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Bezahlen für die Sünden. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ Dieser Satz spiegelte die Praxis der Kirche beim Ablasshandel wider (hier ein Holzschnitt um 1500). Gegen den Ablass wandte sich dann Luther mit seinen 95 Thesen.
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Ablasshandel im Spätmittelalter: Gnade gegen Geld

Kirche zwischen Finanzmarkt und Seelsorge: Historiker erforschen den Ablasshandel des Spätmittelalters neu. Der führte schließlich zu Martin Luther und zur Reformationsbewegung.

Drei Kontrollposten muss man passieren, vorbei an sonnenbebrillten Sicherheitsleuten und Schweizer Gardisten in schmucken Uniformen, um ins materialisierte Gedächtnis der katholischen Kirche zu gelangen. Für eine Stunde öffnet das Vatikanische Geheimarchiv den Teilnehmern der vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in Rom veranstalteten Ablasstagung seine Pforten. Ganz so opulent wie in der Dan-Brown-Verfilmung „Illuminati“ kommen die Räumlichkeiten zwar nicht daher, dennoch: Ehrfurchtsvoll ist man schon, im Angesicht von 85 Regalkilometern Schriftbestand und der im Lesesaal eigens für die internationale Crème de la Crème der Mediävistik ausgebreiteten mittelalterlichen Schriftstücke.

Historiker vorm Wormser Edikt

Im Schatten eines ausgezehrten Christus am Kreuz, der die Szenerie zu überwachen scheint, stehen die Historiker vor dem berühmten Wormser Edikt – jenem Erlass, mit dem Kaiser Karl V. im Jahr 1521 über den Reformator Martin Luther die Reichsacht verhängte.

Die jüngst stattgefundene Tagung „Ablasskampagnen des Spätmittelalters – Martin Luther und der Ablassstreit von 1517“ blickte denn auch schon auf das Ende der Lutherdekade. 2017 wird es 500 Jahre her sein, dass Luther seine 95 Thesen gegen die Ablasspraxis der Kirche in Umlauf und damit die Reformation derselben in Gang gebracht hat.

Was störte Martin Luther am Ablass?

Doch was war so anrüchig an diesen Ablasskampagnen? Was störte den Reformator an der im 15. Jahrhundert allgegenwärtigen Ablasskultur, sodass er die Tradition, in der er selbst groß geworden war, über den Haufen warf und die Geschichte in neues Fahrwasser lenkte?

Das Konzept des Ablass als solches hat in der Christenheit eine lange Tradition. Die Idee, dass die Sündenstrafen – nicht aber die Sünde selbst – durch bestimmte Werke des Gläubigen gemildert oder ausgesetzt werden können, war schon in der Spätantike verbreitet.

Im 15. Jahrhundert begann dann eine breit angelegte Kapitalisierung des Ablass. In einer Verbindung aus Seelsorge und moderner Finanztechnik verkaufte die Kirche das verbriefte Heil und stopfte auf diese Weise ihre Haushaltslöcher. Das Konzept der Ablasskampagne geht im Wesentlichen auf den französischen Domdekan Raimund Peraudi zurück, meint Ludwig Schmugge, Experte für Kirchen- und Sozialgeschichte des Mittelalters. Peraudi organisierte um 1470 in Rom im großen Stil einen päpstlichen Ablass, um die baufällige Kathedrale von Saintes zu restaurieren.

Gigantische Kampagne für die Peterskirche

Sein Konzept machte Schule, schon bald gab es eine gigantische Ablasskampagne für den Neubau der römischen Peterskirche. Etliche Landesherren erwirkten bei der Kurie fortan Ablasslizenzen, die ihnen den Handel mit der Gnade gewährten. Scharenweise erwarben die Menschen nicht bloß für sich selbst, sondern auch für ihre verstorbenen Angehörigen die heiß gehandelten Versicherungspapiere fürs Jenseits.

Die katholische Lehre vom „Gnadenschatz“ erklärte die Kirche zum Verwalter des durch Christus gewirkten Verdienst-Pools, aus dem sie nach Gutdünken verteilen konnte. Was sie freilich nicht ohne Gegenleistung tat, die in guten Werken aber eben auch in einer Geldgabe bestehen konnte. Der dem Dominikanermönch und Widersacher Luthers Johann Tetzel zugeschriebene Satz „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ bringt diese Haltung auf den Punkt.

„Die Kommerzialisierung von Glaubensinhalten in dieser Größenordnung war ein Novum“, sagt Schmugge. „Bis heute hat es nichts Vergleichbares gegeben.“ Dabei hätten die Ablasskampagnen, so der Historiker, ohne die junge Technik des Buchdrucks nie eine derart flächendeckende Wirkung entfaltet. An der Schwelle zur Moderne steht also ein gigantisches Kommerzialisierungsprojekt, das sich die mediale Revolution der Schwarzen Kunst vollends zunutze machte. Um 1500 durchformte die Ablasskultur das öffentliche und private Leben der Menschen auf ganzer Linie.

Der Handel erhitzte die Gemüter

Dass der marktförmige Handel mit der Gnade viele Gemüter erhitzte, kann man sich lebhaft vorstellen. So war Luther weder der Erste noch der Einzige, der sich an der Ablasspraxis störte und eine Entschlackung des Glaubens von seinem außerbiblischen Strandgut wünschte.

„In der Forschung gibt es diesbezüglich eine Kontroverse“, sagt der emeritierte Professor Wilhelm Winterhager von der Philipps-Universität Marburg. Mancher Historiker hänge der Pulverfasstheorie an, nach der die zeitbedingten Fehlentwicklungen der Kirche bereits einen solchen Unmut erzeugt hatten, dass Luthers Thesenanschlag bloß ein letzter Funke war, der die Neujustierung auf den Weg brachte. Andere, wie der evangelische Kirchenhistoriker Bernd Moeller, pochten dagegen auf die eigentümliche Leistung Luthers, die in der exegetischen Bergung des Prinzips „sola fide“ liege. Demnach gelangt der Mensch allein durch seinen Glauben in den Stand der Gnade, nicht aber durch sein Tun und schon gar nicht durch die Abgabe von schnödem Mammon. Glauben vs. Werk – so das Begriffspaar der Kontroverse.

Luther entwickelt ein mystisches Bußverständnis

Der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin erklärte auf der DHI-Tagung, Luther habe im Laufe seines Lebens ein mystisches Bußverständnis entwickelt. Das katapultierte ihn schlussendlich aus der mittelalterlichen, sakramental orientierten Theologie heraus. Dass die Menschen sich weniger vor der Sünde als vor der aus ihr hervorgehenden Strafe fürchten – dies sei laut Leppin die Essenz von Luthers Ablasskritik gewesen.

Luthers existenzielles Bußverständnis erklärte die Kirche als Mittler zwischen Gott und den Menschen für überflüssig und stellte allein auf das in der Bibel verkündete Evangelium ab. Die Gnade sei bereits durch Christus gewirkt, der Mensch könne sie bloß noch glaubend empfangen. Dass die Kurie aus dem Gnadenschatz nach hausgemachten Regeln verteilte, um ihn in einen Goldschatz zu verwandeln, musste Luther missfallen. Dies nicht nur deshalb, weil ihm die Kapitalisierung ein Graus war, sondern weil er den Ablass, ob nun verschenkt oder verkauft, im Ganzen für falsch hielt.

Bis heute spielt der Ablass im katholischen Glauben eine Rolle

Die Kirche aber pochte weiter auf ihr Recht, Ablässe zu verteilen, auch wenn sie den Handel im 16. Jahrhundert unter Strafe stellte. Bei aller gegenreformatorischen Agitation hat die Kirche also Teile von Luthers Ablasskritik in die eigene Theologie integriert. „Der Ablass als solcher wurde jedoch mehr als vorher zu einem Identitätsmoment des Katholizismus“, sagt Winterhager. Demnach versteifte man sich auf den Ablass als Differenzmarker gegenüber den reformatorischen Kirchen und profilierte das Eigene in Abgrenzung zum anderen.

Noch heute spielt der Ablass im katholischen Glauben eine Rolle, auch wenn das Fegefeuer – in dem die zeitlichen Sündenstrafen zu erdulden wären – dort inzwischen überholt ist.

Im Jahr 2016 feiert die Kirche ein außerordentliches Jubeljahr, in dem die Gläubigen einen Generalablass erwirken können. Jeder, der dem Papst bei seiner Predigt lauscht – ob live, ob im Fernsehen oder via Internet –, habe bei angemessener innerlicher Disposition die Möglichkeit, in den Stand der Gnade zu gelangen. Ein Jahr später ist dann Lutherjahr. Und es ist sicher kein Zufall, dass der ökumenisch aufgeschlossene Papst Franziskus ausgerechnet 2017 einen Besuch in Deutschland, dem Kernland der Reformation, geplant hat.

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