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Vom Virus bedroht - und von Bolsonaros wirtschaftlichen Interessen.
© Carl de Souza/AFP

50 Prozent mehr Regenwald-Abholzung: Im Schatten der Pandemie

Im brasilianischen Amazonasgebiet sind Indigene besonders vom Coronavirus betroffen. Der Fotograf Sebastião Salgado macht aufmerksam.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Vielleicht stimmt das. Zumindest erwecken die schwarz-weiß Fotografien des preisgekrönten Fotojournalisten Sebastião Salgado den Eindruck, ganz besondere Geschichten von Menschen zu erzählen, die abseits der Zivilisation im brasilianischen Amazonasgebiet leben. Um auf die Not der Indigenen während der Coronapandemie aufmerksam zu machen, hat Salgado nun allerdings Worte gewählt: In einem offenen Brief mahnt er Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, Maßnahmen zum Schutz der Ureinwohner zu ergreifen.

„Die indigenen Völker Brasiliens stehen mit dem Aufkommen der Covid-19- Pandemie einer ernsthaften Bedrohung für ihr eigenes Überleben gegenüber“, schreibt er. Die brasilianische Regierung hatte den Schutz für Indigene seit Bolsonaros Amtsantritt im Januar 2019 massiv reduziert. Der rechtsextreme Präsident befürwortet, Indigene Gebiete zur wirtschaftlichen Ausbeutung freizugeben.

Er soll im Land ein Klima geschaffen haben, in dem sich Farmer zu immer mehr Brandrodungen ermutigt fühlen. Weniger Kontrollen werden durchgeführt. Seit Ausbruch der Pandemie ist die Abholzung in Amazonien im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 50 Prozent gestiegen. Die Lebensräume der Indigenen sind bedroht.

Zugleich wird Bolsonaro vorgeworfen, die Pandemie nicht ernst zu nehmen. Schutzmaßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen hält er für übertrieben und ökonomisch schädlich, wie er immer wieder deutlich macht. Das Virus kann sich ausbreiten.

Das führt zu einer schwierigen Lage für Indigene, die unter dem kollabierenden Gesundheitssystem und ihrer schlechten Anbindung daran besonders zu leiden haben. Das Virus erreicht sie oft durch Familienangehörige, die in Städten leben und zu Besuch kommen. Zwar haben Indigene in geschützten Gebieten teilweise ihren eigenen Gesundheitsdienst, doch schwere Fälle werden an das öffentliche Gesundheitssystem verwiesen.

Für Kranke ist der oft kilometerweite Weg in die Großstädte zu den überfüllten Kliniken eine Tortur. Im Amazonasgebiet, in dem mehr Indigene leben als in jedem anderen brasilianischen Bundesstaat, hat die Regierung bereits erklärt, dass das Gesundheitssystem komplett zusammenbricht. Schon in der Vergangenheit wurden indigene Völker in Südamerika durch von illegalen Goldsuchern eingeschleppte Krankheiten dezimiert. In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren forderten zum Beispiel die Masern viele Opfer.

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Der Aufruf des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado erhält prominenten Beistand: Sängerin Madonna und Schauspieler Richard Gere haben die Petition unterzeichnet. Außerdem gibt es ein Video, das eine Diashow mit Salgados eindrucksvollen Fotografien von Indigenen zeigt. Es ist untermalt mit klassischer Musik und seiner Aufforderung, Bolsonaro müsse die Indigenen endlich vor seine wirtschaftlichen Interessen stellen.

„Brasilien schuldet seinen ersten Bewohnern etwas.“ Zu Beginn des Videos wird ein Portrait des Fotografen selbst, sowie Fotos von prominenten Unterstützern eingeblendete, darunter die Schauspieler Meryl Streep und Brad Pitt, Model Gisele Bündchen und Aktionskünstler Ai Weiwei.

Pathos und Prominenz können helfen

Eine Prise Selbstinszenierung schwingt mit, doch Pathos und Prominenz können bekanntlich helfen, um die Aufmerksamkeit auf Minderheiten in Not zu richten. Und im Bundesstaat Amazonas, dessen Hauptstadt Manaus ist, sind bereits mehr als 500 Menschen an Covid-19 gestorben – darunter viele Ureinwohner.

Die Lage scheint so schlimm, dass Bürgermeister Arthur Virgilio Neto ebenfalls auf prominente Unterstützung setzt: „Wir brauchen Hilfe“, sagt er in einer auf Twitter veröffentlichten Videobotschaft und wendet sich an die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. In seiner Stadt müssten die „Leben von Waldschützern“ gerettet werden. Er kenne den Einfluss, den Thunberg habe und ihre Fähigkeit, „Mitgefühl mit anderen zu haben“, sagte er. „Helfen Sie dem Amazonas, der Amazonas und der Wald müssen gerettet werden.“

Die 17-jährige Greta hatte kürzlich 100.000 Dollar (91.000 Euro) an das UN-Kinderhilfswerk Unicef gestiftet, um Kinder gegen das Coronavirus zu schützen. Die Summe hatte die Klimaaktivistin als Teil einer Auszeichnung durch die dänische Nichtregierungsorganisation Human Act erhalten.

Kurz vorher hatte Thunberg via Twitter eine Erklärung von Greenpeace verbreitet, in der die Umweltorganisation mangelnden Schutz von Indigenen vor der Coronapandemie kritisiert. „Das ist vollkommen inakzeptabel“, schreibt Thunberg dazu. „Man muss die Verteidiger des Waldes verteidigen.“

Joana Nietfeld

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