Sprachkritik: "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres gekürt
Es ist der Begriff, der die meisten Nominierungen für den Negativpreis erhielt: Eine Jury von Sprachkritikern wählte "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres 2011. Und noch weitere Formulierungen geraten in Kritik.
Zum „Unwort des Jahres 2011“ ist der Begriff „Döner-Morde“ gewählt worden. „Damit wurden von Polizei und Medien die von einer neonazistischen Terrorgruppe verübten Morde an zehn Menschen bezeichnet“, sagte die Sprecherin der „Unwort“-Jury, Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, am Dienstag in Darmstadt. Damit waren im Kern Morde an acht türkischstämmigen und einem griechischen Kleinunternehmer bezeichnet worden. Janich zählte auch den Mord an einer Polizistin mit.
Der Ausdruck steht prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde: Die Unterstellung, die Motive der Morde seien im kriminellen Milieu von Schutzgeld- und/oder Drogengeschäften zu suchen, wurde mit dieser Bezeichnung gestützt. Damit hat Döner-Mord(e) über Jahre hinweg die Wahrnehmung vieler Menschen und gesellschaftlicher Institutionen in verhängnisvoller Weise beeinflusst.
Im Jahre 2011 ist der rassistische Tenor des Ausdrucks in vollem Umfang deutlich geworden: Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.
Die „Unwort“-Jury kritisiert in diesem Jahr außerdem die Formulierung „Gutmensch“. Mit dem Ausdruck werde besonders im Internet das ethische Ideal des „guten Menschen“ in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren. Ähnlich wie der meist ebenfalls in diffamierender Absicht gebrauchte Ausdruck "Wutbürger" widerspricht der abwertend verwendete Ausdruck "Gutmensch" Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationaler Diskussion gehören. Der Ausdruck wird zwar schon seit 20 Jahren in der hier gerügten Weise benutzt. Im Jahr 2011 ist er aber in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontexten einflussreich geworden und hat somit sein Diffamierungspotential als Kampfbegriff gegen Andersdenkende verstärkt entfaltet.
Kritisiert wurde auch der Begriff „marktkonforme Demokratie“. Die Wortverbindung steht für eine höchst unzulässige Relativierung des Prinzips, demzufolge Demokratie eine absolute Norm ist, die mit dem Anspruch von Konformität mit welcher Instanz auch immer unvereinbar ist. Sie geht zurück auf ein Statement Angela Merkels, wonach Wege zu finden seien, „wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist.“ Auch wenn die Wortverbindung gegenwärtig meist kritisch verwendet wird, steht sie doch für eine bedenkliche Entwicklung der politischen Kultur.
Für das Jahr 2011 wurden 923 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt mit insgesamt 2420 Einsendungen die meisten Einsendungen seit Bestehen der Unwort-Aktion. Die häufigsten Einsendungen waren Döner-Morde (269mal), Stresstest (186mal), Rettungsschirm (136mal) und Tagesrandzeit (105mal). Janich machte zudem das Börsen-Unwort 2011 bekannt: Es ist „Euro-Gipfel“. Diese Entscheidung wurde gemeinsam mit der Börse Düsseldorf getroffen.
Janich trat zum ersten Mal als Jury-Sprecherin auf, nachdem der langjährige Jury-Sprecher Horst-Dieter Schlosser im vergangenen Jahr auf eigenen Wunsch ausgeschieden war.
Die „Unwort“-Jury besteht aus sechs Mitgliedern: Vier Sprachwissenschaftler, ein Journalist sowie ein jährlich wechselndes Mitglied aus dem öffentlichen Kultur- und Medienbetrieb. (mit dapd/dpa)