Kampf gegen Drogenanbau: Kolumbiens Koka-Krise
Eigentlich sollte Gewalt der Vergangenheit angehören. Doch der illegale Drogenanbau führt zu Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Polizei.
Offiziell herrscht in Kolumbien Frieden. Schließlich trat vor rund einem Jahr das entsprechende Abkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerilla in Kraft. Abseits der urbanen Zentren zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Paramilitärische Gruppen und Drogenkartelle füllen die Machtlücken, die die entwaffnete Guerilla hinterlässt. Die Bevölkerung vor Ort gerät zwischen die Fronten. Einerseits lockt der lukrative aber illegale Kokaanbau, andererseits bringt der alternative Anbau von Bananen oder Mais weniger Erträge – und weniger Profit.
Es ist ein Wettlauf, der kaum zu gewinnen ist. Im März begann die kolumbianische Regierung, das neue Programm im Kampf gegen das Kokain landesweit umzusetzen. Anbauflächen für Koka sollen vernichtet, die verbotenen Pflanzen durch lokale Produkte wie Maniok und Bananen ersetzt werden. Bislang zerstörten die Brigaden von Polizei und Militär Pflanzungen auf mehr als 39.000 Hektar Fläche. Doch gleichzeitig entstehen täglich neue: Einheiten der Polizei gehen davon aus, dass sie nur in 15 Prozent der Fälle die Pflanzung von Koka dauerhaft verhindern können, wie die Wochenzeitschrift „Semana“ kürzlich dokumentierte. Das heißt: Von 1000 Hektar zerstörter Pflanzungen werden rund 850Hektar neu gepflanzt.
Ein Programm soll Bauern Alternativen bieten
Der Friedensvertrag sieht ein „Nationales Programm für den Ersatz von Feldfrüchten mit illegaler Nutzung“ (PNIS) vor. Demnach sollen Kokabauern ihre Pflanzungen freiwillig ersetzen. Der Staat verpflichtet sich parallel, die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur in den betroffenen Regionen auszubauen. Während die kolumbianische Regierung sich – mit Unterstützung der USA – in den vergangenen zwei Jahrzehnten hauptsächlich darauf konzentrierte, die Flächen großflächig zu verwüsten, soll das neue Programm den betroffenen Bauern eine wirtschaftliche Alternative bieten.
Wie ein im Februar veröffentlichter Bericht der US-Anti-Drogenbehörde zeigt, ist Kolumbien weiterhin der weltweit größte Produzent für Kokain. Die Behörde schätzt die Anbauflächen auf landesweit etwa 188.000 Hektar – mehr als jemals zuvor. Das kolumbianische Institut für Entwicklung und Frieden (Indepaz) dokumentiert in einer kürzlich erschienenen Zwischenbilanz, dass die US-Regierung mit der Veröffentlichung der Zahlen den Druck auf Kolumbien massiv erhöht habe. Der kolumbianische Präsident Juan-Manuel Santos kündigte kurz darauf an, bis Ende des Jahres mindestens 100.000 Hektar Kokapflanzungen vernichten zu wollen. Seitdem „häufen sich die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Polizeieinheiten“, beobachtet Indepaz.
Manche Regionen wurden noch nie von der Polizei kontrolliert
Einige Gebiete, wie die Gemeinde Tumaco an der südlichen Pazifikküste, betritt die Polizei zum ersten Mal. Vorher wurde die Region im Grenzgebiet zu Ecuador vollständig von der Farc kontrolliert, Anti-Personen-Minen und Scharfschützen sicherten die Kokapflanzungen. Tumaco ist das neue Zentrum des kolumbianischen Drogenhandels. Hier finden sich die meisten Kokapflanzungen des Landes. Satellitenbilder zeigen, dass die Größe der Anbauflächen mittlerweile industrielles Ausmaß erreicht hat.
Jetzt, nach der Entwaffnung der Guerilla, könnte die Polizei die Pflanzen vernichten – doch die Kleinbauern wehren sich dagegen mit Stöcken und selbstgebauten Sprengkörpern. Anfang Oktober starben bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mindestens sieben Kleinbauern, die ihre Felder vor der Vernichtung schützen wollten.
„Die Menschen stehen vor einer pragmatischen, kapitalistischen Entscheidung: Sie bauen das Produkt an, für das sie am besten bezahlt werden“, erläutert der kolumbianische Autor und Journalist Héctor Abad Faciolince. „Wir reden hier von Regionen, in denen es keine Straßen gibt und die der Staat seit Jahrzehnten vernachlässigt.“ Selbst wenn die Bauern ihre Produktion auf Maniok und Bananen umstellten, hätten sie durch die fehlende Infrastruktur im Grunde keine Möglichkeit, ihre Erzeugnisse weiter zu verkaufen. Andererseits ist der Pazifikhafen Tumaco seit Jahrzehnten ein traditioneller Umschlagplatz für den Drogenexport: Auf den Flüssen der Region wird die Kokapaste auf kleinen Booten transportiert, um von hieraus weiter nach Mittelamerika und in die USA verschifft zu werden.
Das feuchte Klima verschärft die Situation
Verkompliziert wird die Situation durch die klimatischen Bedingungen. Die kolumbianische Pazifikregion ist eine der feuchtesten Gegenden der Erde, nur wenige Kulturpflanzen verkraften den permanenten Regen und die hohe Luftfeuchtigkeit. Wo die Kokapflanze wächst und gedeiht, bevorzugen Pflanzen wie Maniok und Kaffee trockenere Gefilde. Zudem sind die meisten Kleinbauern nicht die Eigentümer ihrer Anbauflächen, sondern pachten diese von Großbauern und Drogenkartellen. Die Wochenzeitung „Semana“ enthüllte, dass offenbar lokale Drogenkartelle die Bauern zur bewaffneten Verteidigung der Anbauflächen zwingen würden.
Bei einem Besuch der Region Tumaco am 21. Oktober verkündete Präsident Santos derweil, die Vernichtung der Kokapflanzungen in Tumaco noch weiter beschleunigen zu wollen. „Tumaco ist gewissermaßen ein Labor dafür, wie wir Probleme lösen können, die seit Jahrzehnten bestehen“, erklärte er seinen Ansatz nach einem Treffen mit 50 lokalen Aktivisten, die seine Strategie unterstützen.
"Neuer Kreislauf der Gewalt"
Kolumbiens Generalstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez zeigte sich in einem Interview mit der Zeitung „El Tiempo“ anderer Meinung: „In den Regionen, in denen nach der Entwaffnung der Farc Frieden hätte entstehen sollen, hat sich stattdessen ein neuer Kreislauf der Gewalt entwickelt, der durch den Drogenhandel befeuert wird.“ Während die Gewalt in weiten Teilen Kolumbiens durch den Friedensprozess sinken würde, sei in Regionen wie Tumaco ein neuer Krieg entstanden. Die rückläufige Mordrate in den Zentren des Landes erreicht diese Gebiete nicht: „In der Pazifikregion ist die Mordrate im Gegenteil um 92 Prozent angestiegen“, sagte der Generalstaatsanwalt. „Wenn wir nicht gegen den Drogenhandel vorgehen, werden uns die Kartelle den Friedensprozess entreißen. Kolumbien droht ein neuer Teufelskreis der Gewalt.“