Naturschutz: Der Salamander muss flüchten
Regierungsbericht zur Lage der Natur: Nur ein Viertel der deutschen Naturschutzgebiete ist in einem guten Zustand. Vor allem die Bebauung und die Landwirtschaft schädigen die biologische Vielfalt.
Der Gesang der Feldlerche ist atemberaubend. Sie stößt eine schnelle Tonfolge aus, die von Sekunde zu Sekunde lauter wird. Dabei steigt der unscheinbare Vogel steil in die Luft. Ist der Höhepunkt des Gesangs erreicht, flattert die Lerche verstummt wieder auf den Boden zurück. Vor 15 Jahren war der Gesang der Feldlerche in offenen Landschaften noch oft zu hören. Häufig wurde er übertönt von einem lauten Kiwitt-Kiwitt des Kibitz, der in einer Schlingerbewegung über die Felder fliegt, als wäre er leicht betrunken. Heute sind diese Vögel kaum noch auf Feldern zu sehen oder zu hören. Die Bestände von Wiesenvögeln wie Lerche oder Kibitz sind dramatisch gefallen. Die Feldlerche steht inzwischen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Das ist dem „Bericht zur Lage der Natur“ zu entnehmen, den Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und die Chefin des Bundesamts für Naturschutz (BfN), Beate Jessel, am Mittwoch in Berlin vorgestellt haben.
Der viele Mais setzt den Wiesenvögeln zu
Der Grund für den Rückgang der Wiesenvögel ist die Landwirtschaft, die in Deutschland immer intensiver geworden ist. Es wird mehr gedüngt, viel mehr Mais angepflanzt. Grünland, auf dem früher Kühe gegrast haben, ist zu Ackerland umbrochen worden, Feuchtwiesen werden entwässert, Wiesen öfter oder gar nicht mehr gemäht. Beides ist für die biologische Vielfalt in Deutschland ein Problem, berichtet Beate Jessel. „Die landwirtschaftlich genutzten Flächen sind aus Sicht des Naturschutzes überwiegend in einem schlechten Zustand“, sagt Jessel. Barbara Hendricks stellt fest: „Viele Arten wie Schmetterlinge oder Bienen leiden darunter, dass blütenreiche Wiesen in Maisäcker umgewandelt werden.“ Auch Amphibien verlieren so ihre Lebensräume.
Auf mehr als 17 Prozent der Ackerfläche in Deutschland wüchsen schon jetzt Energiepflanzen. „Das reicht“, findet Hendricks und unterstützt deshalb Pläne von Energieminister Sigmar Gabriel, die Förderung von Biogas in seiner Erneuerbare-Energien-Gesetz-Novelle drastisch einzuschränken. Neue Biogasanlagen müssten mit Abfall- und Reststoffen gefüllt werden und nicht mehr mit Mais, findet Hendricks. Der Vorstand der Umweltstiftung WWF, Eberhard Brandes, nennt die Landwirtschaft „eine Problemzone des Naturschutzes“. Michael Lohse, Sprecher des Deutschen Bauernverbands (DBV) weist dagegen darauf hin, dass die Bauern „auf jedem dritten Hektar“ im Rahmen von Agrarumweltleistungen „freiwillig bestimmte Naturschutzleistungen“ erbrächten. Er wehrt sich allerdings dagegen, „dass der Naturschutz der Landwirtschaft den Verlust an Lebensräumen vorwirft“, während gleichzeitig täglich rund 70 Hektar Fläche zubetoniert würden.
Im Bericht werden mehr Daten verarbeitet als je zuvor
Der Rechenschaftsbericht über den Zustand der biologischen Vielfalt in Deutschland ist an die EU-Kommission in Brüssel gerichtet. 2007 hat Deutschland erstmals über den Zustand der Tier- und Pflanzenarten sowie der Ökosysteme in den sogenannten Natura-2000-Schutzgebieten berichtet. Der neue Bericht beruht aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger auf viel mehr real erhobenen Geländedaten, und nicht mehr nur auf Expertenschätzungen. 12 000 Stichproben – also Beobachtungspunkte – sind in den Bericht eingearbeitet worden. Erhoben wurden die Daten über seltene oder auch typische Arten sowohl von professionellen wie von ehrenamtlichen Naturschützern.
Große Säugetiere wandern wieder in ihre angestammten Lebensräume ein
Zwar ist der Zustand der Ökosysteme lediglich in einem Viertel der Fläche der geschützten Vogelschutz- und Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiete gut. Dennoch hatten Hendricks und Jessel auch Erfolge im Naturschutz zu vermelden. So nehmen die Bestände bei den Seehunden und Kegelrobben seit Jahren zu. Dafür ertrinken Schweinswale und Meeresvögel in großer Zahl in Stellnetzen in der Nord- und der Ostsee. Als Erfolg wertet Jessel auch die Zunahme großer Greifvögel wie des Seeadlers im Nordosten Deutschlands oder großer Säugetiere wie dem Biber, der inzwischen an den meisten Flüssen in Deutschland wieder zu Hause ist – übrigens auch an der Spree in Berlin.
Auch dass große Raubtiere wie Wölfe und Luchse oder kleine wie die Wildkatze in ihre früheren Lebensräume zurückwandern oder erfolgreich wieder angesiedelt werden konnten, gilt Jessel und Hendricks als Erfolg. Als großes Problem benennen sie, darin einig mit dem Bauernverband, den anhaltenden Flächenverlust durch den Neubau von Straßen, Gewerbegebieten und der Bebauung von Brachflächen. Dadurch würden weiterhin Lebensräume zerschnitten und Tierarten von ihrer Nahrung oder ihren Artgenossen getrennt. Abhilfe könnte aus Sicht von Hendricks und Jessel ein konsequenter Hochwasserschutz mit Deichrückverlegungen und einer Wiederherstellung alter Auenwälder schaffen. Wenn die Flüsse mehr Platz hätten, würden Überschwemmungen weniger stark ausfallen, und die Auenwälder könnten vielen Tier- und Pflanzenarten neue Lebensräume bieten.