Land der UN-Klimakonfernz: Die gefährlichen Lagunen von Peru
In Perus Hauptstadt Lima tagt derzeit die UN-Klimakonferenz. Doch das Andenland hat selbst massive Probleme: mit seinen schmelzenden Gletschern.
Es geschah an einem sonnigen Ostersonntag im April. „Wir waren gerade dabei, die Kirche im Zentrum zu schmücken“, erinnert sich Antonio Pariona. Ostern ist in den Dörfern der peruanischen Anden eines der wichtigsten Feste. „Da hallten oben vom Berg die Schreie, sie verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, Wasser, Wasser! Viele rannten aufgescheucht in der Gegend herum, andere beteten und warteten auf die Katastrophe, es war ein einziges Chaos“, erzählt der Journalist. Steine und Schlamm stürzten vom Berg, die Lawine riss Häuser, Brücken und eine Forellenfarm mit sich.
Die Szene hat sich tief in Parionas Gedächtnis gefressen. Es war 2010 die erste Klimakatastrophe in der 11000 Einwohner zählenden Kleinstadt in den Zentralanden Perus. 22 Kilometer weiter oberhalb, am Gletscher der Lagune 513, hatte sich ein Eisblock von der Größe eines Mehrfamilienhauses durch den Treibhauseffekt gelöst, war in das smaragdgrüne Wasser gestürzt und hatte eine Flutwelle von fast 30 Metern Höhe ausgelöst, die über die Steinwand am Ufer hinwegschwappte ins Tal. Wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben. Aber wochenlang gab es keinen Strom und kein Trinkwasser. Die Dorfbevölkerung war vor Schreck gelähmt.
Der Berg, mit dem sie so lange harmonisch zusammengelebt hatte, war plötzlich zu einer Bedrohung geworden. 70 Prozent aller tropischen Gletscher befinden sich in Peru. Fast die Hälfte ist in den vergangenen vier Jahrzehnten nach Angaben des Biologen Alejo Cochachi von der Gletschereinheit der Nationalen Wasserbehörde ganz oder teilweise geschmolzen. Dadurch entstehen „gefährliche Lagunen“. Zum Beispiel die oberhalb von Carhuaz, wo der Gletscher in zehn Jahren 18 Prozent seiner Fläche verloren hat.
Kein Geld für Prävention
Zwölf kritische Lagunen hat der Wissenschaftler alleine in dieser sogenannten „weißen Kordillere“ in Zentralperu gezählt. Eine von ihnen liegt oberhalb der 100.000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Huaraz. Die Region gilt außerdem als erdbebengefährdet. Die Lagunen sind eine Zeitbombe, die im Zuge des Klimawandels immer schneller tickt. Prävention täte not, doch die Politiker haben andere Prioritäten, sagt Vize-Umweltminister Gonzalo Llosa – und versteckt sich hinter dem Argument, sein Ministerium habe weder das Geld noch die administrative Zuständigkeit dafür. „Die Bürgermeister bauen lieber Stadien und Plätze, weil sie damit Wählerstimmen gewinnen. Die Umwelt interessiert sie erst, wenn die Katastrophe passiert ist.“
Anders in Carhuaz. Dort hat sich die Bevölkerung nach dem ersten Schock aufgerafft und den Bürgermeister unter Druck gesetzt. Unterstützt von Gletscherspezialisten der Universität Zürich, der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (DEZA-Cosude) und der Hilfsorganisation Care wurden Risikogebiete erfasst und ein Frühwarnsystem errichtet. Die Zentrale befindet sich im Rathaus, in einem winzigen Raum neben dem Büro des Beauftragten des Katastrophenschutzes, Luis Meza. Es besteht aus ein paar Karten, Telefonen und einem PC, auf dessen Monitor Meza in Echtzeit die Lagune sehen und vor allem hören kann. Bricht ein großes Stück Gletscher ab, erscheint eine Warnmeldung auf dem Schirm. Dann wird die Bevölkerung mit Trillerpfeifen und Kirchenglocken alarmiert.
Katastrophenschutz-Übungen
Für Warnsirenen war bislang kein Geld. An strategischen Orten wie dem Rathausplatz, Schulen und auf dem Markt hängen Karten mit den Evakuierungsrouten, aber die braucht in Carhuaz fast niemand mehr. Fünfmal im Jahr finden Katastrophenschutz-Übungen statt. Die Grundschule Esther La Rosa Sánchez liegt in einer „roten Zone“, ist also bei einem Bergrutsch besonders gefährdet. Beim Unglück 2010 wurde sie teilweise zerstört, aber weil Sonntag war, gab es keine Opfer. „Anschließend waren die Eltern besorgt, und wir Lehrer hatten auch keine Antwort, wie wir die Kinder im Notfall retten könnten“, erinnert sich Schuldirektorin Irma Caque.
Heute weiß sie es genau und demonstriert es gerne: sie klopft zwei Blechbüchsen aneinander – das vereinbarte Signal – und sofort rennen die Kinder in Zweiergruppen auf den Schulhof und von dort aus weiter den Berg hoch. „Der Katastrophenschutz in Carhuaz ist ein Vorbild für ganz Peru“, sagt Vizeminister Llosa. „Aber er ist teuer.“ 370.000 US-Dollar haben die Hilfsorganisationen dafür ausgegeben. Es geht nicht nur um Katastrophenschutz, sondern gleichzeitig um modernes Wassermanagement. Nicht nur die Lagune wird ständig überwacht, sondern auch die ins Tal fließende Wassermenge.
Mit dieser Information erstellen die Wasserkomitees der umliegenden Gemeinden einen Nutzungsplan. Denn mit dem Klimawandel gerät der normale Regenzyklus durcheinander und die Niederschlagsmenge sinkt in manchen Monaten extrem. Vor allem für die Bergbauern ist das ein Drama und hat bereits zu ersten Konflikten zwischen Gemeinden in der Region geführt. Die Reise der Autorin wurde von Care und Deza-Cosude organisiert.
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