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350.000 Elche leben in Schweden,. Es ist das Land mit der höchsten Elchdichte weltweit.
© picture alliance / dpa

Elche in Schweden: Jagd auf den König der Wälder

Für die einen ist es Tradition, für andere ein meditatives Natur-Event. Alle eint die Faszination des Elches - und die Jagd auf ihn.

Vier große Feiertage, so heißt es, gibt es in Schweden: Weihnachten, Ostern, Mittsommer und Elchjagd. Für die 26-jährige Therese Rosell ist sie ein Höhepunkt des Jahres. "Elchjagd ist immer Teamarbeit", schwärmt die passionierte Jägerin, die auch im gleichberechtigten Schweden zu einer Minorität gehört. Die Frauenquote unter den 300.000 Jägern liegt bei acht Prozent. An der Elchjagd schätzt Rosell, die in Stockholm ein Hundepensionat betreibt, vor allem die vielen Stunden in der Natur, die Zusammenarbeit mit ihren Hunden und die Gemeinschaft. Herbst ist Jagdzeit in Schweden, Elchjagdzeit. Von Anfang September bis Ende Februar ist der Skandinavientouristen liebstes Tier zum Abschuss freigegeben. Am Ende der Saison werden mehr als 80.000 Elche, gut ein Viertel er gesamten Population, ihr Leben gelassen haben.

Elch jagt man nicht allein. Ein Jagdteam verbringt in der Regel mehrere Tage im Wald. Bei der luxuriösen Variante schläft die Mannschaft in einem Haus, bei der einfachen in Hütte oder Zelt. Tagsüber sitzen die Schützen stundenlang einsam auf ihren Wachtposten. Kooperation ist aber gefragt, wenn die Beute abtransportiert werden muss. Ein Elch wiegt gut und gerne 250 Kilo. "When the moose drops, the fun stops" ("Wenn der Elch tot ist, hört der Spaß auf") – dieser Spruch hat auch in Zeiten von Quads und modernen Hilfsgeräten seine Gültigkeit nicht verloren.

Die Population ist jung, gesund – und gefräßig

Für gestresste Großstadtmenschen ist Elchjagd heute oft ein meditatives Natur-Event fernab von Hektik und Handyempfang. Für viele Nordschweden bleibt sie hingegen Teil einer Jahrtausende alten Tradition. Schon auf Höhlenmalereien aus der Steinzeit sind Elchjagdszenen dargestellt. Auch Julius Caesar beschrieb in seinem "Gallischen Krieg" die Jagd auf den Alces alces. Der Elch, behauptete Caesar in totaler Verkennung der Tatsachen, habe steife Beine ohne Knöchel und Gelenke. Aus eigener Kraft könne er nicht aufstehen, weshalb er stehend an einen Baum gelehnt zu schlafen pflege. Das mache ihn zur leichten Beute der Jäger. Die sägten die Schlafbäume an und – schwupps – fällt der müde Elch beim Anlehnen um, kommt nicht mehr auf die steifen Beine und wird gemeuchelt. So weit der Römer.

Gejagt wurde der Elch schon immer wegen seines Fells, seiner Hörner und vor allem seines Fleisches. Letzteres ist noch immer eine hoch geschätzte Delikatesse. Rund 11.000 Tonnen Elchfleisch verzehren die Schweden im Jahr, gut vier Prozent ihres gesamten Fleischkonsums. "Ich kaufe nie mehr Fleisch im Laden", sagt auch Therese Rosell. "Beim Elchfleisch weiß ich genau, wo es herkommt und dass es keine Zusätze enthält." Elchfleisch ist zudem ungewöhnlich mager und hält sich bis zu drei Jahre in der Tiefkühltruhe.

Die Warnschilder sind im Land allgegenwärtig - und bei Touristen heiß begehrt.
Die Warnschilder sind im Land allgegenwärtig - und bei Touristen heiß begehrt.
© imago stock&people

"Mehr als 80 Prozent der Schweden befürworten die Jagd, solange sie keine reine Trophäenjagd ist", sagt Göran Ericsson, Professor für Wildökologie an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Umeå. "Die Akzeptanz ist seit den 1980er-Jahren sogar gestiegen." Er nennt seine Forschungsobjekte liebevoll "gigantische Thermosflaschen", die bereits bei 14 Grad Celsius an Wärmestress leiden können. Daher gefällt es ihnen im Norden. 350.000 Elche leben in Schweden, dreimal so viele wie noch vor 50 Jahren. Doch trotz – oder gerade wegen – der hohen Abschussquoten ist Schweden das Land mit der höchsten Elchdichte weltweit. "Den Elchen hier geht es sehr gut", sagt Ericsson. Die Elchpopulation ist jung, gesund – und gefräßig.

Im Durchschnitt frisst ein erwachsener Elch bis zu zehn Kilo am Tag, besonders gerne junge Laubbäume und Tannen. Davon gibt es genug in Schweden. Über die Hälfte des Landes ist mit Wald bedeckt. Doch der Wald ist auch Einkommensquelle, die Forst- und Papierindustrie gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Schwedens. Viele Waldbesitzer beklagen genervt Wildschäden an bis zu einem Viertel des Baumbestandes und fordern höhere Abschussquoten. Größte Verteidiger der Elche sind ausgerechnet die Jäger. Will man viele Elche schießen, so braucht man viele Elche.

Die Jagd auf die Tiere ist streng reguliert

Gleichzeitig ist der Elch auch Verkehrsrisiko. Pro Jahr geschehen nach Angaben des Nationalen Wildunfallrates 5000 Unfälle mit Elchen. Dabei hat das Tier einen aus Autofahrerperspektive höchst ungünstigen Schwerpunkt. Aufgrund seiner langen Beine fällt der Elch mit seinem schweren Körper oft direkt auf die Autoinsassen. Unfälle mit Toten und Schwerverletzten sind in Herbst und Winter keine Seltenheit. Die Schweden finden es daher auch nur bedingt lustig, wenn Touristen die Elchwarnschilder als Souvenirs abmontieren.

Die Elchjagd ist streng reguliert. Seit 2012 gibt es eine neue "adaptive und ökosystembasierte Elchverwaltung", die in klassisch schwedischer Konsensustradition versucht, Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. Für jede der 149 Elchverwaltungszonen stellen Jäger und Waldbesitzer gemeinsam alle drei Jahre einen Plan auf. Er legt exakt fest, wie viele Elchkälber, -kühe und -bullen wann und wo geschossen werden dürfen. Sind zum Beispiel in einem Gebiet die Wildschäden besonders hoch, kann die Abschussquote entsprechend angepasst werden – und umgekehrt.

Dafür brauchen die "Elchverwalter" aber verlässliche Zahlen. Wie viele Elche leben in einer Zone? Wie viele Bären und Wölfe, die seit ihrer Wiedereinführung in manchen Gebiete mehr Elche töten als die Jäger? Auf dem Gebiet der Wildobservation gilt Schweden international als Vorreiter. Verschiedene Methoden wie Flug-, Jagd- und Losungsobservationen sowie Abschusszahlen liefern relativ zuverlässige Daten. "Das liegt auch an unserem weltweit einzigartigen, hohen Organisationsgrad", sagt Göran Ericsson, "und an einer Art sozialen Kontrakt, bei dem die meisten freiwillig mitmachen."

Die meisten – nicht alle. Viele Sami, die Ureinwohner Schwedens, verbitten sich die Einmischung des Staats in die ihrer Meinung nach angestammten Jagdrechte und melden keine Abschüsse. Dennoch, meint Ericsson, funktioniere die neue Elchverwaltung bislang relativ gut.

Deutsche Touristen, das weiß man in Schweden, sind fasziniert vom Elch. Doch die Schweden – das betont Ericsson – stehen dem in Nichts nach. "Große Säugetiere haben etwas Mystisches. Der Elch ist unser unsichtbarer Nachbar. Er sieht uns immer, aber wir sehen ihn fast nie."

Karin Häggmark

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