Sex-Bestseller: Ein Sado-Maso-Thriller erobert die Welt
Der Verkaufserfolg des Romans "Fifty Shades of Grey" stellt sogar die Harry Potter-Reihe in den Schatten. Die englische Autorin E. L. provoziert mit ihrem "Mummy-Porno" eine Debatte um den Wunsch nach sexueller Unterwerfung.
Verschämt lachend, mollig, freundlich, versucht Erfolgsautorin E. L. James an den Fingern ihrer Hand abzuzählen, wofür die Buchstaben BDSM eigentlich stehen. „Bondage (Hörigkeit/Fesselungsmanie) und Disziplin, Dominanz und Submission (Unterwerfung), Sadismus, Masochismus“ – schon sind ihr die Finger ausgegangen. „Googeln Sie das lieber nicht“, warnt der BBC-Moderator die Zuschauer des Spätmagazins. Zu spät. Schon sind die Grenzen des öffentlichen Diskurses über Sex wieder einmal ausgeweitet und Tabus gebrochen worden. Auch in der Talkshow ist von Peitschen, Genitalklammern, Analverkehr und Fisting die Rede. E. L. James hat nicht gerade einen Softporno geschrieben.
Auch in deutschen Talkshows wird man sich wohl daran gewöhnen müssen. Am 9. Juli erscheint der erste Band „Fifty Shades of Grey“ der Trilogie auf Deutsch, Titel: „Geheimes Verlangen“. Gerade noch war es in England und in den USA ein Geheimtipp, den sich Frauen an Schultoren und auf Partys weiterflüsterten. Nun kann man die Bücher über Amazon in Geschenkverpackung verschicken. Erst verbreiteten sich die Romane als E-Bücher im Internet mit viraler Geschwindigkeit. Im April nahm sich der amerikanische Verlag Random House der Sache an und schon gehen die Bücher in die 11. Auflagenmillion. In Großbritannien steht das Buch vor „Her Majesty the Queen: Diamond Jubilee“ auf der Bestenliste und löste Harry Potter als schnellstverkauftes Buch der Geschichte ab. In den einschlägigen amerikanischen Bastelläden seien Stricke und Handschellen ausverkauft, wird behauptet. Selbstredend ist der Film bereits in Vorbereitung. E. L. James, die bereits 15-fache Millionärin sein soll, wie ausgerechnet wurde. hat sich auch die Lizenzrechte für „Fifty Shades“-Sexspielzeuge und -Unterwäsche gesichert.
Die Jungfrau und der Milliardär
Es geht in der Trilogie um die Begegnung der Studentin Anastasia Steele mit dem reichen Unternehmer Christian Grey. Sie hatte schon College-Abschluss und Führerschein und war immer noch Jungfrau, er ist nicht nur Milliardär, sondern weiß auch sonst, was Frauen lieben. Vor allem hat er dunkle Geheimnisse und einen verletzten inneren Kern und muss, wie alle wirklich verführerischen Männern, von seiner Geliebten erst von tiefen, verborgenen Wunden geheilt werden.
„Keine Ahnung, warum die Bücher so erfolgreich sind. Es ist eigentlich doch nur eine Liebesgeschichte“, beteuert E. L. James. Die drei Titel zeigen den Gang der Geschichte an: Der zweite Band heißt „Fifty Shades Darker“ (Dunkler) der dritte „Fifty Shades Freed“ (Befreit). Erst wird in dem Bildungs- und Selbstfindungsroman die Liste der gängigen und weniger gängigen Sexualpraktiken abgearbeitet, die gleich im ersten Band zwischen den beiden Personen vertraglich fixiert wird. Dann steht dem märchenhaften Happy End nichts mehr im Wege. „Am Schluss sind sie zusammen, haben Liebe, Leidenschaft, Intimität, Reichtum und eine Welt unendlicher Möglichkeiten“, heißt es im Klappentext. Die neue Literaturfusion von Lore-Roman und Hard-Core-Porno hat in England auch bereits eine Gattungsbezeichnung: „Mummy-Porno“.
Hinter dem Autorenpseudonym E. L. James verbirgt sich die 49-jährige, in London lebende Erika Leonard. Schriftstellerin wollte sie immer schon werden – „seit meiner Kindheit träumte ich davon, Geschichten zu schreiben, in die sich die Leser verlieben würden“, teilte sie mit – aber Karriere und Kinderkriegen kamen dazwischen. Verheiratet ist die ehemalige BBC-Produzentin mit dem Drehbuchautor Niall Leonard, der unter anderem bei der in Schottland spielenden TV-Heimatserie „The Monarch of the Glen“ am Drehbuch mitarbeitete. Er soll bei den saftigsten Sexszenen professionelle Schreibhilfe geleistet haben. Den beiden Teenagern des Leonard-Haushalts ist die Sache enorm peinlich.
E. L. James war Twilight-Fan und wollte die Reihe fortsetzen
Leonard begann als Fan von „Twilight“-Erfolgsautorin Stephenie Meyer zu schreiben – Fans dieser Bücher haben zehntausende eigener Geschichten ins Internet gestellt. Leonards Roman hieß ursprünglich „Master of the Universe“, sie schrieb unter dem Pseudonym „Snowqueens Icedragon“ – Schneekönigin Eisdrachen. Aber anders als in dem keuschen Genre üblich malte Leonard deftige Sexszenen aus – und war damit so erfolgreich, dass man ihr nahelegte, sich einen anderen Rahmen für ihr schriftstellerisches Talent zu suchen. Nun gibt der Erfolg Psychologen, Feministinnen und Literaturkritikern Rätsel auf. Die einen raufen sich die Haare über die Verherrlichung von Dominanz und Unterwerfung, andere loben die Befreiung der weiblichen Fantasie von der Zensur männlicher Verlagslektoren, die dritten fragen sich, wie sich jemand durch 1600 Seiten der repetitiven Schwulst-Prosa quälen kann. Das Buch sei eigentlich nur ihre eigene Midlifekrise und „alles reine Fantasie“, beruhigt E. L. James ihr Publikum: „Viele bedanken sich bei mir auch ausdrücklich im Namen ihrer Männer“, fügt sie hinzu. „Warum“ fragt der BBC- Moderator unschuldig. „Das müssen sie sich selber denken“.
Die „Sun“ bat einige von Großbritanniens berühmtesten Frauen um Lektüreeindrücke. Anne Widdecombe, ehemalige Parlamentarierin, bekennende Jungfrau und Großbritanniens Hauptquelle von „common sense“, entschied, die Lektüre sei eine „wertlose Aktivität“. Da sie Sexszenen grundsätzlich überblättere, sei sie mit den 528 Seiten des ersten Bandes gottlob schnell fertig gewesen und habe das Buch ihrem Schredder übergeben können.
E. L. James. „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“, Band 1, Goldmann Verlag München, 12, 99 Euro. Ab 9. Juli.
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