Berliner Originale: Der Meister der spontanen Küche
Daniel Roick kocht Drei-Gänge-Menüs aus Lebensmitteln, die weggeschmissen werden sollen. Das ist eine enorme Herausforderung – und gleichzeitig eine Riesen-Freiheit.
Jeden Mittwoch und Freitag kommen die Kisten. Daniel Roick begutachtet den Inhalt. „Himbeeren!“, ruft er freudig aus oder „Pastinaken“. Das klingt eher nach Bestandsaufnahme.
„Aber zuallererst müssen wir den hier retten“, sagt er ernst und nimmt einen Salatkopf mit hängenden Blättern aus einer grünen Gemüsekiste. Er lässt Wasser ins Waschbecken laufen, streut etwas Zucker hinein und legt den Salat behutsam hinein. „Der wird schon wieder – gleich sieht er aus wie frisch gepflückt. Mit ordentlich Knack!“ Kaum jemand kennt diesen Zuckerwasser-Trick. „Schade eigentlich“, sagt Daniel Roick. Denn deshalb können die Supermärkte diese Salatköpfe nicht mehr verkaufen. Sie werden alle weggeworfen.
Außer diesem hier, der es in die Küche des Restaurants „Restlos Glücklich“ in Neukölln geschafft hat. Daniel Roick weiß vorher nie, was alles in den Kisten ist. Das Gemüse hat meistens ein paar Dellen, bei anderen Sachen sind die Verpackungen beschädigt oder das Mindesthaltbarkeitsdatum ist erreicht. Erst beim Durchsehen der Kisten kommen ihm dann die Ideen für das Menü am Abend. Auf dem Papier würde das nicht gehen, erklärt er, er muss die Sachen sehen. „Und am Abend werden wir nicht nur gut gekocht haben – wir werden auch gerettet haben“, sagt der Neuköllner Koch zufrieden.
Täglich was Neues
Das ist dem 28-Jährigen wichtig. Und das will er all seinen Gästen immer wieder aufs Neue beweisen: Man kann aus allen sogenannten Resten die erlesensten Gerichte zusammenstellen. Man muss sich nur frei machen von den festgefahrenen Rezepten im Kopf. „Es muss was Neues her!“, ruft Daniel Roick aus und schiebt den großen Topf von der Gasflamme, in dem ein Gemüsefond köchelt. „Und zwar jeden Tag.“ Das sei vielleicht nur sein eigener hoher Anspruch, sagt er, aber nur so mache das Kochen auch Spaß. Denn dann kann man sich selbst überraschen.
Ein Beispiel? In der Kiste sind heute Rote Beete und Reis – an einem Abend wird es dann bestimmt ein Rote-Beete-Risotto geben und, er überlegt kurz, am nächsten Tag vielleicht Rote-Beete-Reis-Plätzchen? „So erfinderisch zu kochen, das geht nur hier“, schwärmt er. Daniel Roick hat schon in einigen anderen Küchen gearbeitet. Meistens wurde dort am Montag der Menüplan für die ganze Woche geschrieben, dann alles eingekauft – und dann wurde nur noch abgearbeitet.
Dass Daniel Roick seinen Beruf liebt, muss er gar nicht sagen, das merkt jeder. Er koche vor allem nach Gefühl, sagt er. „Ich könnte jetzt nicht genau sagen, welche Mengen von welchen Zutaten hier in diesem Taco-Teig drin sind“, erklärt er und zeigt auf eine Schüssel mit zugedecktem Teig. „Der ist einfach so entstanden – aus dem Nichts!“ Es ist ein bisschen wie mit allen Dingen. Nimmt man den Druck raus, dann kann auch was entstehen. Natürlich braucht es Erfahrung, sagt er, aber dann, dann muss man auch weitergehen. Und ausprobieren.
Jede Woche rettet er sechs Kisten Lebensmittel vor dem Müll
Schon als Kind wollte Daniel Roick Koch werden. Irgendwann, erinnert er sich, fing es einfach an, dann kam die Lehre und dann wurde ihm auch schon ziemlich bald klar: Kochen kann mehr als gutes Essen. „Das gemeinsame Essen macht die Menschen glücklich. Nur wer Hunger hat, hat schlechte Laune.“ Kochen und essen bringt also glückliche Menschen zusammen. Wenn das nicht mal ein erster Schritt ist, um die Welt besser zu machen!
Und der nächste Schritt wäre dann zum Beispiel so ein Ort wie dieser hier: ein Restaurant, das jede Woche ungefähr sechs Kisten Lebensmittel vor dem Müll rettet. Nur von zwei Bio-Supermärkten! Wenn andere Restaurants das nachmachen würden, dann könnte irgendwann vielleicht sogar eine allgemeine Resteverwertung von den Supermärkten über die Restaurants garantiert werden!
Doch was macht der Koch, wenn er nicht gerade im „Restlos Glücklich“ arbeitet? Dann gibt es noch viele andere Möglichkeiten, um der Lebensmittelverschwendung den Kampf anzusagen: Zum Beispiel bei den „Schnippel-Diskos“, wo sich Menschen mit ihren Resten von zu Hause treffen und dann gemeinsam ein Essen kochen. Oder in den „Küfas“ (Küchen für alle), in denen Daniel Roick auch regelmäßig kocht und wo jeder zum Selbstkostenpreis essen kann. „Schnippeln für ’ne bessere Welt“, sagt er noch irgendwann zwischen Salatrettung und Taco-Teig-Weiterverarbeitung. „Es fühlt sich gut an“, versichert er. Und: Jeder kann es nachmachen.
Restlos Glücklich e. V., Kienitzer Str. 22 in Neukölln, geöffnet mittwochs bis sonnabends, 18–22.30 Uhr (Weitere informationen im Internet unter www.restlos-gluecklich.berlin)
Daniel Roicks Lieblingsort in Berlin ist: Die Rigaer Straße in Friedrichshain
Was diesen Ort so besonders macht: „Das Zusammenleben in diesem Kiez ist etwas Besonderes für Berlin. Viele Freunde von mir leben hier in Hausprojekten.“
Von den Autorinnen erschien bereits: „111 Berliner, die man kennenlernen sollte“ (Emons Verlag, 230 Seiten, 16,95 Euro). Nun begeben sich Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel für uns auf die Suche nach noch mehr Berlinern. Bisher unter anderem erschienen: Lizzy Scharnofske, das lebende Schlagzeug - Andreas Zadonai, ein Bäcker der alten Schule - Sinan Simsek, der Buchhändler vom Kotti.
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