Duisburg: Der Welpenkrieg: Kleine Hunde aus dem Zoogeschäft
20 Jahre lang galt das Tabu: Kleine Hunde verkauft man nicht in Zoogeschäften. Dann kam der Duisburger Tierhändler Norbert Zajac – und brach es.
Manchmal vergisst Norbert Zajac, dass er im Krieg ist. Zum Beispiel, als er ein schokoladenbraunes Ei bestaunt, das ein Hobbyhühnerzüchter zwischen Daumen und Zeigefinger hält. „Ist nicht angemalt“, sagt der Mann stolz. Hat eine seiner Hennen gelegt. Zajac nickt. Er hat Verständnis für den Stolz. Er ist auch Züchter.
Dem Hobbyhühnerzüchter erzählt er, er verdiene Geld mit Tieren, seit er fünf Jahre alt ist. Damals züchtete er Meerschweinchen und Schildkröten und verkaufte sie an Klassenkameraden. „Meine Eltern waren arm, ich bekam kaum Taschengeld. Um Tiere halten zu können, musste ich sie verkaufen“, sagt er, und nun nickt der Hobbyzüchter. Mit 13 will Zajac der erfolgreichste Wellensittichzüchter in seinem Heimatort Wuppertal gewesen sein, mit 15 von seinem ersten Lehrlingsgehalt Zierfische aus Singapur gekauft und im Garten einen riesigen Käfig für eine Rabenzucht finanziert haben. Wer weiß schon, ob das so alles stimmt, fest aber steht, dass aus dem Jungen ein Zoohändler geworden ist, dem das Guinnessbuch der Rekorde 2005 testierte, das größte Zoogeschäft der Welt zu haben. Er verkauft dort alle Tiere, die man in Deutschland handeln darf, auch Nasenbären, Anacondas, Faultiere.
Und in dieser Eigenschaft, als Zoohändler, führt Norbert Zajac Krieg.
Zu dem Hobbyzüchter ist er gefahren, weil der Mann außer schokoladenbraune Eier legenden Hennen auch Pudel züchtet. Die will Zajac für sein Zoogeschäft in Duisburg haben.
Das ist der zweite Rekord, den Zajac hält: Seit Mitte Januar ist er der erste Zoohändler Deutschlands, der Welpen verkauft. Er brach damit ein Tabu.
Etwa 20 Jahre lang hatte davor gegolten: Kleine Hunde müssen von der Mutter direkt zum Halter, die Zoohandlung als Zwischenstation ist Quälerei. Zajacs zweiter Rekord war deshalb eine Kriegserklärung an die Tierschützer Deutschlands, die die sofort annahmen. Die Weltanschauungen von Tierschützern und Tierhändlern stehen sich unversöhnlich gegenüber. Ersteren geht es nicht nur um Welpen, sondern um alle Tiere. „Tiere in Tierhandlungen zu verkaufen ist wie Kinder in Kinderhandlungen zu verkaufen“, fasst der Professor der Verhaltensbiologie Kurt Kotrschal die Position der Tierschützer zusammen: „Moralisch absolut nicht vertretbar.“ Lieber solle man Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen und Hunde beim Züchter oder im Tierheim abholen.
Waffenruhe herrschte zwischen den unvereinbaren Positionen der beiden Parteien, weil Anfang der 90er Jahre der Verband der Zoohändler auf die Tierschützer zugegangen war und sich wegen der besonderen Wertschätzung des Hundes durch den Menschen verpflichtet hatte, keine Welpen zu verkaufen, auch wenn damit kein geltendes Recht verletzt würde. Im Gegenzug nahmen die Tierschützer hin, dass Vögel, Kaninchen und Hamster in den Geschäften verkauft wurden. Mit Zajacs Vorstoß ist der Waffenstillstand gebrochen.
"Tierschützer sind Hooligans"
Zajac, ein Klotz von einem Kerl, ist keiner, der sich sagen lässt, was er zu tun hat. Er will Tiere verkaufen, auch Hunde – und deshalb tut er es. Die Tierhandlung ist sein Leben. Zusammen mit seiner Frau wohnt er sogar auf dem Gelände mitten im Industriegebiet, direkt an der Autobahn. Dem Pudelzüchter im Münsterland sagt er: „Als Züchter interessieren mich Hunde nicht. Mache ich schon zu lange.“ Der Mann nickt verständnisvoll. „Gerade habe ich ein Gürteltier in der Zoohandlung. Mein neuestes Zuchtobjekt.“ Zajacs wasserblaue Augen leuchten in seinem massigen, geröteten Gesicht. „Mit den Hunden mache ich ja nicht mal Gewinn.“
Aber warum stellt er sich dann dafür in den Kugelhagel der Tierschützer? „Ich will Familienmitglieder verkaufen.“ Er klingt fast wie seine Gegner – würde er das Wort „verkaufen“ nicht benutzen. „Früher habe ich mich auch Tierschützer genannt“, sagt er. „Heute ist das für mich ein Schimpfwort. Tierschützer sind Hooligans.“ Drei Morddrohungen hat er erhalten, täglich bekommt er E-Mails, in denen er als Tierquäler und Asozialer beschimpft wird. Manchmal kommt ein Tierschützer ins Geschäft und schreit „Hunde sind keine Ware!” oder „Zajac ist ein Tierquäler!” Auch die Angestellten erhalten Droh-Mails. „Hören Sie auf, bei diesem geldgeilen Tierquäler zu arbeiten“, heißt es darin dann. Siebenmal haben Tierschützer bereits vor seinem Geschäft protestiert. An sich nichts Besonderes, Deutschlands Tierschützer demonstrieren mindestens einmal in der Woche irgendwo, aber noch nie bildeten die Tierschutzvereine eine so breite Front für eine Sache. Peta, Tasso, der Deutsche Tierschutzbund, Vier Pfoten und viele andere rufen zum Protest. Die Tierschutzlobby ist stark. Sie kann viele Menschen mobilisieren und Zoohändlern das Geschäft zerstören. Bei der vergangenen Demonstration hielten mehr als 200 Menschen gegenüber von Zajacs Zoohandlung Transparente in die Höhe und riefen im Chor: „Zajac gehört abgeschafft – Tierquäler gehören abgeschafft.“
Zajac lässt sich von dem Pudelzüchter die Unterkunft der Welpen und Elterntiere zeigen. Er inspiziert sogar die Zitzen der Mutter um sicherzugehen, dass sie gerade trächtig war und dass ihm kein Wurf aus einer Massenzüchtung untergeschoben wird. Er lässt sich die Impfpässe vorlegen. Zajac hat den Feind und dessen Vorstellungen genau studiert. Er bietet keine Angriffsfläche.
Als die Proteste losgingen, hat er die Tierschützer eingeladen, sich das Welpengehege anzusehen. Mittlerweile heuert er für die Demos Wachmänner an, damit die Tierschützer von seinem Grundstück fernbleiben.
Der nächstgelegene Stützpunkt der Zajac-Gegner ist das Tierheim in Duisburg, zehn Kilometer von der Zoohandlung entfernt. Von hier aus behalten die Mitarbeiter die Zoohandlung im Auge und stehen in Kontakt mit fast allen Tierschutzvereinen des Landes. Im Tierheim sitzt die stellvertretende Vorsitzende, Gudrun Wunsch, an ihrem Schreibtisch. Bis vor ein paar Jahren hat sie in einer Bank gearbeitet, sie verdreht die Augen, als sie davon erzählt. Nebenbei arbeitete sie schon damals als Hundetrainerin. Schließlich entschied sie sich, ihr Leben ganz den Tieren zu widmen. „Von Morddrohungen und Hassbriefen distanzieren wir uns“, erklärt sie – klein, aschblonde schulterlange Haare, Anfang 40 – mit hoher Stimme. Anfangs wählt sie ihre Worte mit Bedacht, später spricht sie immer schneller, und ihre Stimme überschlägt sich, als sie sagt: „Keine Frage: Man muss diesen Laden boykottieren. Mit Tieren darf man nicht handeln. Wir haben noch hingenommen, als Zajac begann, kleine Katzen zu verkaufen. Aber mit den Welpen ist er zu weit gegangen.“ Hunde seien nun mal die besten Freunde des Menschen.
Tierschützer sind auf der Suche nach neuen Strategien
Die Tierschützer wissen mittlerweile, dass sie dem Zoohändler allein mit E-Mails und Demos nichts anhaben können. Sie suchen deshalb ständig nach neuen Strategien.
Die bisher schärfste Waffe: Boykottaufrufe an die Tierfutter- und Zubehörhersteller. Mehr als 95 Prozent von 20 Millionen Euro Jahresumsatz macht Zajac mit Tierfutter, Spielzeug, Körben. Seit Monaten schicken die Tierschützer deshalb E-Mails an die Hersteller. Vertreter der Tierfutterprodukte von Nestlé und Mars haben sich schon den Welpenverkauf angesehen. Die Lieferungen haben sie nicht eingestellt. Nur ein kleiner bayerischer Futtermittelproduzent stoppte bisher den Verkauf an Zajac. Die Begründung: „Wir haben eine andere Einstellung als Zoo Zajac. Für uns ist der Hund ein wertvolles Familienmitglied, das nicht in eine Zoohandlung gehört.“ Weil der kleine Produzent den Großhandel nicht in den Boykott einbeziehen kann, steht das Futtermittel immer noch bei Zajac im Regal. Eine weitere Strategie der Tierschützer: Möglichst viele Kunden sollen mit Argumenten zum Boykott von Zajacs Laden bewegt werden. „Die Welpen kommen aus dubiosen Quellen, zum Beispiel von Massenzüchtern aus Osteuropa“, sagt Gudrun Wunsch hinter ihrem Tisch. Die würden die Tiere in kalten Käfigen ohne menschlichen Kontakt halten, die Muttertiere zu mehr als den erträglichen zwei Würfen im Jahr zwingen und die Welpen anschließend im Kofferraum nach Deutschland transportieren. „Diese Tiere sind hochgradig gestört. Irgendwann landen sie im Tierheim, weil sie niemand haben will.“ Wunsch streichelt einen Rottweiler, der ihr zu Füßen liegt. „Auch er war gestört, als ich ihn aus dem Tierheim geholt habe. Auf niemanden hörte er. Keine Ahnung, was er durchgemacht hat. Aber seit ich ihn erzogen habe, sieht man seinen lieben Charakter.“
Zajac fährt mit einer Tierärztin zu seinen Züchtern, und nach eigener Aussage fährt er nie nach Osteuropa. Wie bei dem Hobbyzüchter im Münsterland macht er sich überall ein Bild, beobachtet, wie die Züchter mit den Hunden umgehen, ob sie die Welpen streicheln und mit ihnen spielen. Erst wenn er sicher ist, dass alles passt – nach Angaben von Zajac erfüllen nur 60 Prozent der Züchter die Anforderungen –, macht er für die künftigen Hundehalter ein Foto der Züchter mit dem Wurf und von den Elterntieren. Und wenn die Welpen neun Wochen alt sind, darf der Züchter sie nach Duisburg bringen. Dort warten drei festangestellte Tierärztinnen, junge tierliebe Frauen, die gerne erzählen, dass sie im Sommer nach Ungarn fahren und dort Straßenhunde kastrieren.
Welpen brauchen Erziehung und Gesellschaft - nicht nur Auslauf
„Welpen brauchen Auslauf, den bekommen sie in der Zoohandlung nicht“, klagten die Tierschützer vor der Eröffnung des Hundegeheges. Und: „Die Hunde sind überfordert, wenn ständig Leute an die Scheibe klopfen.“
Zajac baute für 800 000 Euro ein Hundegehege, das die Auflagen des Veterinäramts übererfüllt. Die Welpen eines Wurfs, meist fünf Hunde, teilen sich jeweils einen 22 Quadratmeter großen Raum – so groß also wie ein durchschnittliches deutsches Wohnzimmer. Der Boden ist mit gelenkschonendem Gummi ausgelegt. Darunter ist eine Fußbodenheizung montiert, die ständig in Betrieb ist, und es gibt automatische Tränken. Eine Wand des Raums ist aus Glas, so dass die Besucher der Zoohandlung die Tiere sehen können. Zwischen den Besuchern und den Hunden liegt ein breiter Gang – niemand kann gegen die Scheibe klopfen. Von ihrem Wohnzimmer können die Hunde direkt in ein überdachtes Außengehege.
„Welpen brauchen intensive Betreuung und Erziehung, sie müssen an Menschen und andere Hunde gewöhnt werden, an den Verkehr, an Geräusche. Das ist in der Zoohandlung nicht möglich“, sagt Gudrun Wunsch. Welpen, denen diese frühe Erziehung fehle, seien verkorkst.
Zajacs Tierärztinnen haben einen strengen Trainingsplan für die Welpen erarbeitet: täglich 15 Minuten Gassigehen auf einer Strecke, auf der oft Menschen mit Hunden unterwegs sind, bis zu einer großen Kreuzung mit viel Verkehr. 15 Minuten Schmusen. 15 Minuten Kommandotraining. Alle Mitarbeiter werden geschult, bevor sie mit den Welpen in Kontakt kommen, damit sie dieselben Befehle geben. Ständig sind zwischen zehn und 20 Mitarbeiter bei den Hunden, auch am Wochenende, putzen die Anlage, füttern die Hunde.
„Den künftigen Halter der Welpen muss man genau prüfen“, sagt Gudrun Wunsch. „Wie wohnt er? Welches Tier passt zu seinem Lebensstil? Will er das Tier wirklich? In der Zoohandlung geht es nur ums Geschäft.“
Zajacs Tierärztinnen haben alle Verkäuferinnen geschult, worauf sie bei den künftigen Welpenhaltern achten müssen. Sie sagen, 40 Prozent der Interessenten würden abgewiesen. Und ein Tier in den Arm nehmen darf nur, wer ein langes Verkaufsgespräch hinter sich hat.
„Wir werden weiter kämpfen“, sagt Gudrun Wunsch. „Selbst wenn wir Zajac nicht stoppen können: Es geht auch darum, andere Zoohandlungen abzuhalten.“
Als Zajac sich vom Pudelzüchter im Münsterland verabschiedet, stimmt er sich wieder auf den Krieg ein. Dem Züchter befiehlt er: „Nennen Sie der Presse niemals Ihren Namen!“ Einmal habe ein Reporter den Namen von einem seiner Züchter veröffentlicht – anschließend habe der über Drohbriefe und Telefonterror geklagt. „Ich kann mit diesen Attacken gut umgehen, aber Sie wollen das bestimmt nicht“, knurrt Zajac. Dabei blickt er von oben auf den kleinen Mann herab. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und vergnügter Grimmigkeit. Vielleicht führt Norbert Zajac den Krieg auch, weil er Spaß daran hat.
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