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Eine Ansiedlung in der Nähe von Riesa. Sollte den Flüssen mehr Raum gegeben und bedrohte Ortschaften aufgegeben werden?
© dpa

Hochwasser in Brandenburg: Schutz vor Überschwemmungen: Bedrohte Ortschaften aufgeben?

Fehlende Polder an den Flüssen, Personalmangel in den Behörden und die braune Spree: Immer wieder steht die Politik vor den gleichen Herausforderungen, wenn das Hochwasser kommt. Welche Schlüsse zieht sie für die Zukunft?

Gebt den Flüssen ihre Räume wieder! Diese Einsicht, dass der beste Hochwasserschutz natürliche Überflutungsflächen sind, besser als immer höhere Deiche, ist nach jeder Flut präsent. Auch in Brandenburg, wo dies Matthias Platzeck 1997 zur Oderflut, damals Umweltminister als „Deichgraf“ zum ersten Mal verkündete. Auch später, bei der Elbeflut 2002, war das der Fall. Trotzdem ist die Bilanz der Überflutungsflächen, die in Brandenburg neu geschaffen wurden, überschaubar: in der Prignitz am Bösen Ort, an der Schwarzen Elster, und eine, die geplant ist, um die seit mehr als einem Jahrzehnt gestritten wird, nämlich in der Neuzeller Niederung.
Trotzdem wies Matthias Platzeck, seit 2002 Ministerpräsident, auf der Pressekonferenz am Dienstag in Potsdam zur aktuellen Hochwasserlage im Land Kritik am auch in Brandenburg schleppenden Tempo bei der Ausweisung von sogenannten Retentionsflächen zurück. Im Gegenteil, „Brandenburg muss sein Licht nicht unter den Scheffel stellen“, sagte Platzeck. Im Vergleich zu anderen Ländern seien hier mehr Überflutungsflächen entstanden, „wir haben in der Prignitz Europas größte Deichrückverlegung realisiert“. Dass es dennoch so lange dauere, in Deutschland insgesamt, liege auch an der dichten Besiedelung, der Kulturlandschaft. Aber natürlich werde man, so sekundierte Umweltministerin Anita Tack (Linke), da weiter zulegen müssen.

Die braune Flut kommt: Bisher hat die Talsperre Spremberg (Spree-Neiße) das Eisensulfat aus der Spree abgefangen. Durch die Öffnung der Talsperre gelangt das braune Wasser nun auch in den Spreewald.
Die braune Flut kommt: Bisher hat die Talsperre Spremberg (Spree-Neiße) das Eisensulfat aus der Spree abgefangen. Durch die Öffnung der Talsperre gelangt das braune Wasser nun auch in den Spreewald.
© Patrick Pleul/dpa

Perspektivisch wird die Politik beim Hochwasserschutz aber nicht um schwierige Entscheidungen auch gegen den Willen der Bevölkerung herumkommen. Davon geht SPD-Landtagsfraktionschef Ralf Holzschuher aus. Es gehe künftig nicht mehr nur um die Frage, ob man den Flüssen wieder mehr Raum geben müsse, sondern darum, ganze, wiederholt von Hochwasser bedrohte Ortschaften aufzugeben. Holzschuher formulierte es vorsichtiger. Er sprach davon, „Siedlungszonen in Frage zu stellen“. Tack wiederum wies Kritik aus der Opposition zurück, dass Brandenburg zu wenig für den Hochwasserschutz getan habe und sich der Personalabbau im Landesumweltamt räche. Das arbeite solide und kontinuierlich, erfülle auch in diesem Bereich seine Aufgaben. Klar sei, dass es auch nach diesem Hochwasser wieder eine Manöverkritik geben werde, welche Schlussfolgerungen gezogen werden müssen. Dagegen kritisierten CDU, FDP und Grüne im Landtag, dass insbesondere im Bereich Wasserbau erfahrene Ingenieure in die Rente geschickt und nicht durch neue ersetzt werden. Stattdessen würden bei Hochwasserlagen die Pensionäre sogar wieder reaktiviert.

In mancher Hinsicht ist die Ausgangslage, mit der Brandenburg sich auf die neuen Flutmassen einstellt, besser als früher. Nach den großen Fluten an Oder (1997) und Elbe (2002) sind nach Angaben der Landesregierung rund 400 Millionen Euro in den Deichbau geflossen, vor allem an Oder und Elbe. „Wir werden uns demnächst dann auch mit ähnlicher Hingabe dem Thema Schwarze Elster widmen müssen“, sagte Platzeck. An der Elbe bei Lenzen (Brandenburg) wurde das bundesweit größte Projekt einer Deichrückverlegung 2009 abgeschlossen. Auf mehr als sieben Kilometern Länge wurde der Deich bis zu 1,3 Kilometer weit in das Landesinnere verlegt. So entstand eine Überflutungsfläche von 420 Hektar. Etwa 3800 Menschen sowie Agrarflächen und Industrie sollen dadurch besser vor Hochwasser geschützt werden.

Für Grünen-Fraktionschef Axel Vogel, einst selbst im Landesumweltamt tätig, ist Brandenburg dennoch nur der „Einäugige unter den Blinden“, wenn es um mehr Auslaufgebiete für Hochwasser geht. In Lenzen hätten der Bund und die EU die Gelder zur Verfügung gestellt. An anderer Stelle habe die Landesregierung ihre Pläne aufgegeben, sobald sich Widerstand von Anwohnern oder Landwirtschaftsbetrieben regte. Mit dieser Politik nehme die Landesregierung in Kauf, dass statt Wiesen und Auwäldern historische Innenstädte überflutet werden. CDU-Fraktionschef Dieter Dombrowski sagte, seit den Fluten 1997 und 2002 „ist nicht geschehen, was notwendig war“. Zudem seien die Gelder der EU für den Deichbau auf den ländlichen Raum beschränkt und könnten nicht in Innenstädten eingesetzt werden. FDP-Landeschef Gregor Beyer forderte insgesamt mehr Gelder im Haushalt für den Hochwasserschutz. Angesichts der durch den Klimawandel zu erwartenden extremen Wettereignisse müsstes gerade kleinere Flüsse wie die Schwarze Elster als Vorflut der Elbe ertüchtigt werden. Die Landesregierung dagegen habe die Schwarze Elster in der Prioritätenliste für Schutzmaßnahmen herabgestuft.

Immerhin können die Behörden dank moderner Technik im Ernstfall schneller reagieren. Den Krisenstäben liegt inzwischen eine digitale Reliefkarte Brandenburgs vor, für die per Laser jede noch so kleine Bodenwelle erfasst wurde. Im Gegensatz zu den letzten „Jahrhundertfluten“ können diesmal bei drohenden Deichbrüchen genau prognostiziert werden, welche Räume und Ortschaften von Überschwemmungen bedroht sind – was Evakuierungen erleichtert. „Wir wissen diesmal genau, wo wir evakuieren müssen“, sagte Innenminister Dietmar Woidke (SPD), der Chef-Katastrophenschützer in der Landesregierung. Platzeck kündigte an, dass man diesmal Karten mit möglichen Überflutungsräumen an die Bevölkerung ausgeben werde. „Wir haben mündige Bürger, die damit umgehen können.“

Völlig offen dagegen ist, was aus der Spree wird. Aus der Talsperre in Spremberg wird jetzt mit Eisenocker belastetes Wasser direkt in den Spree abgelassen. Die Folgen sind noch unabsehbar. Dabei ist das Problem lange bekannt – wurde aber jahrelang verharmlost.

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