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Teilnehmer einer Hass-Demo gegen den Youtuber "Drachenlord".
© David Oßwald/dpa

Cybermobbing: Der Fall „Drachenlord“ offenbart den Menschenhass im Internet

Ein Youtuber namens „Drachenlord“ wird von Hass-Demonstranten verfolgt. Der Fall zeigt, wie gefährlich der Cybermob werden kann. Was treibt die Hasser an?

Die Stimme stockt. Ein schüchternes Lächeln umspielt die Lippen. Dann nimmt Rainer W. allen Mut zusammen. Tausende Zuschauer seiner Live-Videoübertragung werden Zeuge, wie er der zugeschalteten Userin „Erdbeerchen“ einen Heiratsantrag macht. Sie zögert. Dann antwortet sie: „Du bist der fetteste, dümmste Idiot, den ich je in meinem Leben gesehen habe.“ Junge Männer springen ins Bild. Sie feixen, johlen. Über Wochen haben sie diesen Coup vorbereitet. Mit einem einzigen Ziel: einen Menschen maximal zu demütigen.

Rainer W. sackt in sich zusammen. Mit leerem Blick sitzt er da, Tränen in den Augen. Später wird er sagen: „Jeder Mensch hätte sich danach aus dem Fenster geschleudert.“ Rainer W., bekannt als „Drachenlord“, ist derzeit wohl die meistgehassteste Person im deutschsprachigen Internet. Für vergangenen Montag verabredeten sich knapp 10 000 Menschen in sozialen Netzwerken unter dem Motto „Dem Drachen das Fürchten lehren!“ Treffpunkt: Das Haus von Rainer W. im fränkischen Dorf Altschauerberg, im Netz nur als „Drachenschanze“ bezeichnet.

Früher war ich mal überzeugt, dass wir heute weiter wären als im Mittelalter. Aber dieser Mob, das ist Mittelalter - mit Internetzugang.

schreibt NutzerIn pressekritiker2

Die örtlichen Behörden sprachen ein Versammlungsverbot aus. Es nützte nichts. 800 vornehmlich junge Männer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kamen trotzdem zur Hass-Demonstration. Die Polizei war überfordert, ein Unterstützungskommando musste herbeigerufen werden. Der Mob schmiss Feuerwerkskörper und grölte: „Die Schanze muss brennen!“ Hunderte Platzverweise wurden erteilt, mehrere Festnahmen erfolgten. Ein Sprecher der Polizei sagte: „Es gab konkrete Hinweise auf geplante Straftaten bis hin zu Morddrohungen gegen den Drachenlord.“

Die Hater schreiben: "Geh ins Gas"

Wie konnte es soweit kommen? Rainer W. ist anders. Ein Außenseiter, ein ehemaliger Sonderschüler mit einer Lese-Rechtschreibschwäche. Bekennender Metalfan mit Übergewicht. Einer, der auch mal öffentlich über Sex mit Tieren fabuliert. Vor einigen Jahren begann er dann, auf einem Videoportal Tanzfilme zu veröffentlichen. Der heute 29-Jährige hatte den Traum, den viele junge Menschen teilen, die ihr Privatleben im Internet präsentieren: berühmt werden und Geld verdienen. 75 000 Abonnenten hatte sein Kanal zuletzt.

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Doch ein großer Teil von ihnen sind sogenannte Hater, Internet-Nutzer, die den „Drachenlord“ im Schutz ihrer Online-Anonymität attackieren. Sie verbreiten gefälschte Nacktbilder von Rainer W., schreiben Kommentare wie „Geh ins Gas“ oder „Lösch dich“. Spott schlägt in ungebremsten Hass um. Er sei zu dick. Er sei zu dumm. Er sei zu peinlich.

Eine groteske Parallelwelt entsteht, genannt das „Drachengame“. Einziges Ziel des Spiels: gezielt organisierten, kollektiven Psychoterror gegen einen Wehrlosen zu entfalten. Es werden Videospiele programmiert und Fanartikel entworfen. Nachrichtenblogs berichten täglich entwürdigend über den Mann. Und Rainer W. macht das, wovor alle Mobbing-Experte warnen. Er steigt darauf ein. Provoziert und beleidigt zurück. In Videos verharmlost er salopp den Holocaust, reißt frauenfeindliche Sprüche. Als die ersten Hater anrufen und seine Schwester bedrohen, veröffentlicht er seine Adresse, mit der Aufforderung, den Konflikt persönlich auszutragen.

Unbekannte schänden das Grab des Vaters

Die Folgen sind gravierend. Fortan pilgern täglich Dutzende nach Altschauerberg, manche dringen auf sein Privatgrundstück ein. Sie werfen Eier und Böller. Während einer Livesendung rufen Hasser die Feuerwehr in sein Haus, dann bestellen sie auf seinen Namen Material für den Bau von Bomben. Auch Nachbarn werden terrorisiert, der Wohnort von Rainer W. von Vandalismus überzogen. Schließlich wird das Grab seines Vaters geschändet, Unbekannte tauchen gar mit Masken des 2011 Verstorbenen auf. Alles wird gefilmt und im Netz tausendfach geteilt.

Der Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger erkennt in diesem Verhalten einen „digitalen Narzissmus“. Um Anerkennung abzuholen, steigerten sich Hater in immer drastischere Taten, oft verbunden mit ökonomischen Interessen – hohe Klickzahlen können hohe Einnahmen erzeugen. Mit Sorge betrachtet Rüdiger dabei die Verrohung im oft rechtsfreien Raum des Netzes, dieser lasse auch die Hemmschwelle in der Realität sinken: „Wenn ich im Internet das Gefühl bekomme, ungestraft beleidigen oder bedrohen zu können, dann ist der Schritt, das auch auf der Straße zu machen, kleiner.“

Aber was motiviert junge Menschen dazu, ihre Lebenszeit darauf zu verwenden, andere zu demütigen? Die Cyberpsychologin Catarina Katzer sagt, es gehe einem Teil der Täter darum, ihre Macht zu demonstrieren, zu spüren „Wir können hier bestimmen, wie weit das geht.“ Denn wenn Aggressionen auf Individuen und Gruppen gerichtet werden, die unbeliebt oder machtlos sind, kann das auch eigene psychologische Grundbedürfnisse befriedigen: Kontrolle, Zugehörigkeit und Lustgewinn.

Hass stabilisiert das labile Selbstwertgefühl

Vor allem in Zeiten, in denen gesellschaftliche Verunsicherung ein labiles Selbstwertgefühl bedrohen, kann der Hass dann vorübergehend stabilisieren. Die Geschichte habe hinlänglich bewiesen, wohin solche Mechanismen führen können. Cybermobbing, als moderne Form der gesellschaftlichen Ausgrenzung, werde aber immer noch verharmlost. „Der Hass ist nicht bloß virtuell, er ist real und muss gestoppt werden, bevor die Abwärtsspirale nicht mehr zu kontrollieren ist.“

Auch Peter Sommerhalter vom Karlsruher Bündnis gegen Cybermobbing nennt die Selbstinszenierung in Altschauerberg eine „Egotankstelle“. Besonders erschreckend sei es, dass die Beteiligten bei ihrem vermeintlichen Spaß jegliche Empathiefähigkeit vermissen lassen. Der Fall Rainer W. habe gezeigt wie die, durch unpersönliche Distanz des Internets begünstigte, digitale Entmenschlichung in einen grölenden Mob umschlagen könne, der das Haus eines Einzelnen belagere. „Das ist aber kein Spiel mehr, sondern die Vorstufe zur Lynchjustiz.“

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