Kein Strafprozess nach Loveparade-Unglück: Kraft äußert Unverständnis für Entscheidung der Richter
Der Tod von 21 Menschen bei der Loveparade 2010 bleibt zunächst ohne strafrechtliche Folgen. Das Landgericht will kein Hauptverfahren eröffnen. Hinterbliebene und Polizei sind enttäuscht.
Nach dem Loveparade-Unglück mit 21 Toten und Hunderten Verletzten vor knapp sechs Jahren soll es nach einem Beschluss des Duisburger Landgerichts keinen Strafprozess geben. Wie das Gericht am Dienstag bestätigte, wurde die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Grund ist vor allem das Gutachten eines Panikforschers, in dem das Gericht schwere Mängel sah. „Die Vorwürfe der Anklage können mit den vorgelegten Beweismitteln nicht bewiesen werden. Eine Verurteilung der Angeklagten ist deshalb nicht zu erwarten", hieß es.
Bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 war es an einer Engstelle zu einem tödlichen Gedränge gekommen. 21 Menschen starben bei dem Technofestival, mindestens 652 wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Im Februar 2014 hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters erhoben. Ihnen wurden fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen.
Seitdem hatte das Landgericht im sogenannten Zwischenverfahren aufwendig geprüft, ob eine Verurteilung im Hauptverfahren, der Gerichtsverhandlung, wahrscheinlich ist. Das Gericht erließ nun einen sogenannten Nichteröffnungsbeschluss. In einer Pressemitteilung hieß es: "Die eingehende Prüfung der Anklagevorwürfe und der hierzu vorgelegten Beweismittel durch die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat ergeben, dass kein hinreichender Tatverdacht besteht." Dem Gericht sei es nicht erlaubt, ein neues Gutachten zu beauftragen. Die Staatsanwaltschaft Duisburg kündigte an, gegen den Entschluss Beschwerde einlegen zu wollen.
„Bankrotterklärung der Justiz“
Bei den hat Nebenklägern löste die Entscheidung des Gerichts Empörung aus. „Das ist ein Justizskandal, nach fünfeinhalb Jahren Ermittlungen zu so einem Ergebnis zu kommen“, sagte der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter. Reiter vertritt rund 100 Betroffene, darunter die Angehörigen von vier Toten. Die Verletzten und die Hinterbliebenen der Toten hätten kein Verständnis für die Entscheidung des Gerichts, sagte Reiter. „Sie sind jahrelang mit der Ankündigung vertröstet worden, Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit. Reiter sprach von einer „Bankrotterklärung der Justiz“. Das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still sei sicher zu kritisieren. Die Mängel reichten aber nicht aus, um die Anklage nicht zuzulassen.
"Das löst noch mal Reaktionen aus, die wir als Reviktimisierung - also als erneutes Opferwerden - bezeichnen“, sagte Professor Thomas Feltes der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Feltes vertritt einen Vater, dessen Tochter bei dem Technofestival am 24. Juli 2010 ums Leben kam. „Die Hinterbliebenen hatten fünf Jahre gehofft, dass dieses Ereignis objektiv aufgearbeitet wird“, sagte Feltes. Nach dem Loveparade-Unglück mit 21 Toten soll es nach einem Beschluss des Duisburger Landgerichts keinen Strafprozess geben. Das Gericht ließ nach aufwendiger Prüfung die Anklage gegen zehn Beteiligte nicht zur Hauptverhandlung zu. Feltes zeigte sich überrascht: „Auch aufgrund der langen Dauer der Entscheidung bin ich davon ausgegangen, dass man einen Prozess gründlich vorbereiten will.“
Vater von Loveparade-Opfer: „Ich fühle mich retraumatisiert“
Ein Vater, der bei der Loveparade-Katastrophe seine Tochter verlor, hat sich bestürzt über die Entscheidung des Landgerichts Duisburgs gezeigt. „Ich fühle mich retraumatisiert, das wirft mich einfach wieder auf den Stand der Dinge von 2010 zurück“, sagte Manfred Reißaus der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. „Es hat uns aufgebaut, dass wir gewartet haben als Eltern, dass mal eine Verhandlung stattfindet.“ Jetzt hätten er und viele andere Betroffene ihr Vertrauen in die Behörden komplett verloren.
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) äußerte Unverständnis für die Entscheidung. Sie achte die Unabhängigkeit der Justiz, als "Mensch Hannelore Kraft" sei dieser Beschluss für sie aber nur "schwer zu begreifen." Kraft hatte nach der Katastrophe 2010 in einer Trauerrede lückenlose Aufklärung gefordert. Dieses Ziel scheine nun in weite Ferne zu rücken. Kraft war damals erst wenige Wochen im Amt, als das Unglück passierte. Auch ihr Sohn Jan war als Besucher auf der Loveparade, über Stunden wusste Kraft nicht, wie es ihm ging.
Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link schloss sich der Einschätzung an: „Wer seinen Sohn, seine Tochter, sein Liebstes verloren hat, der fragt nicht nach Verfahrensfehlern oder danach, warum ein Gutachten verwertbar ist oder nicht." Die Entscheidung sei deshalb "für viele eine weitere Enttäuschung.“
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) bedauerte die Entscheidung des Gerichts. Bundesvorsitzender Rainer Wendt sagt: "Dass die Richter nun entschieden haben, gegen die Verantwortlichen der Stadt Duisburg und gegen den Veranstalter nicht zu prozessieren, ist natürlich für die Angehörigen der Opfer der Katastrophe nur schwer nachvollziehbar." Bereits im Vorfeld der Veranstaltung seien zahlreiche Fehler begangen worden, die es aufzuarbeiten gilt und "für die es eindeutige Verantwortliche gibt". Wendt spekulierte, ob Personalmangel in der Justiz ein Problem gewesen sein könnte, bei einem solch "einzigartigen Verfahren verbunden mit teilweise komplexer Analysetechnik."
Der Landesvorsitzende der DPolG, Erich Rettinghaus, stellte sich hinter die Arbeit der Polizei. Die Beamte hätten "im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles getan, um Menschenleben zu retten. Auch das Innenministerium hat schnell und richtig gehandelt." (Tsp/voo/dpa)
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