als Andenken hat sich van den Bergh „Detroit“ auf die Hand tätowieren lassen, eines Tages will sie hier ihre Mützen in einer Boutique verkaufen.
Nach und nach ziehen Künstler und junge Leute hierher
Auch die Jugend in Detroit hat Träume. Das Downtown Youth Boxing Gym holt Kids von der Straße, der Empowerment Plan bildet obdachlose Frauen zu Näherinnen aus, die Detroit Achievement Academy ist eine semi-private Schule, die den Bildungsstand der Stadt heben will – alle drei Einrichtungen können sich über großzügige Schecks von Madonna freuen, die tief beeindruckt die Stadt verließ. „Es ist wirklich inspirierend, wie sich so viele Leute dafür einsetzen, Detroit aus dem Armutssumpf herauszuholen“, zog die Sängerin Bilanz. „Man sieht schon erste Ergebnisse ihrer harten Arbeit.“
Madonna spendet für den Wiederaufstieg ihrer Heimatstadt
Madonna sieht die ersten Spenden als Beginn eines langjährigen Engagements in der Stadt, in der Kreative immer schon eine führende Rolle gespielt haben. In den Vierzigern brachte John Lee Hooker den Südstaaten-Blues nach Detroit, in den Fünfzigern war die Stadt Zentrum der amerikanischen Jazz-Kultur, in den Sechzigern gründete Berry Gordy sein Plattenlabel Motown. In seinem kleinen Studio am West Grand Boulevard produzierte er die ersten Hits von Diana Ross, Smokey Robinson und Stevie Wonder – auch Michael Jackson schaffte hier den Durchbruch.
In den Siebzigern regierten in Detroit Pete Seeger und Grand Funk Railroad, später dann Kid Rock und The White Stripes. Madonna hingegen hatte der Stadt früh den Rücken gekehrt und ihr Glück in New York gesucht – ihre Rückkehr ist nun ein Segen für Detroit.
Langsam kommen die Jobs zurück
Auch Jobs werden wohl langsam in die Stadt zurückkommen. Der Automobilbranche geht es nach der großen Krise wieder besser, und die jährlich im Januar stattfindende internationale Auto-Show bringt nach wie vor die ganze Branche in die Stadt am Erie-See. Auch neue Technologien sollen einziehen. In Washington wird seit Jahren über die Förderung alternativer Energien gestritten. Ein verstärkter Einsatz in Solar- und Windkraft könnte wohl die alten Fabrikhallen wiederbeleben, die seit langem brachliegen. Detroit mag seine Glanzzeiten hinter sich haben, doch eine solide Zukunft ist nach dem Zusammenbruch wieder greifbar.
Lars Halter