Der Schrecken Ebola: Epidemie mit Nebenwirkungen
Ebola grassiert im Westen Afrikas – doch die Folgen spürt der gesamte Kontinent. Denn auch der wirtschaftliche Schaden ist groß.
Wahrscheinlich ist alles noch viel schlimmer. Bislang hat die Ebola-Epidemie im Westen Afrikas fast 2000 Menschen getötet und rund 3500 infiziert. Jedenfalls offiziell. Die wahren Zahlen könnten nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um das Dreifache höher liegen, weil viele Infizierte nicht gemeldet werden und im Stillen sterben. Auch ist fast die Hälfte aller insgesamt bekannten Fälle in den vergangenen vier Wochen diagnostiziert worden. Die WHO rechnet mit bis zu 20 000 Toten, wenn es nicht gelingen sollte, die immer schnellere Verbreitung des Virus alsbald zu stoppen.
Die menschliche Tragödie ist schlimm genug. Zusätzlich verursacht der bislang schlimmste Ausbruch des Ebola-Virus in den drei am schwersten betroffenen Ländern aber auch große wirtschaftliche Schäden – und droht nun weitere Staaten der Region zu erfassen, darunter Afrikas größte Volkswirtschaft Nigeria und den Verkehrsknotenpunkt Senegal.
Neben dem zwischenstaatlichen Handel leiden vor allem Landwirtschaft und Bergbau in Liberia, Guinea und Sierra Leone unter den Folgen des oft tödlichen Virus. Zusammen erwirtschaften die drei Länder ein Sozialprodukt von nur 13 Milliarden Dollar – weniger als der Bürgerkriegsstaat Afghanistan. Umso mehr sind ihre winzigen öffentlichen Haushalte nun belastet. Das droht ihre gegenwärtige Misere jedoch nur zu verschärfen.
Als zusätzliches Hindernis erweist sich nun ein von vielen Fluggesellschaften verhängter Anflugstopp. Nach British Airways, Kenya Airways und einer Reihe arabischer und asiatischer Gesellschaften hat nun auch Air France seine Flüge in die am schwersten betroffenen Länder wegen des stark rückläufigen Passagieraufkommens fast alle storniert.
Doch nicht nur Westafrika ist von der zunehmenden Hysterie betroffen: Inzwischen hat die Ebola-Epidemie auch direkte Auswirkungen auf den Tourismus im übrigen Kontinent, weil dessen insgesamt 54 Staaten vielerorts über einen Kamm geschoren werden – und Besucher aus Übersee Afrika aus Sorge vor einer Ansteckung generell meiden. Dies gilt auch für traditionelle Touristenziele wie Kenia, Tansania und Südafrika, die eigentlich weit vom eigentlichen Infektionsherd entfernt sind.
Die Epidemie hat das Zentrum der nigerianischen Ölindustrie erreicht
Besorgniserregend ist vor allem, dass die Epidemie inzwischen das Zentrum der nigerianischen Ölindustrie in der Hafenstadt Port Harcourt erreicht hat. Erst zu Wochenbeginn hatten die Behörden dort einen dritten Ebolafall gemeldet, wodurch die Zahl der bestätigten Infektionen landesweit auf 17 stieg. Entscheidend war hier offenbar die Infektion eines Arztes, der nach seiner Erkrankung noch Patienten operierte, darunter einen Ebola-Kranken, aber niemandem von diesem Kontakt erzählte. Inzwischen stehen mehr als 400 Menschen unter Beobachtung, mit denen der verstorbene Arzt in Berührung kam.
Zuvor war das Virus auf die Wirtschaftsmetropole Lagos beschränkt und somit weitgehend unter Kontrolle gewesen. Port Harcourt ist mit seinen 3,5 Millionen Menschen Sitz einer Reihe von Ölkonzernen. Eine Ebola-Epidemie in der Stadt könnte nach Ansicht von Beobachtern die Ölindustrie des mit 170 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Landes in Afrika zum Stillstand bringen. Bereits jetzt hat die Epidemie das Wirtschaftswachstum in der Region stark vermindert. In Sierra Leone, wo die Regierung in diesem Jahr ein Wachstum von 14 Prozent erwartet hatte – allerdings von einer extrem niedrigen Basis –, dürfte der Zuwachs nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank nun allenfalls halb so hoch ausfallen. Der Virus gefährdet nicht nur die Ernte, sondern hat auch die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben.
Panikkäufe verschlimmern die Versorgungslage
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) warnt bereits, dass sich die angespannte Versorgungslage eher noch verschärfen dürfte. Vor allem die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und die Schaffung von Quarantänezonen, mit denen eine weitere Ausbreitung des Virus verhindert werden soll, haben vielerorts zu Panikkäufen geführt. So ist der Preis des Grundnahrungsmittels Cassava, einer Wurzelknolle, in der liberianischen Hauptstadt Monrovia im August um 150 Prozent gestiegen. „Bereits vor dem Ausbruch der Epidemie haben viele Haushalte fast 80 Prozent ihres extrem geringen Einkommens für Lebensmittel ausgegeben“, sagt Vincent Marin, Chef der FAO-Niederlassung in Senegals Hauptstadt Dakar. Viele Menschen sind nach dem Verbot des Verzehrs von sogenanntem Buschfleisch wie Fledermäusen und Affen, die als Hauptübertragungsquelle des Ebola-Virus gelten, ohnehin kaum noch in der Lage, sich auch nur halbwegs ausgewogen zu ernähren.
Auch die Schließung der Ländergrenzen und der dadurch unterbrochene Warenaustausch haben in den Ländern zu Engpässen geführt, zumal praktisch alle Staaten in der Region Getreideimporteure sind. Die FAO hat inzwischen ein Notprogramm zur Bereitstellung von 65 000 Tonnen Lebensmitteln beschlossen, um die Menschen in Sierra Leone, Guinea und Liberia bis zum Jahresende ausreichend zu versorgen. Bei den Vereinten Nationen geht man jedoch davon aus, dass die Seuche bis dahin noch nicht vorüber ist. Vielmehr würde der Kampf gegen das Virus die internationale Gemeinschaft in den nächsten Wochen ähnlich stark fordern wie der Tsunami in Südostasien vor zehn Jahren. „Es ist eine der schwersten Gesundheitskrisen, die wir je zu bewältigen hatten“ sagt UN-Vize-Generalsekretär Jan Eliasson. Und ein Ende sei noch nirgendwo in Sicht.