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Das Mandalay Bay, vor dem das Festival stattfand, und aus dem Stephen Paddock die Menschen erschoss.
© Lucy Nicholson / Reuters

Las Vegas nach dem Massaker: "Es war so ein friedliches Festival"

Las Vegas ist der Ort in den USA, wo man fast alles darf. Das hat sich auch der Täter Stephen Paddock zu Nutze gemacht. Eine Reportage.

Dort vorne ragt es auf, das „Mandala Bay Resort and Casino“. Weiträumig abgesperrt schimmert sein kaltes Gold in den Septemberabend. Zwei ausgezackte Löcher klaffen in der perfekten Oberfläche. Hier hämmerte Stephen Paddock, wohl mit einem Spezialwerkzeug, zwei Löcher in die raumschiffgleiche Außenhaut, hinter der er Podeste für seine Gewehre errichtet hatte. Dann zog er den Abzug. Nur zum Nachladen ließ er los. Solange, bis die Waffe angeblich so stark rauchte, dass sie den Feueralarm auslöste. Er alleine dort oben in seinem Zimmer, mitten in der Stadt der Sünde. Mehr als 20.000 Feiernde unten, beim Country. Und keiner wusste, woher der Tod kam.

Wenn man den berühmten Strip hochgeht, kann man das Hotel viele Kilometer weit sehen. So weit hinauf konnte auch Paddock sehen, mit seinen Zielfernrohren allemal. Das „Mandala Bay“ im Rücken entfernt sich die entsetzliche Tat frappierend schnell. Hier ist Las Vegas rasch wieder ganz bei sich. Die Musik aus Bars und Shops dröhnt und schrillt wie immer, Bässe drücken in den Bauch. Margaritas in Plastikkrügen, klirrendes Gelächter. Zigarettenqualm, Marihuana. Polizei, aber nicht mehr als sonst. Menschenströme schieben sich die dunkler werdende Straße entlang, sie sind etwas dünner als sonst.

Stunden nach dem Massenmord ist es warm in der Stadt, aber die Hitze hat nicht mehr die sengende, atemberaubende Kraft des Sommers. Vorbei an den riesigen Hotels, „MGM„, „Bellagio“, „Mirage“, „Wynn“, „Encore“, „Venetian“. In diesen unfassbaren Milliardenmaschinen umfängt einen auch heute das immergleiche, stoische Halbdunkel, es ist nur noch etwas bizarrer. Slotmaschinen rasseln. An hinteren Wänden diskrete Aufforderungen zum Blutspenden, draußen prangen sie Weiß auf Schwarz auf gigantischen Elektrotafeln. Jennifer Lopez soll man bitte besuchen und auch den Cirque de Soleil, und wer nach der Bluttat einen Angehörigen vermisst, hier ist die Telefonnummer.

"Es war so ein friedliches Festival, so schöne drei Tage"

Nur Stunden zuvor sind Menschen in greller Panik um ihr Leben gelaufen. „Wildfremde haben sich ineinander gekrallt, Schutz gesucht, aber den gab es nicht“, sagt Sarah Macvaughan aus Chicago. „Es dauerte ewig.“ Sarah stand ganz vorne an der Bühne. „So ein friedliches Festival war das, so schöne drei Tage.“

Hunderttausende Touristen fluten diese Stadt unaufhörlich, dieses Emblem des Exzesses inmitten der Wüste, die so viel Platz hat auf ihren vielen Freiflächen von der Größe ganzer Dörfer. Unweit der großen Hotels gelegen, sind sie oft Schauplatz großer Festivals und fröhlicher Veranstaltungen.

Am Sonntag waren viele Ausgänge des Route 91 Harvest Festivals zugleich seine Eingänge. Als die Schüsse fielen und zunächst keiner wusste, woher, rannten verzweifelte, verängstigte Menschen wieder zum Eingang - dorthin, wo sie hergekommen waren. Menschen in Panik tun so etwas, sagen Psychologen. Sie flohen ihrem Tod entgegen. Auch das ist ein Grund, warum die Opferzahl so hoch ist. Mindestens 58 Menschen sterben, 527 werden verletzt.

Beim Einsetzen der ersten Salven war Steven Nukryw aus Los Angeles gerade außerhalb des Geländes. Er rannte tatsächlich wieder rauf auf das Gelände, auf die Schüsse zu, sagt er, er musste doch sein Mädchen suchen. Er fand sie. Beiden ist nichts passiert, zumindest äußerlich nicht. Still sehen sie auf das Hotel.

Die Erschwinglichkeit, die großen Menschenmassen, sie machen Las Vegas zu einem der verwundbarsten weichen Ziele der Welt. Dies ist der Ort, an dem man fast überall fast alles darf, was in den sonst regelstrengen USA nur abgezirkelt erlaubt ist. Alkohol trinken auf der Straße, Rauchen in Innenräumen. Waffen haben und Waffen tragen, gilt doch in Las Vegas US-weit eines der laxesten Waffengesetze. Mit religiöser Inbrunst wird dieses Recht verteidigt. Nach Bluttaten kommen dann von allen Seiten die gleichen Reflexe hoch, das ist nach Las Vegas nicht anders. Ändern wird sich nach Lage der Dinge nichts, nicht in diesem Kongress und nicht mit Präsident Donald Trump.

Stephen Paddock konnte seine großen Waffen einfach so ins Hotel bringen

Einige Hotels wurden vom Ministerium für Heimatschutz früher ausdrücklich dafür gelobt, dass sie in Sicherheitsfragen so gut kooperierten, etwa mit Software für Gesichtserkennung. Im „Venetian“ und im „Palazzo“ schauen sie einem bei der Einfahrt in die Garage ziemlich genau in den Kofferraum. Das kann im „Mandala Bay“ kaum passiert sein. Nach allem, was man weiß, schob Paddock dort sein Waffenarsenal in zwei langen Rolltaschen in den Fahrstuhl. 32. Stock.

Wird jetzt alles anders werden in Las Vegas? Teke Nelis ist aus Eritrea, eigentlich ein fröhlicher Mensch, und er fährt schon sehr lange Menschen durch diese sündige Stadt. „Es ist furchtbar für Vegas. Schlecht für alles. Dabei hatte der Mann doch alles, was er brauchte, oder? Ein Haus und Geld! Und er war doch Amerikaner!“

Wenn Paddock wirklich ein so unbescholtener Normalo war, wie es zunächst aussah, dann vergrößert dies das Grauen und verringert es nicht. Gegen den Einbruch des Bösen aus aller Welt, so versucht der Präsident es seinem Land wieder und wieder einzuimpfen, dagegen könne man sich abschotten. Aber was kann man tun gegen den jähen Ausbruch, gegen das Explodieren der Normalität im Inneren?

Trump reagierte, als sei etwas wie Las Vegas eine zwar schlimme, aber doch mehr oder weniger unausweichliche Sache, die halt leider gelegentlich hereinbreche, etwa so wie ein Naturereignis. Nach dem sturmverheerten Puerto Rico besucht er also am Mittwoch das von einem Verbrechen heimgesuchte Las Vegas. Was wird er im Gepäck haben? Trump reagiert bemerkenswert unterschiedlich darauf, ob ein Verbrechen zum Beispiel in Europa von Islamisten begangen oder in seinem eigenen Land von einem Weißen verübt wird. Nach Las Vegas war er deutlich verhaltener, viel weniger scharf als nach Paris, London oder Berlin. Und das Wort „Terror“, das er sonst so gern verwendet, es fiel nicht.

Gedenkgottesdienst in der Guardian Angel Kathedrale oben am Strip, auch Vertreter der Stadt und der betroffenen Hotelkette sprechen. Wenn man Las Vegas jetzt helfen wolle, dürfe man nicht fernbleiben, sagt Scott Sibella, Präsident von MGM Grand, beschwörend. Abgesandte der Stadt versichern, Las Vegas werde noch stärker zurückkommen. Draußen versinkt die Sonne hinter den Bergen, zu Hunderttausenden flammen die Lichter auf. Bei einigen ist hier große Unsicherheit zu greifen, aber das Leben geht weiter. Und das Geschäft auch.

Martin Bialecki, dpa

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