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Freut sich. Ein kleiner Junge turnt am Donnerstag durch die Schule von Salcedo. 100 000 Euro von Lesern des Tagesspiegels gingen hier in Aufbauprojekte.
© Ingrid Müller

Ein Jahr nach Taifun Haiyan: Fundament der Hoffnung

Ein Jahr nach Taifun Haiyan sind auf den Philippinen mit Spenden von Tagesspiegel-Lesern Schulen und Unterkünfte fertig geworden. Es war ein gewaltiger Kraftakt. Ein Bericht aus Salcedo.

Inzwischen zählen sie die Tage bis zum Umzug. Anne Rose und Rogie Lacabe mit ihrer anderthalb Monate alten Tochter ebenso wie Johnjohn Abriol mit seiner Familie. Die Dörfer auf den Philippinen, in denen sie wohnen, wurden vor einem Jahr von Supertaifun Haiyan zu weiten Teilen zerstört. Der Taifun, der damals mit rund 315 Kilometern in der Stunde und meterhohen tsunamiartigen Wellen zuerst den Osten der Insel Samar traf, tötete mehrere tausend Menschen, demolierte und zerstörte Millionen Häuser.

Die ersten Familien sollten an diesem Samstag, dem Jahrestag des Katastrophensturms, in die Neubaugebiete von Asgad und Jagnaya in der Gemeinde Salcedo ziehen. Aber die Grundstücksfragen zu regeln, war von Anfang an nicht einfach. Die Bauarbeiter konnten dort erst im Mai und September anfangen.

„Bis Dezember werden wir fertig sein, die Leute müssen endlich aus ihren alten Behausungen raus“, sagt Ingenieur Glenn Lebrilla. Er ist nicht froh darüber, dass einige Familien ihre Häuser bereits einrichten, obwohl sie noch nicht ganz fertig sind. Aber wer die knapp drei mal vier Meter messende windschiefe Hütte der Lacabes und das Übergangsquartier der Abriols sieht, und weiß, dass es bei vielen reinregnet, kann es verstehen.

Die Arbeit war schwierig

„Es war ein Albtraum, hier zu arbeiten“, sagt Glenn Lebrilla über die Baustellen auf ehemaligen Kokosplantagen. An vielen Stellen stießen sie direkt auf Felsen, die Strünke der abgestorbenen Palmen mussten sie von Hand roden. Dagegen war es mit den Häusern im Dorfkern einfach. Der philippinische Ingenieur heuerte nach dem Taifun, den sie hier Yolanda nennen, bei Kurt Behringer an, dessen Organisation Amurt im Auftrag der Duisburger Kindernothilfe und auch mit mehr als 100 000 Euro Spenden von Tagesspiegel- Lesern Schulen, Kindergärten und Häuser in Ost-Samar baut. Vorstandsvize Christoph Dehn ist beeindruckt, wie viel hier aus den Spenden entstanden ist: „In Haiti haben wir vor fünf Jahren nach dem Beben elf Schulen begonnen, zwei sind noch nicht fertig.“

Dabei ging es Lebrilla wie vielen, als er den 61-jährigen Juristen Kurt Behringer mit den zum Zopf gebundenen blonden Haaren und dem langen Bart traf: „Ich war schockiert und verwirrt, als ich Kurt zum ersten Mal sah.“ Der kräftige 27-Jährige, der vorher in Katar gearbeitet hatte, konnte nicht glauben, dass dieser schmächtige deutsche Waldschrat in Shorts und Flip-Flops einen Etat von 2,3 Millionen Euro hatte und entschlossen war, in kürzester Zeit nur mit philippinischen Fachleuten den Wiederaufbau zu stemmen.

Sie nennen ihn Superman

Inzwischen nennen sie Kurt Behringer in der Gemeinde Salcedo „Superman“. Seine Schul- und Kindergartenprojekte sind fast alle fertig – anders als viele Vorhaben der Regierung, gegen deren schleppende Umsetzung tausende Betroffene an diesem Samstag im damals verwüsteten Tacloban demonstrieren wollen. Die letzten Häuser sollen zum Jahresende übergeben sein. Ein bisschen klingt Behringer selbst überrascht: „Ich habe mehr zuwege gebracht, als ich gedacht hatte.“ Er habe „gespart wie ein Wahnsinniger“ und bei den Verwaltungskosten 115 000 Euro weniger ausgeben. Davon hat er zusätzlich eine 1,2 Hektar große ökologische Musterfarm mit Labor und Zuchtbereichen für Ziegen, Geflügel und Fische für die rund 2000 Bauern der Umgebung herrichten können. Die Versammlungsräume werden für Seminare wie Hochzeiten vermietet und bringen der Gemeinde Einkommen. Sogar der etwas windige Schulrat der Provinz, Bernardo Adina, preist – wohl nicht ganz uneigennützig – Kurt Behringers Arbeit. Dass seine Verwaltung in der ganzen Provinz nur 116 Schulräume, Kurt Behringers Truppe aber 228 gebaut hat, lastet Adina der Zentralregierung in Manila und den zu starren Gesetzen an. „Das muss geändert werden“, forderte er. Allerdings dauert es auf offiziellen Wegen nicht nur länger, ehe Geld bewilligt wird – der Beamte Adina rechnet pro Klassenraum auch mit dem doppelten Preis. Die Hälfte des Staatsgeldes, schätzen Experten, verschwindet in privaten Taschen.

Kurt Behringer und seine Leute sind stolz darauf, dass sie eine eigene Schweißerei aufgezogen haben und ihre Steine selbst herstellen – auch wenn die ersten keine Quader waren, sondern Trapezform hatten. „Wir konnten die Kosten auf 25 Prozent drücken, so kann ich viermal so viele Spielplätze anbieten.“

Seine wasserblauen Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Er präsentiert sich noch immer gern als harter Knochen, für den „die Bilanz zählt, nicht die Emotionen“. Doch bei der Übergabe des neuen Gebäudes der Grundschule in Salcedo hielt es ihn am Donnerstag nicht mehr seinem Stuhl, als die Kinder tanzten und der elfjährige Vincent Antony wie ein Profi schmachtend die Liebe zu seinem Mutterland besang.

Schwerer Abschied

Es wird wohl ein schwerer Abschied für Behringer, wenn er in den nächsten Monaten weiterzieht und nur noch alle paar Monate in der Region vorbeischauen wird. Trotz der einfachen Bedingungen, unter denen er auch zwölf Monate nach dem Taifun lebt. Er hat kein eigenes Fahrzeug, fährt immer auf den Mopeds seiner Ingenieure mit. („Da spare ich mir viele Meetings, ich erfahre alles unterwegs.“) Der einzige Luxus, den er sich leistet: Nachts bleibt der Ventilator an, damit die Mücken Abstand halten. „Ich habe noch nie so viel gearbeitet“, sagt Behringer. Sein Bart ist grauer geworden in dem Jahr.

Dieser Tage aber rotieren Behringer und seine Ingenieure, um die neuen Häuser vor Weihnachten übergeben zu können. Es sind 36-Quadratmeter-Gebäude, inklusive innen liegender Toilette in zwei Varianten. Die Familien durften wählen, ob sie die Küche drinnen oder draußen haben wollten. Alle haben ein orange, blau oder mit Inka-Gold gestrichenes Häuschen und ein isoliertes Blechdach. Die Häuser sind besser als das, was sie vorher hatten. In einem langen Verfahren suchten die Dörfer aus, wessen Haus repariert wird, wer ein neues bekommen soll. Die Parzellen wurden per Los verteilt. Trotzdem gibt es schon erste Neider. Sie melden sich nicht offen, sondern tratschen hinter dem Rücken, sagt Anna Rose (20), während sie ihre Tochter Roanne stillt. „Die Nachbarn sagen: Schön, dass ihr ein Haus bekommt. Aber wir kriegen keins.“ Kurt Behringers Team hat dauerhafte Häuser gebaut. Die kosten zwar rund 7000 Euro pro Stück, sollen aber einem Taifun Stand halten. „Ich könnte nicht schlafen, wenn ich immer daran denken müsste, ob meine Häuser noch stehen“, sagt er und meint die Sperrholzhäuser, die andere in der Gegend bauen. Für Behringer sind das Häuser für maximal drei Jahre, „fürchterlich“.

Johnjohn Abriol und Rogie Lacabe verdingen sich derzeit als Bauarbeiter bei dem Kindernothilfeprojekt. Zeitweise hatten 400 Leute dort Arbeit. Lacabe will danach, wie so viele, einen kleinen Shop aufmachen. Bürgermeister Mergal will auch den Tourismus fördern. Vielleicht entsteht in ein paar Jahren an Yolanda Beach – so nennen sie den erst durch den Taifun angespülten weißen Sandstrand im Stadtteil Jagnaya – ein Hotel.

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