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Hier könnte bald eine Kirche stehen. Der verlassene katholische Friedhof auf dem Baugrundstück für die aramäische Kirche im Istanbuler Stadtteil Yesilköy.
© Susanne Güsten

Türkei: Eine Kirche für Istanbul

Christen bauen das erste eigene Gotteshaus in der Türkei seit fast hundert Jahren. Das soll 3,5 Millionen Euro kosten – die katholische Kirche verdient mit.

Möwen segeln über den kleinen Park am Ufer des Marmara-Meeres im Istanbuler Stadtteil Yesilköy. San Stefano hieß dieser Ort vor hundert Jahren, damals lag er noch außerhalb der Stadt. Eine verfallene Kapelle und ein paar alte Grabsteine in einer Ecke des Parks erinnern daran, dass hier einst viele Christen lebten – Griechen, Armenier, Katholiken. Die meisten von ihnen sind lange fort, ihre prächtigen Holzvillen verfallen und verfault. Doch soll nun hier wieder eine Kirche errichtet werden – der erste Kirchenneubau in der Geschichte der Türkischen Republik.

Sieben Jahre lang haben sich aramäische Christen um eine Baugenehmigung für das Gotteshaus bemüht – jetzt erhielten sie endlich die offizielle Erlaubnis. Der Gemeinde-Älteste Sait Susin, der Besucher im Gemeindesitz in der Nähe des Baugrundstücks empfängt, tut einen Stoßseufzer: „Wir haben endlich alle Hürden überwunden und die Baugenehmigung in Händen. Sobald das Wetter es erlaubt, werden wir den ersten Spatenstich tun – voraussichtlich im März.“

Sait Susin ist der Vorsitzende der syrisch-orthodoxen Kirchengemeinde von Istanbul, die freilich nichts mit Syrien zu tun hat. Die Gemeindemitglieder sind aramäische Christen aus Südostanatolien, die im letzten Jahrhundert aus ihren angestammten Siedlungsgebieten in Tur Abdin, Mardin und Diyarbakir im Südosten der Türkei geflohen waren. Etwa 300.000 aramäische Christen leben heute in Europa und Amerika, wo sich viele auch als assyrische Christen bezeichnen; die größte Gruppe mit rund 100.000 in Deutschland.

Gotteshaus für 17.000 Gläubige

In Istanbul sind es immerhin 17.000 Seelen, und die brauchen eine neue Kirche. Die bisherigen Notlösungen funktionieren nicht mehr, sagt Susin: „Unsere Gottesdienste verrichten wir bisher als Gäste bei sieben verschiedenen Kirchen anderer Glaubensgemeinschaften. Die platzen aber aus allen Nähten, wenn wir kommen, denn wir Aramäer sind zahlreicher als die anderen Gemeinden – und wir gehen sonntags alle in die Kirche.“

Mit ihrem Wunsch nach einer Kirche betrat die Gemeinde politisches Neuland, denn das hat es seit der Gründung der Türkischen Republik 1923 nicht gegeben. Susin und die anderen Aramäer-Vertreter mussten deshalb zunächst die türkischen Behörden überzeugen. Schließlich gibt es in Istanbul an die 200 Kirchen, von denen die meisten leer stehen, weil es am Bosporus nur noch wenige Christen gibt. Doch eben nicht in Yesilköy, wo die meisten Aramäer in Istanbul wohnen, betont Susin.

Der örtliche katholische Gemeindepriester schlug für den Kirchenbau den alten Friedhof in Yesilköy vor, der laut türkischen Gesetzen wegen mangelnder Nutzung an den Staat gefallen war. Die Stadtverwaltung gab das Gelände daraufhin frei; die Aramäer überwiesen den Katholiken dafür eine „Spende“ von 200.000 Euro, wie Susin berichtet. Doch dann kam ein neuer katholischer Geistlicher ins Amt, forderte das Grundstück von der Stadtverwaltung zurück und ging vor Gericht. Der Prozess windet sich seit Jahren durch die Instanzen, ohne dass ein Ende absehbar ist. Eine einstweilige Verfügung verhinderte den Baubeginn.

Inzwischen beteten die Aramäer weiter in fremden Kirchen – und riefen in ihrer Verzweiflung sogar den Papst an. Die Interventionen beim Vatikan dauerten drei Jahre, sagt Susin. „Einige türkische Minister haben uns schon scherzhaft damit aufgezogen, dass die Christen den Kirchenbau verhindern, den die Muslime genehmigt haben.“

Zeit der Ruhe und Sicherheit

Der vatikanische Botschafter in der Türkei handelte schließlich einen Deal aus, bei dem die aramäische Gemeinde laut Susin möglicherweise noch mehr Geld auf den Tisch legen muss. „Wenn die Katholiken den Prozess gegen die Stadt gewinnen, bekommen sie von uns noch einmal eine wesentlich höhere Summe als die schon gezahlten 200.000 Euro“, sagt Susin. Wie hoch, will er nicht sagen.

Im Gegenzug stimmten die Katholiken zu, die einstweilige Verfügung gegen den Baubeginn zurückzuziehen, sodass es endlich losgehen kann. In zwei Jahren Bauzeit soll ein Gotteshaus für 650 Gläubige entstehen, Parkplatz und Gemeindesaal inklusive. Die Einigung mit den Katholiken dürfte ein größeres Loch in die Kasse der Aramäer gerissen haben, die den 3,5 Millionen Euro teuren Kirchenbau komplett mit Spenden aus der Gemeinde bestreiten. Mit den türkischen Behörden hätten sie dagegen weniger Probleme gehabt, erzählt Susin im Empfangsraum des Gemeindesitzes, der mit Fotos des aramäischen Metropoliten von Istanbul und Ankara sowie türkischer Spitzenpolitiker geschmückt ist. Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst habe sich von Anfang an für das Projekt eingesetzt.

Im Westen werde das vielleicht überraschen, sagt Susin: „Im Ausland weiß man das ja nicht so, aber wir Christen und Juden in der Türkei erleben in den letzten 15 Jahren eine Zeit der Ruhe und Sicherheit, wie wir sie in der Geschichte der Türkischen Republik noch nie gekannt hatten.“ In zwei Jahren soll die neue Kirche eröffnet werden – wenn die Spendengelder ausreichen.

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