Alternative Wohnsiedlung in Kopenhagen: Drogenkrieg in Christiania
Friedliche Haschoasen? Das war einmal. Heute machen Dealer und kriminelle Banden der dänischen Hippie-Kolonie zu schaffen.
„Achtung! Aus dem Weg!“ Unter gewaltigem Getöse lädt der verrostete Gabelstapler eine Holzbude auf, auf der das Konterfei von Bob Marley prangt. Im Rückwärtsgang karrt der Fahrer das Ungetüm aus der berüchtigten Pusher Street, die für ihre Drogendealer bekannt ist. Die bunte Bude wackelt so gefährlich, dass einige Schaulustige aus dem Weg springen. Andere stehen in sicherem Abstand und klatschen.
Was an einem sonnigen Freitagmorgen in der Kopenhagener Hippie-Kolonie Christiania vor sich geht, ist der Versuch der Bewohner, die Kontrolle über ihren Freistaat zurückzuerlangen, indem sie die Pusher Street räumen. Der Freistaat ist alles andere als frei, seit Bandengewalt und organisierter Drogenhandel das Bild bestimmen. Vor einigen Tagen hatte ein 25-Jähriger auf zwei Polizisten und einen Urlauber geschossen. Das ist nur der jüngste Vorfall in einer Entwicklung, die für viele Bewohner nichts mit dem friedlichen Hippie-Leben zu tun hat, von dem sie einmal geträumt haben.
Die Probleme mit Gewalt und Drogenhandel reichen Jahrzehnte zurück. Mitte der 80er Jahre stirbt ein Bandenfürst. Bei einer Schießerei wird 2005 ein junger Mann getötet, 2009 verletzt eine Handgranate mehrere Menschen. Mit groß angelegten Razzien versucht die Task Force Pusher Street der Polizei, dem illegalen Haschischhandel in Christiania den Garaus zu machen.
Doch die Stände sind damit nicht aus der Pusher Street verschwunden. Auch jetzt werden sie wieder auftauchen, vielleicht in wenigen Tagen, vielleicht in einer Woche. Einen richtigen Plan für die Zukunft haben die „Christianitter“ noch nicht, nachdem sie die Pusher Street in Schutt und Asche gelegt haben. „Jetzt haben wir vielleicht ein paar Buden geschlossen“, sagt Anders Jørgensen, der seit 1980 in der Hippie-Kolonie lebt und dessen vier Kinder hier großgeworden sind. „Aber die Nachfrage können wir nicht verschwinden lassen.“
Nach Überzeugung vieler Bewohner gibt es nur eine Lösung für ihr Jahrzehnte altes Problem: Dass die Regierung ihre Drogenpolitik ändert. „Wir meinen, dass es für Christiania und die dänische Jugend das Beste ist, das (Haschisch) zu legalisieren“, sagt Jørgensen. Fünf Parteien im dänischen Parlament sind inzwischen auch dafür, die Droge zumindest versuchsweise in staatlichen Verkaufsstellen anzubieten. Doch unter anderem die drei größten – Sozialdemokraten, Rechtspopulisten und die liberale Regierungspartei – sperren sich noch gegen den Wunsch der „Christianitter“.
Der Traum von der Legalisierung von Haschisch hat immer zum Traum vom freien Leben, dem Mix aus Liebe und Anarchie, gehört, der Christiania seit seiner Gründung auf einem früheren Kasernengelände im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn 1971 ausgemacht hat. Hier war Platz für Experimentierfreudige und für die, die anderswo in der Gesellschaft keinen Platz gefunden hatten. Für schräge Vögel, junge Hausbesetzer, Künstler, linke Idealisten.
Auf 320000 Quadratmetern schufen sie einen Raum, auf dem heute 650 Menschen leben - und der zu den größten Touristenattraktionen in der dänischen Hauptstadt zählt. Zu den wenigen Regeln in der Hippie-Kolonie gehört, dass harte Drogen und Waffen verboten sind. Doch der 25-Jährige, der nach mit einem Rucksack mit Tageseinnahmen aus dem Haschisch-Geschäft in Christiania unterwegs war, hatte eine Waffe dabei und schoss. Laut dem IS-Sprachrohr Amak soll er ein „Kämpfer“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gewesen sein. Einem Polizisten schießt der junge Mann ins Bein, einem zweiten in den Kopf. Der Täter stirbt im Krankenhaus, nachdem Polizisten auf ihn geschossen haben. Die „Christianitter“ munkeln, er soll Handlanger eines Dealers von außerhalb gewesen sein.
Im Laufe der Zeit hat sich der Haschischhandel in eine Richtung entwickelt, die den meisten Bewohnern zunehmend unangenehm geworden ist. „Es waren viel zu viele Buden und zu viele Pusher von außerhalb, die wir nicht kannten“, sagt Hulda Mader. Viele Bewohner halten sich seit langem von der Pusher Street fern, in der nach Schätzungen rund eine Milliarde dänische Kronen (etwa 134 Millionen Euro) im Jahr umgesetzt werden. Doch sie können die Augen nicht vor der Realität verschließen, meint Dänemarks Justizminister Søren Pind: „Christiania muss aufwachen.“ Über die Räumung der Pusher Street waren sich die Bewohner einig, wie sie sich sonst nur selten einig sind. Aber für sie steht auch fest: Alleine werden sie Banden und organisiertem Drogenhandel vermutlich nicht Herr. (dpa)