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Gina-Lisa Lohfink auf dem Weg zum Gericht.
© REUTERS

Gina-Lisa Lohfink vor Berliner Amtsgericht: Eine überforderte Angeklagte und viel Theater

Der Prozess um Gina-Lisa Lohfink ist zum Politikum geworden. Das der Falschverdächtigung angeklagte Model kann damit kaum umgehen.

Kämpfen will sie, für alle Frauen. „Es kann doch nicht sein, dass Männer mit Frauen machen, was sie wollen“, spricht die Angeklagte vor Prozessbeginn in Fernsehkameras. Klatschen, Jubel. „Endlich ist die Politik aufgewacht.“ Dann balanciert Gina-Lisa Lohfink, 29 Jahre alt, in kurzem Rock und ärmelfreier Ankerbluse auf turmhohen Absätzen in einen der großzügigeren Säle des Berliner Amtsgerichts. Wer sie nicht kannte, kennt sie jetzt. Lohfink hatte vor vier Jahren in einer Berliner Wohnung Sex mit zwei Männern. Eine Vergewaltigung, sagt sie. Sie wollte es, sagen die Männer. Jetzt werfen ihr die Staatsanwälte eine Falschverdächtigung vor.

Es gibt Videos von der Nacht, „Nein“ und „hör auf“, sagt sie auf einem. Auf anderen wirkt sie gelöst, singt, tanzt, küsst. Die Männer haben Strafbefehle bekommen, weil sie die Szenen verbreitet haben sollen. Einige sind bis heute im Netz. Ein klarer Fall, sagen Leute, die das gesamte Material kennen. Lohfink und ihre Anwälte bestreiten das. Die Männer hätten sie mit K.o.-Tropfen gefügig gemacht. Damit wurde Lohfink zum Musterfall einer vorgeblichen Lücke im Strafrecht. „Hör auf“ reicht wohl nicht. Sex gegen den Willen eines anderen soll endlich strafbar werden, auch ohne dass sich ein Opfer wehren muss: „Nein heißt nein“, lautet die Parole.

Kann nicht alles, aber macht alles

Die Angeklagte weint, zittert, stöhnt. Blickt hilfesuchend an die Decke, hält sich an ihren Anwälten fest. Am vergangenen Prozesstag Anfang Juni erlitt sie auf der Toilette einen Zusammenbruch, umfangreich dokumentiert von einem Privatsender. Richterin Antje Ebner möchte das nicht noch einmal haben. Sie rät zu Wasser und Frischluft. In puncto Aufmerksamkeit ist das Verfahren eine Karrierehöhepunkt. Lohfink, gelernte Arzthelferin aus dem hessischen Seligenstadt, arbeitete sich durch örtliche Misswahlen, bevor sie sich 2008 in Heidi Klums Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ als solches präsentieren ließ. Dort flog sie früh raus, aber erst nachdem ihr Spruch „Zack die Bohne“ samt ihres offensiv-unbedarften Auftretens sie zur Musterblondine und Amüsiermarke gemacht hatten. Moderatorin, Schauspielerin, Sängerin.

Eine Frau, die nicht alles kann, aber alles macht – als Mörtel Lugners Gast beim Wiener Opernball, als „Penthouse“-Cover, Werbegesicht und Sexmessen-Plakat. Ein Post-It-Girl für alle Anlässe. Liebenswert, herzensgut, so schildert die frühere Managerin ihren damaligen Schützling. „Aber leicht zu beeinflussen.“ Es ist ein Freitag im Juni 2012, als das Drama beginnt. Im Berliner Nachtclub Maxxim lernt Lohfink den Vip-Betreuer Sebastian C. und seinen Kumpel Pardis F. kennen, mit dem sie später im Hotelbett landet. Samstag geht die Party weiter, der Alkohol fließt. Zu Dritt geht es in Sebastians Wohnung. Das Trio hat Sex, die Männer filmen.

Das Video wird der Presse angeboten, die ablehnt. Dann steht es plötzlich im Netz. Ein Anwalt erstattet für Gina-Lisa Strafanzeige wegen der Verbreitung der Szenen. Da heißt es noch, der Sex sei „einvernehmlich“ gewesen. Auch hat sie unmittelbar nach dem Wochenende noch zärtliche SMS an Pardis geschickt. Erst später, so die Version von Lohfink, beim Anblick des Videos sei ihr klargeworden, dass sie vergewaltigt worden sei. Pardis F. ist ein kräftiger Mann, gutaussehend. Erst galt er als Täter, jetzt ist er Zeuge. „Der Geschädigte“, wie Ermittler formulieren. So sieht er selbst es auch. Lohfink sei „auf Wolke sieben“ gewesen, auch, weil er am Tag nach der angeblichen Tat ein Treffen mit dem Fußballnationalspieler Jerome Boateng vermittelte, das sich in der Boulevardpresse wiederfand. „Sie hat alles voll mitgemacht“, sagt der Zeuge über die Nacht.

Eine schmutzige Geschichte?

Zu Sebastian C. geht er spürbar auf Distanz, nennt ihn einen „bunten Vogel“ aus einem „Milieu, mit dem ich nichts zu tun haben will“. Lohfinks Verteidiger glauben das nicht. Sie wollen nachweisen, dass das Duo reihenweise Prostituierte kommen ließ. Entschuldigt habe er sich nie, nicht für die Videos, nicht für anderes, sagt Pardis F. vor Gericht. „Sie hat bekommen, was sie wollte.“ Nach dem Treffen mit Boateng habe er ein letztes Mal mit Lohfink Sex gehabt, in ihrem Hotel. Dann gab es Streit wegen der Videos. Die Managerin warf ihn raus. Eine schmutzige Geschichte. Oder ein politisches Verfahren?

Die Verhandlung im Moabiter Kriminalgericht wurde nicht einmal angekündigt, man wollte die Betroffene schonen. Nun sieht Bundesministerin Manuela Schwesig darin den Beleg für die angestrebte Reform des Sexualstrafrechts, Justizminister Heiko Maas äußert sich ähnlich. Berlins Justizminister Heilmann fühlt sich gedrängt, seine Ankläger in Schutz zu nehmen. „Nein heißt nein“, brüllt eine Unterstützerin auf dem Gerichtsflur. Das „Team Gina Lisa“ hat zum Protest gerufen. „Nein heißt Nein“ – ein Slogan, der verspricht, übergriffigen Männern eine Lehrstunde in Sachen weiblicher Autonomie zu erteilen.

Die Wortwiederholung verstärkt den erzieherischen Charakter, es wirkt, als müsse und könne einem Kind etwas beigebracht werden, was es einfach nicht kapieren will. Möglicherweise liegt hier der Schlüssel für den offenkundigen Erfolg, das juristische Insiderthema für eine breite gesellschaftspolitische Debatte und einen exklusiven Gerichtstermin aufbereitet zu haben. Denn das war es: eine Fachdebatte. Seit Jahren. Verstärkt durch die deutsche Unterschrift zu einem Europarats-Übereinkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, kurz Istanbul-Konvention. Die Staaten verpflichten sich darin, jede „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung“ unter Strafe zu stellen. Jede? Jede! Lange rührte sich nichts dazu im Bundesjustizministerium, hatte man die Strafvorschriften doch umfassend saniert und, ganz modern, geschlechtsneutral formuliert.

Auch Frauen können seitdem Vergewaltigerinnen sein. Paragraf 177, die sexuelle Nötigung: Wer eine andere Person mit Gewalt, durch Drohung oder unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage zum Sex nötigt, wird mit mindestens einem Jahr, in schweren Fällen mindestens zwei Jahren bestraft. Ein solcher Fall ist unter anderem die Vergewaltigung, das „Eindringen in den Körper“. Ein Klappmesser in der Tasche genügt, schon landet der Täter bei mindestens drei Jahren, bei fünf, wenn er es herausholt. Das bedeutet Gefängnis. Bewährung gibt es nur bis zwei Jahren. Paragraf 177 ist nicht alles. Mehr als 20 Tatbestände hält das Gesetzbuch zum Schutz sexueller Selbstbestimmung bereit. Wenn nichts passt, greift die klassische Nötigung, die sexuelle Handlungen als besonders schweren Fall definiert. Es droht Strafe bis zu fünf Jahren. Man darf darüber streiten, ob das hart genug ist. Sexuelle Gewalt kann die Seele von Menschen vernichten. Da kann es komisch erscheinen, wenn Steuerhinterzieher mit ähnlichen Strafen nach Hause gehen. Aber fest steht, dass wenn sich etwas ändert, es immer härter und schärfer werden muss.

Härte? Schärfe!

Seit Jahren. In der aktuellen Debatte geht es nicht um die Härte. Es geht um Schärfe. „Mit Gewalt“, „durch Drohung“ – all das, beklagt die „Nein heißt Nein“-Fraktion, müsse vor Gericht erst nachgewiesen werden. Dabei gehe es doch um die Weigerung, um das Nicht-Einverständnis, wie es auch die Istanbul-Konvention verlange, dass es Gesetz werden soll. Ein schlagendes Argument. Andererseits: Das geltende Recht schützt das „Nein“ ebenfalls. Eine Frau, die sich nicht freiwillig fügt, muss dazu genötigt, ihr freier Wille gebrochen werden. Wehren muss sie sich nicht. Sie muss nicht schreien und nicht weinen.

Angst genügt. Kein Bedarf, keine Reform. Keine Spur von Gefühl dafür auch bei dem damals neu ins Amt gelangten Justizminister Maas. Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es unbedingt notwendig, ein Gesetz nicht zu erlassen, riet der gelernte Richter Montesquieu. Maas hielt sich erst dran und sah es irgendwann anders. Im Herbst 2014 ließ es die Länder nach Fällen aus der Praxis fahnden, in denen Sextäter aufgrund mangelhafter Gesetze ungestraft blieben.

Zurück kam kaum etwas. Und wenn, dann war es Theorie. Davon gab es genug. Trotzdem, plötzlich redete der Minister anders. Er sagte nicht „Nein heißt nein“, er sagte: „Schutzlücken“ – und brachte 2015 ein Gesetz auf den Weg, das weitere „besondere Umstände“ aufzählte, in denen der ausgeübte Zwang zur strafbaren Nötigung wird. Als es nach der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte dann erschien, als sei Deutschland hilflos gegen Sex-Attacken, versuchte Maas noch, sein Vorhaben als kalkulierte Reaktion zu verkaufen. Aber es war zu spät. Längst gab es Neinsager in der Union, bei der SPD, Grünen und Linken ohnehin. Die Fraktionen sind sich einig, heißt es. Im Gericht ist die große Politik kein Thema, sie bleibt vor der Tür. Ein Fußballer hat Angst um seine Karriere, nur deshalb, sagt er, habe er den Strafbefehl akzeptiert.

Eklat vor Gericht

Das Verfahren gegen Sebastian C. läuft noch. Als Zeuge steht er nicht zur Verfügung. Lohfink habe mit ihnen gescherzt und gelacht, erzählt Pardis F. Dann sei er in ein anderes Zimmer gegangen, um zu schlafen. Lohfinks Managerin Alexandra S. spricht von ihrer Fürsorge, davon, dass die Angeklagte niemals lügen könne. Aber sie kann nicht erklären, weshalb in der ersten Anzeige von einvernehmlichen Sex die Rede war. Sie weint. Die Richterin reicht Taschentücher. Lohfink weint auch. Nach der angeblichen Tatnacht will sie Lohfink extrem angeschlagen erlebt haben, anders als nur durch Alkohol.

S. ist überzeugt, dass die Angeklagte damals ein Opfer war. Die Staatsanwältin wundert sich, dass dies in ihren früheren Aussagen nicht so deutlich wurde. Erst am Nachmittag sollen die Videos gezeigt werden. Doch dazu kommt es nicht. Es gibt wieder Theater. Als die Richterin sich weigert, die Öffentlichkeit auszuschließen, empören sich die Anwälte. Einer schmeißt seine Robe hin und verlässt wütend den Saal. Lohfink schluchzt. Es hagelt Befangenheitsanträge, ein Urteil wird es wohl erst im August geben.

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