Germanwings-Absturz: Die Blackbox von Flug 4U9525: Protokoll des Grauens
Immer noch ist unklar, warum bei dem Absturz des Airbus A320 in Südfrankreich 150 Menschen sterben mussten. Welche neuen Erkenntnisse gibt es zur Ursache der Katastrophe?
Bisher ist noch wenig über die Absturzursache bekannt. Rätselhaft ist bisher vor allem, warum die Piloten keinen Funkkontakt mit der Flugsicherung aufnahmen, als der Airbus ohne entsprechende Freigabe seine gerade erst erreichte Reiseflughöhe von rund 11 500 Metern verließ und in einen offensichtlich kontrollierten Sinkflug überging. In Pilotenkreisen wird darüber spekuliert, ob die Besatzung durch einen Druckabfall an Bord das Bewusstsein verloren haben könnte. Normalerweise schlagen die Systeme in einem solchen Fall aber Alarm und es werden Sauerstoffmasken angelegt. Der Chef der französischen Luftfahrtermittlungsbehörde BEA, Remi Jouty, wollte keine Hypothese ausschließen, machte am Mittwochabend aber deutlich, dass die Maschine „bis zum Schluss" – also zum Absturz – geflogen und nicht in der Luft explodiert sei.
Welche vergleichbaren Vorfälle hat es früher gegeben?
2005 hatte ein falsch gestellter Schalter in einer Boeing 737 der Helios Airways beim Flug von Zypern nach Athen den Aufbau des Kabinendrucks verhindert und die Besatzung hatte entsprechende Warnsignale nicht richtig gedeutet. Der Autopilot hatte den Jet dann bis zu einer Warteschleife nahe der griechischen Metropole gesteuert, wo das Flugzeug nach dem Verbrauch des Treibstoffes in einen Sinkflug überging und gegen einen Hügel prallte.
Wird ein Terroranschlag weiterhin ausgeschlossen?
Auch wenn in alle Richtungen ermittelt wird, haben sowohl deutsche als auch französische und amerikanische Behörden erklärt, dass sie nicht von einem Anschlag ausgehen.
Was bringt die Auswertung der Blackbox?
Der bereits am Dienstag gefundene Teil der Blackbox, der Stimmenrekorder, sei zwar beschädigt, aber auswertbar, es seien Stimmen im Cockpit und Geräusche zu hören, sagte der BEA-Chef Jouty. Es gebe aber noch „keinerlei Erklärung“ für die Ursache des Absturzes. Nach der zweiten Blackbox, dem Flugdatenschreiber, wurde weiter fieberhaft gesucht. Nach Angaben des französischen Präsidenten Hollande wurde bisher zwar die „Hülle“ dieser Blackbox gefunden, nicht aber das Gerät selbst. Zuvor gab es Spekulationen, das Gerät sei zerstört gefunden worden. Grundsätzlich gilt bei einem so schweren Unglück: Bis zur abschließenden Klärung der Absturzursache können Monate, wenn nicht sogar Jahre vergehen. Erst innerhalb eines Jahres müssen die Untersuchungsbehörden zumindest einen Zwischenbericht vorlegen.
War das Flugzeug wirklich in einwandfreiem Zustand?
Auch wenn die Maschine am Montag lange repariert wurde, lautet die Antwort der Lufthansa: Ja. Es habe Probleme mit der „Nose Landing Door“ gegeben, bestätigte die Fluglinie. Diese Probleme seien aber vollständig behoben worden. Die Maschine war zwar 24 Jahre alt, doch ist das nicht ungewöhnlich. Moderne Flugzeuge seien so konstruiert, dass sie „ohne Probleme 40 Jahre fliegen können“, erklärt Luftfahrtexperte Bertrand Mouly-Aigrot von der Beratungsfirma Archery Strategy Consulting.
Was ist über die Opfer bekannt?
Germanwings-Chef Thomas Winkelmann teilte am Mittwoch mit, dass die Nationalitäten aller Opfer noch nicht geklärt seien. Die Zahl der deutschen Opfer stehe derzeit bei 72. Zuvor war von 67 die Rede gewesen. Mehr als 50 der deutschen Opfer stammen aus Nordrhein-Westfalen, sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Die Fluggesellschaft habe zu Angehörigen von 123 der 150 Opfer Kontakt aufnehmen können und psychologische Betreuung angeboten. Am Donnerstag werde Lufthansa je einen Sonderflug aus Düsseldorf und Barcelona für Angehörige nach Südfrankreich anbieten. Außerdem wurden finanzielle Entschädigungszahlungen an die Angehörigen angekündigt, in welchem Umfang, ist noch unklar.
Es wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt
Wer ermittelt?
Die zuständige Staatsanwaltschaft von Marseille hat Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Auch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Dabei gehe es um die Identifizierung der Opfer und die Klärung der Todesursache. Ein solches Verfahren werde eingeleitet, wenn von einer nicht natürlichen Todesursache auszugehen sei. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wird aber nicht vor Ort ermitteln, sondern mit den Behörden in Frankreich eng zusammenarbeiten. Die Federführung bei der Suche nach den Unfallursache hat gemäß den Richtlinien der internationalen Zivilluftfahrtorganisation der Vereinten Nationen das französische Bureau Enquestes Accidents (BEA), da sich das Unglück in Frankreich ereignete. Beteiligt sind die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), da es sich um ein in der Bundesrepublik zugelassenes Flugzeug handelte, auch die spanischen Behörden dürften beteiligt werden. Airbus und der Triebwerkshersteller CFM International sind ebenfalls vertreten.
Wie laufen die Ermittlungen ab?
Basis der Arbeit der Ermittler ist ein spezielles Regelwerk der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde ICAO, einer Unterorganisation der UN. Hier ist zum Beispiel definiert, dass die Untersuchung immer von einer unabhängigen Kommission durchgeführt werden muss. Im Regelwerk der ICAO ist auch festgelegt, dass es bei den Unfalluntersuchungen ausschließlich darum geht, künftige Unglücke zu vermeiden. Juristische Schuld- und Haftungsfragen bleiben ausdrücklich unberücksichtigt. Diese müssen die die Hinterbliebenen in eigenen Verfahren geltend machen.
Gerade die Analyse der Wrackteile hat am auffälligsten die Ähnlichkeit mit einem Puzzle. Der Aufwand ist teilweise gigantisch. So wurden von der 1996 über dem Nordatlantik verunglückten Boeing 747 der Fluggesellschaft TWA 98 Prozent aller Teile vom Meeresgrund geborgen. Die Stücke variierten von der Größe einer Münze bis zu neun Meter langen Wrackstücken. Dazu durchkämmten Krabbenkutter mit speziellen harkenähnlichen Geräten zehn Monate lang den Ozeanboden in 40 Meter Tiefe auf einer kreisförmigen Fläche mit einem Durchmesser von acht Kilometern. Eine Million Stücke wurde geborgen und zusammengetragen. So konnte festgestellt werden, dass ein Tank explodiert war. Die Kosten der gesamten Ursachenermittlung: rund 100 Millionen US-Dollar.
Vielen ist beim Fliegen nun mulmig zumute. Ist das gerechtfertigt?
„Obwohl in das letzte Jahr die tragischen Schicksale von MH370 und der ins Meer gestürzten A320 von AirAsia fallen, war es rein statistisch betrachtet sogar das sicherste Jahr in der Geschichte der zivilen Luftfahrt“, sagt Dennis Dahlenburg vom Online-Portal Aero.de. Der Weltluftfahrtverband IATA habe errechnet, dass es 2014 weltweit nur einen schweren Unfall je 4,4 Millionen Flüge gab – „gemessen am Straßen- oder Schienenverkehr ist schon das äußerst selten“. Der Hamburger Luftfahrt-Experte Cord Schellenberg sagt, 2014 habe es weltweit rund 1000 Tote im Luftverkehr gegeben. „Im selben Jahr starben allein auf Deutschlands Straßen 3300 Menschen.“ In der EU gab es zugleich insgesamt 25 700 Tote im Straßenverkehr. mit dpa/AFP