Nach der Schmach beim ESC: Deutschlands Kandidatin Ann Sophie beweist Humor
Null Punkte bekam Deutschland beim ESC. Ann Sophie singt nun „We are the Zeroes of our Time“ (Wir sind die Nullen unserer Zeit) - und Peter Urban will die Regeln des Eurovision Song Contest (ESC) ändern.
Nach der Null-Punkte-Schmach beim Eurovision Song Contest (ESC) hat Ann Sophie die High-Heels gegen schwarze flache Schuhe getauscht. Das Make-up ist immer noch - oder wieder - perfekt. Ann Sophie wirkt ein wenig betäubt, dabei gefasst, doch zutiefst irritiert. „Ich habe immer noch Leute und Fans, die hinter mir stehen, das hat nichts damit zu tun, welchen Platz man gemacht hat“, sagt die Hamburgerin in ihrer bisher schwersten Stunde als Künstlerin.
Kurze Zeit nach Ende des Eurovision Song Contest (ESC) stellt sich die 24-Jährige in Wien den Fragen der Journalisten. Wenige Meter entfernt, im Raum nebenan, wird Sieger Måns Zelmerlöw aus Schweden gefeiert. „Es ist immer noch schön, Teil des Eurovision Song Contests zu sein. Es ist auf jeden Fall alles gut“, muntert sie sich selbst auf.
Die Frage ist, warum Ann Sophie gescheitert ist. Immerhin bleibt ihr große Häme erspart. Im Gegenteil: Unter den vielen ESC-Beobachtern und -Experten in der Halle - und auch in den sozialen Medien - herrscht eher Kopfschütteln über die Null-Punkte-Abfuhr. Sie habe „eine ganz souveräne Performance abgeliefert“, attestiert ihr einer der besten Kenner der ESC-Geschichte, der Autor Irving Wolther. Das Auswärtige Amt twittert ein „Kopf hoch“, die ARD stellt sich hinter und vor die eigene Kandidatin und bescheinigt ihr einen „großartigen Auftritt“.
Dennoch bleibt die Frage, was sich ändern muss, nachdem Deutschland nun zum dritten Mal hintereinander (Cascada belegte 2013 den 21. Platz, das Trio Elaiza wurde 2014 18.) ganz weit hinten landete. Ein Erfolgsgarant könnte der Entertainer Stefan Raab sein. Immer wenn er beteiligt war, egal ob als Sänger oder Produzent, belegte Deutschland einen Platz auf der ganz sonnigen Seite des ESC. Mit auf sein Konto geht auch der Sieg von Lena Meyer-Landrut 2010.
Sie hat nur knapp einen Punkt verfehlt
Die ARD setzt zunächst auf Erkenntnis-Gewinn durch Analyse. „Es wird sicher interessant sein, sowohl das Jury-Voting als auch das Tele-Voting zu sehen“, sagt ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber kurz nach dem Debakel. Inzwischen ist klar, dass Deutschland mehrfach nur ganz knapp die entscheidenden Top Ten verpasst hat, um wenigstens einen Punkt zu bekommen. Klar ist allerdings auch: Bei den Jurys schnitt Ann Sophie in der Abstimmung besser ab als beim TV-Publikum. Unter dem Motto: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ rücken Deutschland und Österreich - beim ESC sonst eher Nachbarn ohne gegenseitige Hilfe - enger zusammen. Auch die Alpenrepublik ist nach dem Sieg von Dragqueen Conchita Wurst 2014 in Kopenhagen ganz tief gefallen. Null Punkte für die österreichische Rockband The Makemakes sind ein harter Schlag. 25 000 Menschen hatten beim Public Viewing auf dem Wiener Rathausplatz mitgefiebert. Aber selbst das Anzünden eines speziell präparierten Klaviers auf der Bühne half dem Trio aus dem Salzburger Land nicht weiter. Schon vor dem ESC hatten Ann Sophie und The Makemakes passend zum diesjährigen ESC-Motto „Building Bridges“ einige gemeinsame Promotion-Termine. „Wir haben das Motto für uns genutzt, wir haben wirklich eine Brücke gebaut, wir wollen zusammen Musik machen, es sind wundervolle Musiker“, sagt Ann Sophie über ihre österreichischen Kollegen Dominic „Dodo“ Muhrer, Florian Meindl und Markus Christ. Die drei jungen Männer und Ann Sophie gehen jedenfalls mit einer gehörigen Portion Humor mit dem Null-Punkte-Ergebnis um. Die Makemakes warben am Folgetag auf Facebook in Anspielung auf den Siegertitel „Heroes“ für den Besuch eines Konzerts: „Come and join to meet the Zeroes“ („Kommt zu den Nullern“). Und Ann Sophie veröffentlichte auf ihrer Facebook-Seite ein Video, bei dem sie mit Background-Sängerinnen „Heroes“ nachmacht. Entscheidende Änderung ist die Textzeile: „We are the Zeroes of our Time“ (Wir sind die Nullen unserer Zeit).
Peter Urban: Mehr Punkte vergeben
Der Mann, den Ann Sophie da so liebevoll karikiert, Måns Zelmerlöw, sollte am Montagabend in seiner Heimatstadt Lund einen Roten Teppich ausgerollt bekommen. Die Schweden feiern den Sieger des ESC 2015 als ihren Helden. Zelmerlöw zeigte sich überwältigt von der Menge an Glückwünschen. „Ich habe bis zu 500 SMS bekommen“, sagt er nach vier Stunden Schlaf am Sonntagmorgen dem schwedischen Sender TV4. „Ich bin unglaublich stolz auf unsere ganze Gang hier.“ Sein Leben lang habe er vom ESC geträumt, erzählt der 28-Jährige nach seinem Triumph. Zweimal hatte er an Vorentscheiden teilgenommen, beim dritten Anlauf durfte er sein Land endlich beim Song Contest vertreten. Sein Song „Heroes“ beschreibt seine eigene Kindheit: Demnach wurde er zum gemobbten Außenseiter und mit Hilfe eines neuen Jungen in der Klasse wieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Jetzt hat ihn der Kummer von damals nach ganz oben gebracht.
Der langjährige ARD-Kommentator Peter Urban regte eine Diskussion über das Reglement an. Die Regel, dass nur die jeweils zehn Länder mit den meisten Stimmen Punkte bekämen, stamme aus einer Zeit mit weniger Teilnehmern. Im aktuellen Fall habe das bedeutet, dass bei jedem Voting 17 der insgesamt 27 Teilnehmer automatisch leer ausgegangen seien. „Das ist eine Ungerechtigkeit im System, die man überdenken sollte“, sagte Urban. Auch in Frankreich löste das enttäuschende Abschneiden von Lisa Angell, die mit ihrem Chanson „N'oubliez pas“ („Vergesst nicht“) an den Ersten Weltkrieg erinnerte, grundsätzliche Kritik am ESC aus. Die Kandidatin selbst erlebte ihren 25. Platz als „Ungerechtigkeit“. Ihr Produzent Jean-Claude Camus forderte, dass Frankreich eine Zeit lang nicht mehr an dem Wettbewerb teilnehmen solle. (dpa/AFP)