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Der deutsche Reformator Martin Luther wird nun auch in Rom geehrt - allerdings nicht mit einem Denkmal wie hier auf dem Marktplatz der Lutherstadt Wittenberg.
© Jens Wolf /dpa

Martin Luther in Rom: Ein Protestant unter Katholiken

Rom ehrt den deutschen Reformator Martin Luther mit einem eigenen Platz – allerdings an einem sozialen Brennpunkt.

In der Ewigen Stadt – was bedeuten da schon fünf Jahre? „Wohlwollend“, so versprach die Gemeindeverwaltung im Herbst 2010, prüfe sie das Gesuch diverser evangelischer Kirchen, eine Straße oder einen Platz nach Martin Luther zu benennen. Nun, im September 2015, wird Bürgermeister Ignazio Marino tatsächlich eine Piazza Martin Lutero einweihen. „Deutscher Theologe, 1483–1546“ wird auf dem Straßenschild stehen, zur Erläuterung für alle, die von diesem Namen noch nie etwas gehört haben sollten.
Dass dieser Mensch auch noch weitreichendere Dinge vollbrachte, als im stillen Turmstübchen über einen gnädigen Gott nachzusinnen – zum Beispiel eine die Weltgeschichte verändernde Reformation –, übergeht die Tafel stillschweigend. Dennoch äußert sich Protestantenpastor Jens-Martin Kruse „sehr zufrieden“ über die Ehrung für seinen Kirchenvater; man betrachte sie als „Beitrag zur Ökumene“ in einer ansonsten vom Katholizismus vollständig geprägten Stadt.

Provokative Namensgebungen sind eine römische Spezialität

Dass der städtische Beschluss so lange gebraucht hat, gilt nicht als politisches Zeichen: Es bleibt so vieles liegen in Rom und Wichtigeres obendrein, einfach weil sich keiner kümmert. Sollte jemand mit Luther etwas Kirchenpolitisches im Sinne gehabt haben, wäre es womöglich schneller gegangen, denn Rom hat eine gewisse Geschichte im provokativen Benennen öffentlicher Räume nach Personen oder Vorgängen, die dem Vatikan gerade nicht gefallen konnten: Auf dem Campo de’ Fiori, dem Brennpunkt des römischen Nachtlebens von heute, steht das Monumentaldenkmal für den im Jahr 1600 als Ketzer verbrannten Giordano Bruno; unmittelbar an die Vatikanmauer grenzt die Piazza del Risorgimento an, welche die „Wiedergeburt Italiens“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts feiert und die damit verbundene Abschüttelung aller „Fremdherrschaft“, auch jener des Papstes. Oben auf dem Gianicolo- Hügel, das vergisst kein Fremdenführer grinsend zu erwähnen, reckt das Bronzepferd des „Rom-Befreiers“ Giuseppe Garibaldi dem gleich gegenüber liegenden Petersdom nicht von ungefähr seinen Hintern entgegen. Ferner dürfte ausgerechnet diese so katholische Metropole, wo der polnische Papst Karol Wojtyla auf seine Weise Weltgeschichte schrieb, eine der wenigen Städte Europas sein, die noch eine Lenin-Straße aufweisen. Auch liegen geblieben – irgendwie. Und niemanden stört’s.

Der Reformator unter Junkies

Beim Luther-Platz wiederum ist es nichts geworden mit jener allerfeinsten City-Lage, die Pastor Kruse und seine Leute im Sinne hatten. Zuerst dachten sie an einen bislang unbenannten Flügel der Piazza del Popolo, exakt an jenem nördlichen Stadttor gelegen, das der seinerzeit noch unverdächtige Augustinermönch bei seiner Rom-Pilgerreise im Jahr 1510 per pedes durchschritten haben soll. Geworden ist es nun eine vom allgemeinen Publikum weit weniger frequentierte Art Grünfläche nahe dem Kolosseum, auf jenem Oppio-Hügel, unter dem die Domus Aurea liegt, der Protzpalast des Kaisers Nero. Die Gegend genießt seit dem Altertum nicht den besten Ruf: Die Kaiser Titus und Trajan ließen den Palast zuschütten, um die Spuren ihres verhassten Vorgängers so weit wie möglich zu tilgen: „damnatio memoriae“ – Verurteilung des Angedenkens nannte man diese Strafmaßnahme damals. In den vergangenen Jahren ist der recht vernachlässigte Ruinenpark auf dem Monte Oppio zu Treffpunkt und Lebensraum von Junkies und Obdachlosen geworden; heute sammeln sich dort immer mehr gestrandete Flüchtlinge. Demnächst wird also die Piazza Martin Lutero einer ihrer Brennpunkte sein – jedenfalls bis jemand auch in diesen Fragen die Weltgeschichte auf einen neuen Kurs bringt. Irgendwann.

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