Johannes Heesters ist tot: Eleganz war seine Rebellion
Don Juan im Frack, Luftikus und Jahrhundert-Entertainer: zum Tod von Johannes Heesters. Der Schauspieler und Sänger starb am Samstag im Alter von 108 Jahren im Klinikum Starnberg.
Frack, Zylinder, Stock und Einstecktuch, das war seine Arbeitskleidung. Mit durchgedrücktem Rücken und einem strahlenden, manchmal leicht spöttischen Lächeln auf den Lippen, so hat sich Johannes Heesters durchs Leben bewegt. Sein Rollenfach war der Bonvivant mit lässig um den Hals gewickeltem Seidenschal, ein Typus, der den in Paris spielenden Romanen und Operetten des Fin de siècle entstammte. Die Zeiten mochten hart und trostlos sein, aber Heesters schien immer unterwegs zu irgendeinem nächtlichen Vergnügen zu sein. Die Eleganz war seine Art der Rebellion gegen die Zumutungen des 20. Jahrhunderts.
Am Heiligen Abend ist er um 10 Uhr 15 in Beisein seiner Ehefrau Simone Rethel und seiner Enkelin Wiesje Herold friedlich verstorben, hieß es aus dem Klinikum Starnberg. Heesters war am 17. Dezember mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gekommen und lag seitdem auf der Intensivstation. Heesters, der erst am 5. Dezember seinen Geburtstag gefeiert hatte, galt als der älteste Schauspieler der Welt.
Den Grafen Danilo Danilowitsch aus Lehárs Stück „Die lustige Witwe“, die Rolle seines Lebens, spielte Heesters mehr als 1600 mal, zum ersten Mal Silvester 1938 im Münchner Gärtnerplatztheater und zum letzten Mal 1988 bei einer Gala zu seinem 85. Geburtstag. Danilo ist ein donjuanhafter Luftikus, einer, der auch im allergrößten Schlamassel noch die Korken knallen lässt. „Ich wollte nicht, dass die Leute sagen: ,Na, der kann gar nicht mehr ins Maxim gehen – der muss mit dem Rollstuhl gefahren werden“, so begründete Heesters seinen Abschied von der Rolle. Doch den größten Hit aus der Operette, eine überschwängliche Hymne auf den Hedonismus, hat er auch danach immer noch gerne gesungen: „Da geh’ ich ins Maxim / Dort bin ich sehr intim / Ich duze alle Damen / Ruf’ sie beim Kosenamen / Lolo, Dodo, Joujou, Clocio, Margot, Froufrou / Dann wird champagnisiert / Und häufig cancaniert / Und geht’s ans Kosen, Küssen / Mit allen diesen Süßen.“
Heesters’ Art, seine Karriere umspannt das gesamte 20. Jahrhundert des Entertainment, von der Stummfilm- und Schellackplatten-Ära bis ins Zeitalter von Internet und DVD. Seinen ersten Film drehte er 1924, ein expressionistisches Melodram mit dem Titel „Cirque Hollandais“, über das er achtzig Jahre später spottete: „Der Regisseur bestand darauf, dass ich sehr stark geschminkt wurde. Ich sah mit Anfang 20 wie ein Grufti aus, etwa so wie heute der Sänger von Tokio Hotel.“
Vom Komparsen stieg er bald zum lokalen Operetten- und Revuestar auf
Heesters, 1903 als Kaufmannssohn im Städtchen Amersfoort bei Utrecht geboren, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Banklehre in Rotterdam und eine Schauspielausbildung bei der Bouwmeester-Kompanie in Amsterdam hinter sich, vom Strindberg- und Shakespeare-Komparsen stieg er bald zum lokalen Operetten- und Revuestar auf. 1934 wird er zum Vorsingen an der Wiener Volksoper eingeladen. Bevor er fährt, spricht er mit dem befreundeten Kollegen Siegfried Arno über das Angebot. Arno, der als Jude aus Deutschland geflohen war, habe ihm geraten: „Da gibt es nichts zu überlegen. Du wirst zuerst das österreichische und dann das deutsche Publikum erobern. Aber halte dich aus der Politik raus!“
Genauso kam es, die Kinogänger und Theaterbesucher in Wien und Berlin schienen geradezu auf so einen saloppen Helden wie diesen schmächtigen holländischen Tenor mit der hellen, übersensiblen Stimme gewartet zu haben. Und er versuchte, wie von Arno empfohlen, sich nicht einzulassen mit der Politik. Das mag naiv gewesen sein, auf Dauer konnte sich keiner im Deutschland des „Dritten Reichs“ heraushalten aus der Politik und den Verbrechen, erst recht nicht als Kinostar in der Propaganda- und Zerstreuungsmaschinerie der staatlich gelenkten Studios, dem Lieblingsspielzeug des Dr. Goebbels.
Sein Ufa-Debüt gab Heesters, nach einem kurzen österreichischen Intermezzo, 1936. „Der Bettelstudent“, ein Mantel-und-Degen-Musical nach der Millöcker-Operette, spannte ihn gleich mit Marika Rökk zusammen, der Ungarin, der als singender, tanzender, lachender Exotin ein ähnlich steiler Karriereweg im NS-Film bevorstehen sollte. Heesters wurde vereinnahmt, er ließ sich vereinnahmen. Seinen Vornamen Johan verlängerte die Ufa zu „Johannes“, er sollte „urdeutsch“ klingen.
Bis 1945 dreht Heesters weitere zwanzig Filme in Deutschland, es ist die Zeit seiner strahlendsten Triumphe. Es sind keine Propagandafilme, sondern Vehikel der Ablenkung, aufwändig inszenierte Kostümschinken wie „Das Hofkonzert“, „Nanon“ oder „Die Fledermaus“ und heiter-belanglose Komödien wie „Wenn Frauen schweigen“, „Karneval der Liebe“ oder „Jenny und der Herr im Frack“, Filme, in denen, abgesehen von stramm im Wind knatternden Hakenkreuz-Flaggen, die Wirklichkeit des „Dritten Reichs“ nicht vorkommt.
„Unsere Arbeit war wohl die verlogenste, die es in jener Zeit gab“
Die Schlager, die Heesters intoniert, heißen „Heut ’ ist der schönste Tag in meinem Leben“, „Man müsste Klavier spielen können“ oder „Durch dich wird diese Welt erst schön“. Mit Marika Rökk, seiner Partnerin in drei Filmen, singt er 1939 in „Hallo Janine“ ein übermütiges Swingstück, das den eskapistischen Geist der Ufa-Ablenkung auf den Punkt bringt: „Ich brauche keine Millionen / Mir fehlt kein Pfennig zum Glück / Ich brauche weiter nichts als Musik, Musik, Musik.“
„Unsere Arbeit“, so hat Heesters später selbstkritisch bilanziert, „war wohl die verlogenste, die es in jener Zeit gab.“ Er genoss den Ruhm und die Anerkennung der Mächtigen, lebte ab 1939 mit seiner Familie in einer „arisierten“ Villa im Berliner Grunewald und bezog von 1941 an ein stattliches Jahressalär von 72000 Reichsmark, etwa so viel wie Marika Rökk, aber deutlich weniger als Hans Albers (240000 RM) oder Heinrich George (214000 RM). Heesters gehörte zu Hitlers Lieblingsschauspielern, nach einer Aufführung empfing der Diktator ihn in seiner Loge und schwärmte: „Ich danke Ihnen für diesen schönen Abend. Die Lustige Witwe ist meine Lieblingsoperette, und Sie sind für mich der beste Danilo, den ich kenne!“
Heesters mag ein Opportunist gewesen sein, aber vor allem war er ein Traumtänzer. Auf der Bühne und im Kino, so hat er in seiner Autobiographie angemerkt, sei er in einer Welt zuhause gewesen, die stets „einen Fußbreit über der Wirklichkeit“ schwebte. Hitler habe er schon deshalb verachtet, weil er bei dem Empfang zur Begrüßung aufgesprungen sei. „Meine Königin wäre sitzen geblieben.“ Heesters, durch und durch ein Patriot, weigerte sich, seine niederländische Staatsbürgerschaft aufzugeben, selbst als Goebbels persönlich ihn dazu drängte. Im Sommer 1938 ging Heesters als Hauptdarsteller der „Gräfin Mariza“ mit dem jüdischen Operettenensemble des deutschen Emigranten Fritz Hirsch auf Tournee durch Holland. Für seine Berliner Arbeitgeber war das ein Affront. Goebbels drohte mit einem Beschäftigungsverbot und beschied dem politisch naiven Schauspieler bei seiner Rückkehr nach Berlin: „Sie leben hier, hier verdienen Sie Ihr Geld und hier sind wir gegen die Juden, Herr Heesters.“
In Holland hat man Heesters die Bilder aus Dachau nie verziehen
Der schwärzeste Tag in Heesters’ Karriere ist der 21. Mai 1941. An diesem Tag besichtigt er auf Einladung der SS mit dem Ensemble des Münchner Gärtnerplatz-Theaters, wo er gerade in dem Lustspiel „Axel an der Himmelstür“ auftritt, das KZ Dachau. Die Gruppe wird über den Appellplatz und durch die Großküche geführt, am Ende spielt das Lagerorchester ein Ständchen. Der Kommandant bedankt sich mit einem Fotoalbum für „den frohen und heiteren Nachmittag“. Er sei zu dem Besuch gezwungen worden, rechtfertigt sich Heesters später und beharrt darauf, vor den SS-Mördern nicht gesungen zu haben. Den Kabarett-Historiker Volker Kühn, der das behauptet hat, verklagt er erfolglos. Der Rechtsstreit endet 2010 mit einem Vergleich.
In Holland hat man Heesters die Bilder aus Dachau, die nach dem Krieg in Illustrierten auftauchten, nie verziehen, sie schienen seine Komplizenschaft mit den Tätern zu belegen. „Heesters – SS! Heesters – SS!“, skandieren Zuschauer, als der Sänger 1964 mit dem Musical „The Sound of Music“ vergeblich ein Comeback in Amsterdam versucht, auch danach bleibt das Verhältnis zu seinen Landsleuten gebrochen.
In Deutschland fliegen Heesters die Herzen weiter zu. Als er, inzwischen nach Österreich umgezogen, 1949 zum ersten Mal nach dem Krieg wieder auf einer deutschen Bühne steht und in Nürnberg, was sonst, den Grafen Danilo Danilowitsch gibt, wird er mit „Jopie“-Sprechchören begrüßt. In Papas Kino der Wirtschaftswunderjahre gehört er bald zu den festen Größen, allein 1953 dreht er fünf Filme. Heiterkeit ist wieder gefragt, man hält sich ans Altbewährte. „Die Csárdásfürstin“, „Im weißen Rössl“ oder „Opernball“, es sind die gleichen Stoffe wie vor 1945, meist von den alten Regisseuren mit den alten Teams inszeniert, die aber nun, mit kleineren Budgets ausgestattet, wie die ästhetische Schrumpfversionen der Ufa-Erfolge wirken. Heesters verwandelt sich in seinen eigenen Markenartikel. Als ewiger Herr im Frack verkörpert er von den sechziger Jahren an im Fernsehen und auf den Boulevardbühnen von München, Wien und Berlin nur noch sich selbst, ein stets makellos gekleideter Gegenentwurf zur Nachlässigkeit der beginnenden Jeans- und Turnschuh-Ära.
Auf Altersrollen wie im Komiker-Abgesang „Sonny Boys“ folgen Uraltrollen wie „Casanova auf Schloss Dux“ und der Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde als ältester aktiver Schauspieler der Welt. Nachdem seine erste Frau nach 53 Jahren Ehe gestorben ist, heiratet Heesters 1992 die um 46 Jahre jüngere Schauspielerin Simone Rethel und lebt mit ihr am Starnberger See. „Die Leute haben gesagt: Ein alter Mann und ein junges Mädchen – die sollen sich was schämen. Ich hab’ gesagt: Das will ich nicht mehr hören – da haben wir geheiratet.“
Noch im Sommer 2010 spricht Heesters in einer Berliner Inszenierung von Rolf Hochhuths „Inselkomödie“ zwei kurze Monologe. Da ist er bereits erblindet. Seine letzte Rolle als auf der Bühne agierender Schauspieler hatte er 2002 als greiser Diener Firs in Tschechovs Abschiedskomödie „Der Kirschgarten“ im Münchner Metropol-Theater. „Mich haben sie vergessen“, sagt Johannes Heesters in der Schlussszene. „Das Leben ist vergangen, als ob ich nicht gelebt hätte.“ Dann schlurft er in langsamen, leicht wackligen Schritten davon.
Christian Schröder
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