Ebola in Westafrika: Impfstoff-Experimente unter Zeitdruck
Nach 1900 Todesfällen drängt die Zeit für einen wirksamen Ebola-Impfstoff. Der Forschung fehlt die Infrastruktur in den Krisengebieten. Fast 200 Ebola-Experten diskutieren nun in Genf den Einsatz bislang kaum erprobter Medikamente.
Der Albtraum von Will Pooley dauerte elf Tage. Der Krankenpfleger hatte sich in Sierra Leone bei einem Baby angesteckt, dessen Mutter an Ebola gestorben war. Anders als seine Patienten musste er nicht in dem völlig unzureichend ausgestatteten Krankenhaus in Kenema bleiben. Die britische Regierung evakuierte ihn sofort nach London. Im Royal Free Hospital wurde er nicht nur nach allen Regeln der Kunst intensivmedizinisch versorgt. Er bekam auch eine Infusion des Antikörper-Cocktails ZMapp.
Experten diskutieren die Rolle experimenteller Medikamte in Westafrika
Zwölf Stunden tropfte das Mittel in seine Venen. "Am nächsten Tag fühlte ich mich besser", sagte Pooley nach seiner Entlassung am Mittwoch dem "Guardian". Er ist einer von drei westlichen Helfern, die mit ZMapp behandelt wurden und überlebt haben. Niemand kann sagen, ob das Mittel den Ausschlag gab. Es gibt ebenso viele Gegenbeispiele. Und der kleine Vorrat des Herstellers ist aufgebraucht.
"Natürlich tun Ärzte alles, um todkranken Patienten zu helfen", sagt Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen. Doch nur unter kontrollierten Bedingungen entsteht daraus Wissen über die Verträglichkeit und Wirksamkeit der eingesetzten Arzneimittel, das später anderen Ebolakranken zugute kommt. "Sonst bleiben es Einzelfallbeschreibungen. Es ist jetzt an der Zeit, mit klinischen Prüfungen zu beginnen."
Wie solche Studien aussehen sollten und welche Rolle experimentelle Medikamente und Impfstoffe überhaupt während der Epidemie in Westafrika spielen können, beraten derzeit fast 200 Forscher, Kliniker und andere Experten bei der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf. Offene Fragen gibt es mehr als genug. Welche Mittel sind besonders vielversprechend und verfügbar? Wie kann man die Verwendung nicht zugelassener Mittel bewerten, was genau sind die Ziele und was ist dafür nötig? Wie kann man den Weg bis zur Zulassung beschleunigen und an die Ausbruchssituation anpassen? Unter welchen Umständen kann man die Verwendung von experimentellen Impfstoffen in Westafrika verantworten?
Im Epidemie-Gebiet fehlt es an Geld und Infrastruktur
Die Lage in Westafrika ist verzweifelt, die Ebola-Epidemie hat bisher mindestens 1841 Menschenleben gekostet und eskaliert immer schneller. In den provisorischen Kliniken fehlt es an allem: Betten, Schutzkleidung, Elektrolyte, Schmerzmittel. Sie müssen Patienten abweisen, Leichen verwesen auf der Straße. Quarantänen und Furcht verschärfen die Not. "Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen Tag zu verlieren", sagte der UN-Ebola-Beauftragte David Nabarro bei einer Pressekonferenz in Washington. "Wir wissen, wie man Ebola eindämmt. Aber wir brauchen etwa vier Mal so viele Helfer. Wir brauchen Geld, Material und Transportmöglichkeiten."
Nichts darf davon ablenken, darin sind sich auch die Forscher einig. Doch bevor nach jedem Strohhalm gegriffen wird, wollen sie zumindest die Sicherheitsprüfungen bei Menschen abschließen. "Alles andere würde ethischen und wissenschaftlichen Grundsätzen widersprechen", sagte Anthony Fauci von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA während einer Pressekonferenz. Vor allem gilt das für Impfstoffe, die Gesunde schützen sollen. „In Westafrika gibt es nicht die nötige Infrastruktur, um Nebenwirkungen sorgfältig zu überwachen.“ Der Virologe Stephan Becker von der Universität Marburg stimmt ihm zu und ergänzt: "Außerdem sind die Menschen dort nicht unsere Versuchskaninchen."
Deutschland und USA wollen Impfstoff mit freiwilligen Probanden entwickeln
In dieser Woche haben die ersten Freiwilligen in den USA einen Ebola-Impfstoff bekommen, der ein Schimpansen-Erkältungsvirus als Transportvehikel nutzt. Nach und nach werden weitere Probanden in Großbritannien, Mali und Gambia geimpft. Bis zum Jahreswechsel wollen die Forscher die ersten Daten auswerten und veröffentlichen. Ein in Kanada entwickelter Ebola-Impfstoff (VSV-EBOV) soll ab Herbst in den USA und in Deutschland sowie in Gabun getestet werden.
"Anders als die amerikanischen Kollegen wollen wir gezielt diejenigen ansprechen, die in Westafrika helfen werden", sagt Becker, der an den Beratungen in Genf teilnimmt. Die Studie wird vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung unterstützt, die Leitung übernimmt Marylyn Addo vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. An etwa 20 Freiwilligen wollen die Forscher nicht nur die Sicherheit und Verträglichkeit des Impfstoffes überprüfen, sondern auch die Immunreaktion des Körpers – als ersten Hinweis darauf, ob das Mittel möglicherweise vor Ebola schützt. "Natürlich heißt das nicht, dass die Helfer vor Ort unvorsichtig sein können", betont Becker.
Tests vor Ort sind noch "Gedankenspiele"
Wie man die Wirksamkeit der Impfungen während eines Ausbruchs testen kann, ist unklar. Wenn in einem Dorf ein Mensch an Ebola erkrankt ist, könnte man zum Beispiel in den Siedlungen im Umkreis impfen. Die Forscher sollten gleichzeitig etwas Infrastruktur für die Krankenversorgung mitbringen. "Im Moment sind das Gedankenspiele", sagt Becker. Allein die Sicherheitsprüfungen brauchen mehrere Monate. "Wenn wir künftig zumindest eine Therapie oder einen Impfstoff hätten, hat es sich gelohnt. Das wäre ein enormer Fortschritt."
Blutprodukte, Grippemittel und Schimpansen-Erkältungsviren
Zwei Impfstoffe gelten derzeit als vielversprechend.
Schimpansen-Adenovirus (NIAID, GlaxoSmithKline): Ein nicht vermehrungsfähiges Schimpansen-Erkältungsvirus schleust genetisches Material für ein Ebola-Oberflächeneiweiß in menschliche Zellen ein. Gegen dieses Eiweiß bildet das Immunsystem Antikörper. Vorteil: Erste Tests am Menschen haben in den USA begonnen, es folgen Tests in Großbritannien, Gambia und Mali.
VSV-EBOV (PHAC, New Link Genetics): Ein Ebola-Eiweiß wird auch hier in menschliche Zellen geschleust, damit das Immunsystem Antikörper bildet. Aber das Transportvehikel sind abgeschwächte Vesikuläre Stomatitis-Viren. Vorteil: Tests am Menschen starten bald, zuerst am Walter-Reed-Krankenhaus der US-Armee, dann in Deutschland. Eventuell hilft der Impfstoff dem Körper bis zu zwei Tage nach der Ansteckung. Kanada hat bereits 800 Impfdosen der WHO gespendet. Nachteil: Bei Patienten mit schwachem Immunsystem werden Komplikationen befürchtet, da es ein Lebendimpfstoff ist.
Außerdem werden verschiedene Therapien diskutiert.
Tekmira-Ebola (Tekmira Pharmaceuticals): RNS-Moleküle heften sich an zwei Gene im Erbgut von Ebola an und verhindern die Vermehrung. Vorteil: Erste Tests am Menschen laufen in den USA bereits. Das Immunsystem reagiert stark auf das Mittel. Nachteil: Wegen dieser (zu) starken Immunreaktion wurden die Tests unterbrochen.
BCX 4430 (Biocryst Pharmaceuticals): Das Mittel blockiert die Kopiermaschinen von RNS-Viren, die Polymerase. Im Tierversuch hat es Affen vor dem Marburg-Virus geschützt. Nun starten ähnliche Tierversuche mit Ebola. Nachteil: Es kann nicht sofort am Menschen getestet werden.
Grippemittel wie Favipiravir (Fujifilm/Medivector): Der Wirkstoff hemmt die Kopiermaschinen von Viren. Vorteil: Das Mittel ist sicher und hat alle klinischen Prüfungen für Grippe durchlaufen. Es konnte Mäuse vor Ebola schützen. Nachteil: Die Wirksamkeit bei Ebola-Patienten ist unbekannt. Sie brauchen das Mittel vermutlich länger und in einer höheren Dosis.
ZMapp (Mapp Biopharmaceutical): Drei verschiedene monoklonale Antikörper fangen die Ebola-Viren ab. Vorteil: Affen hilft das Mittel sogar bis zu fünf Tage nach der Infektion. Nachteil: Der kleine Vorrat der Forscher ist aufgebraucht. Es dauert Monate, bis Nachschub da ist. Aus den bisherigen Anwendungen kann man nicht auf die Wirksamkeit schließen.
Blutprodukte: Das Blut von Ebola-Patienten, die sich erholt haben, enthält wahrscheinlich Antikörper gegen das Virus. Die Menge entscheidet, ob sie anderen Erkrankten helfen können. Vorteil: Blutprodukte können in großer Menge produziert werden. Nachteil: Diese Art des Heilversuchs ist alt, bislang waren die Ergebnisse zwiespältig. Die Blutprodukte müssen sorgfältig aufbereitet werden, damit sie sicher sind. Es dürfen keine Krankheitserreger – zum Beispiel HIV oder Hepatitis C – übertragen werden.