Massaker in Las Vegas: Nicht normal, nicht unvermeidlich
Bislang ist jeder Versuch gescheitert, die Waffengesetze in den USA sinnvoll zu regeln. Unter Trump dürfte sich daran erst Recht nichts ändern. Ein Kommentar.
Nichts wird sich ändern in Amerika. Auch dieses Mal nicht. Columbine, Tucson, Newtown, San Bernadino, Orlando, Fort Hood, Charleston – es sind nur einige wenige unter den vielen Ortsnamen, die für Tote stehen. Jedes Jahr sterben in den USA 33.000 Menschen durch Schusswaffen. 58 konnte ein einziger Mann am Sonntagabend in Las Vegas von einem Hotelzimmerfenster aus ermorden. 19 Gewehre und hunderte Schuss Munition hatte er sich dafür besorgt. Und dennoch lehrt die Erfahrung: Alles wird bleiben, wie es ist.
Seine Waffengesetze – oder besser: deren Fehlen - machen die Vereinigten Staaten zum Entwicklungsland, heben sie heraus aus der Gruppe seiner Partner, was die Toten angeht, die Mordrate, die Wahrscheinlichkeit, als junger Mann Opfer einer Gewalttat zu werden oder selbst zum Täter. Die Debatte um die Waffengesetze stehen für das große amerikanische Paradox, für alles, was dysfunktional ist an seinem politischen System und für die ewigen Fremdheitsgefühle der Europäer.
Bei jedem größeren Massaker unternimmt die Allianz aus Verfechtern schärferer Waffengesetze innerhalb und der zahlreichen Unterstützergruppen außerhalb des Kongresses einen neuen Anlauf, im Hoffen auf die emotionale Empörung, darauf, dass endlich ein Ruck durch die amerikanische Politik geht. So wird es auch dieses Mal sein. Vergeblich.
"Das hier ist nicht normal. Es ist nicht unvermeidlich"
Am Montag traten die ehemalige demokratische Abgeordnete Gabrielle Gifford und ihr Ehemann, der Astronaut Mark Kelly, vor dem Kapitol in Washington vor die Kameras. Gifford hatte sich stets für schärfere Waffenkontrollen eingesetzt. 2011 wurde sie selbst Opfer einer Attacke. Sechs Menschen starben, als ein junger Mann, bei dem im Zuge der Ermittlungen Schizophrenie diagnostiziert wurde, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tucson das Feuer eröffnete. Gifford wurde in den Kopf getroffen.
“Wir müssen nicht damit leben“, sagte Kelly am Montag, „Das hier ist nicht normal. Es ist nicht unvermeidlich.“ Am Ende seiner Rede trat auch Gifford selbst kurz vor das Mikrofon. „Dieses Land braucht Sie“, sagt sie. Noch immer fällt ihr das Sprechen schwer. Sie kann kaum sehen. Ein Arm und ein Bein gehorchen nicht recht. Gifford ist eine Versehrte, eine von Tausenden in jenem alltäglichen amerikanischen Krieg.
Mark Kelly hat natürlich recht: Es ist nicht unvermeidlich. Und dann ist es das doch. Bislang ist noch jeder Versuch gescheitert, das Waffenrecht zu verschärfen – oder sinnvolle Regelungen liefen einfach aus.
Niemand redet über die Abschaffung des Rechts, Waffen zu tragen
Wohlgemerkt: Niemand in den Vereinigten Staaten redet über die Abschaffung des Rechts, Waffen zu tragen, jenem viel umstrittenen Zweiten Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten. Auch Barack Obama hat dieses Recht nie grundsätzlich in Zweifel gezogen, vielmehr ging es stets darum, wie man das Waffenrecht erhalten und dennoch weniger Tote beklagen könnte. Gestritten wird um die Buchführungspflichten von Händler, um Hintergrundchecks für Käufer, um den Ausschluss bestimmter Gruppen vom Waffenkauf – zum Beispiel Männer, die schon einmal wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurden -, darum, ob es erlaubt sein sollte, Waffen offen zu tragen, darum, welche Daten die Bundesstaaten über Waffenbesitzer austauschen dürfen, darum, bestimmte Arten von explosiver Munition zu verbieten, die etwa auch die Schutzwesten von Polizisten durchschlägt und darum, Kriegswaffen wie jene, die nun wohl in Las Vegas zum Einsatz kamen, zu verbieten: Semi-automatische Waffen mit großen Magazinen, das bis zu mehrere Hundert Schuss pro Minute abfeuern können. Dass sich für diese Punkte seit Jahrzehnten keine parlamentarischen Mehrheiten finden, ist einfach nur krank – zumal es in der Bevölkerung für viele dieser Forderungen Mehrheiten gibt.
Spätestens seit Newtown ist deshalb heimliche Resignation zu spüren. 2012 erschoss in der kleinen Stadt in Connecticut ein junger Mann 28 Menschen an der Sandy Hook Grundschule, unter anderem mit einem halbautomatischen Gewehr. 20 waren Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren. Kurz keimte in der Trauer Hoffnung auf. Die besondere Grausamkeit der Tat, die vielen Toten, die Tatsache, dass so viele Kinder hatten sterben müssen, weil ein kranker Mann es wollte, würde das die nötige politische Gravitation erzeugen, um endlich etwas zu ändern? Barack Obama unternahm einen erneuten Anlauf, den Kongress zu schärferen Waffengesetzen zu bewegen. 2013 legte er eine Reihe von Maßnahmen vor – und scheiterte.
Donald Trump umgarnte die Waffenlobby
Am Dauerscheitern wird sich auch jetzt nichts ändern. Unter diesem Präsidenten ist das noch weniger vorstellbar.
Donald Trump umgarnte während seines Wahlkampfes die große Waffenlobby und die vielen, vielen einzelnen Waffenbesitzer. „My Second Amendment people“, nannte Trump diese Menschen, diejenigen, die den zweiten Verfassungszusatz besonders wertschätzen, ein Großteil der republikanischen Wählerschaft. Besonders glühende Anhänger finden sich im rechten bis extrem rechten Milieu, es gibt Überschneidungsmengen zwischen radikalen Waffen-Milizionären und der Alt-Right-Bewegung, die Trump zuletzt nach dem Terroranschlag von Charlottesville hofierte.
Auch die institutionalisierte Lobby, die National Rifle Association (NRA), unterstützte den Kandidaten mit 30 Millionen Dollar und indem sie sich förmlich für Trump als Präsident aussprach. Trump dankte es, indem er im April als erster Präsident seit Ronald Reagan an der Jahrestagung der NRA teilnahm. Mit Neil Gorsuch installierte er außerdem einen Verfassungsrichter, der für eine sehr weite Auslegung des Zweiten Verfassungszusatzes steht.
Nein, aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich auch nach diesen 58 oder mehr Toten nichts ändern. Schaudernd werden die Europäer weitere Massaker verfolgen, aus sicherer Entfernung, räumlich, und hinweg über einen tiefen ideologischen Graben völligen Unverständnisses. Wir schauen hin, bleiben aber auch dieses Mal ratlos mit der banalen Erkenntnis: Wo Kriegswaffen sind, kommt es zu kriegsähnlichen Zuständen.
Das ist und bleibt das effektivste Waffengesetz der Vereinigten Staaten von Amerika.