Missbrauchsskandal in Pennsylvania: "Jahrzehntelange Vertuschung" – bis in den Vatikan
Ein Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche: In Pennsylvania sollen sich mehr als 300 Priester in 70 Jahren an mindestens 1000 Kindern vergangen haben.
Ermittlungsbehörden im US-Bundesstaat Pennsylvania haben erschütternde Details über das Ausmaß von sexuellem Missbrauch und dessen Vertuschung in der katholischen Kirche der USA ans Licht gebracht. Die Behörden beschuldigen mehr als 300 namentlich genannte katholische Priester, sich des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht zu haben - bis hin zur Vergewaltigung. „Obwohl die Liste von Priestern lang ist - wir denken nicht, dass wir alle gekriegt haben“, sagte der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro.
Dennoch sei dies der umfassendste Bericht zu Kindesmissbrauch innerhalb der Kirche, der jemals in den USA veröffentlicht worden sei. Er kommt mehr als 15 Jahre nachdem in Boston die Geschehnisse um den Priester John Geoghan in der Öffentlichkeit für einen Skandal gesorgt hatten. Auch dort war herausgekommen, dass die Kirchenführung unter massiven Vertuschungsaktionen versucht hatte, die Geschehnisse weitestgehend unter der Decke zu halten.
Der Erzbischof von Washington und frühere Bischof von Pittsburgh in Pennsylvania, Donald Wuerl, hatte bereits am Montag in einem Brief an den Klerus davor gewarnt, der Bericht werde „grundlegend erschreckend“ sein. „Der Report wird eine Erinnerung an schwere Verfehlungen sein, die die Kirche anerkennen muss und für die sie um Vergebung bitten muss“, heißt es in dem Schreiben des Erzbischofs. Er widersprach jedoch der Darstellung, die Kirche habe nichts gegen die Vorkommnisse unternommen. Er selbst sei nach Rom gefahren und habe erfolgreich die Wiedereinstellung eines Priesters verhindert, schrieb der heutige Erzbischof. Gleichzeitig seien auch Maßnahmen zum Opferschutz und zur Hilfe für Betroffene ergriffen worden.
Fast alle Taten sind verjährt
Die Vorwürfe erstrecken sich über einen Zeitraum von 70 Jahren und auf das Gebiet von sechs der acht Diözesen im Bundesstaat Pennsylvania. Generalstaatsanwalt Josh Shapiro, der die bisherigen Ermittlungsergebnisse am Dienstag in einem fast 900 Seiten starken Bericht vorstellte, geht von Tausenden Opfern aus. Er glaube, dass viele von ihnen sich nicht gemeldet hätten. Etwa 1000 seien identifiziert worden. „Priester haben kleine Jungen und Mädchen vergewaltigt und die Männer Gottes, die für sie verantwortlich gewesen wären, haben nicht nur nichts getan - sie haben alles versteckt“, heißt es in dem Bericht. „Die Kirche hat ihre Institutionen geschützt - kostete es, was es wolle“, heißt es in dem Papier weiter.
Shapiro sprach von einer „jahrzehntelangen Vertuschung“ durch ranghohe Kirchenobere in Pennsylvania und bis in den Vatikan. Dies habe dazu geführt, dass kaum einer der Fälle heute noch strafrechtlich verfolgt werden könne - fast alle der Taten seien verjährt. Straffällig gewordene Priester seien routinemäßig in andere Gemeinden versetzt worden. Die Gemeindeglieder seien nicht in Kenntnis gesetzt worden.
In einem Fall habe ein Priester Jungen unter dem Vorwand begrapscht, einen „Krebstest“ vorzunehmen, heißt es in einer Pressemitteilung der Justizbehörden. In der Diözese Pittsburgh habe sich eine Gruppe von vier Priestern gemeinsam an Jungen vergangen - einen sollen sie gezwungen haben, in einem Pfarrhaus nackt die Pose Jesu am Kreuz einzunehmen.
Dem Bericht zufolge vergewaltigten und schwängerten Priester junge Mädchen. In einem Fall sei eine Abtreibung arrangiert worden. Der zuständige Bischof habe anschließend sein Mitgefühl ausgedrückt - nicht mit dem Opfer, sondern mit dem Priester. „Es muss eine sehr schwere Zeit für Sie sein.“
Unter Verdacht stehen sogar mehr als 400 Priester
Zu dem Bericht haben auch eine halbe Million Dokumente beigetragen, die bislang in den Geheimarchiven der Bistümer unter Verschluss gehalten worden waren. Die Ermittler in Pennsylvania haben sich mit juristischem Druck Zugang verschafft. Mehrere der identifizierten Geistlichen hatten sich gegen die Veröffentlichung ihres Namens gewehrt, was die Publikation des Berichts verzögert hat. Insgesamt stehen mehr als 400 Priester unter Verdacht.
Darunter sind nach Angaben von Shapiro auch hochrangige Kirchenvertreter. Erst vor wenigen Wochen hatte Papst Franziskus den Rücktritt von Kardinal Theodore McCarrick, dem früheren Erzbischof von Washington, angenommen und ihm unter dem Druck von Missbrauchsvorwürfen zudem auch Hausarrest verordnet. (dpa)
Michael Donhauser