Lily James in "Cinderella": Das neue Aschenbrödel
Die junge Britin Lily James schafft mit ihrer Rolle „Cinderella“ den Durchbruch. Sie spielt so überzeugend, dass Märchen aus älteren Tagen überholt zu sein scheinen.
Kenneth Branagh konnte einem leidtun. Fünf Mal war er für einen Oscar nominiert, fünf Mal ging leer aus. Seine Ehe mit Emma Thompson – die Kollegin ist zweifache Oscar-Gewinnerin – scheiterte. Er hatte sich einen hervorragenden Ruf als Verfilmer etlicher Dramen von William Shakespeare erarbeitet, den er aber 1994 mit dem Horror-Film „Mary Shelley's Frankenstein“ beinahe ruinierte. Als er den Kommissar Wallander spielte, machte er beim Fernsehpublikum viel wieder gut. Nun bringt der Regisseur „Cinderella“ heraus, die Titelrolle spielt die 25-jährige Lily James.
„Cinderella“ passt zu der jungen Britin. Es bedarf keines Orakels, um vorauszusehen, dass die Rolle des Aschenputtels oder Aschenbrödels (wie Cinderella in der Märchensammlung von Ludwig Bechstein genannt wird) für Lily James den endgültigen Durchbruch bedeutet. Nicht aller Anfang ist schwer. Die Absolventin der Londoner Guildhall School of Music and Drama ergatterte gleich im Abschlussjahr 2010 einen Part in der vierteiligen Familienserie „Just William“. Im Jahr darauf spielte sie die Poppy in einer weiteren TV-Serie, die weniger familientauglich klingt, „Secret Diary of a Call Girl“ („Geständnisse einer Edelhure“).
Lily James gönnte sich keine Pause, abermals ein Jahr später schaffte sie, was 1968 in der Bundesrepublik Deutschland Uschi Glas gelungen war.Uschi Glas galt dank „Zur Sache, Schätzchen“ als Schätzchen der Nation, Lily James brachte es dank „Downton Abbey“ zum „Downton darling“. In der Rolle der tanzlustigen, erfrischenden Lady Rose eroberte sie Großbritannien und die Welt.
Die Stiefmutter verkörpert Cate Blanchett
Das Cinderella-Thema ist ein globales, Amerika liebt es in allen möglichen Varianten: als gleichnamigen Zeichentrickfilm von Disney (1950), als „Pretty Woman“ (1990) oder zuletzt als von den Kritikern geschmähten, gleichwohl höchst erfolgreichen Soft-Peversions-Film „Fifty Shades of Grey“. Wie „Fifty Shades of Grey“ spricht auch „Cinderella“ eher ein weibliches als ein männliches Publikum an. „Cinderella“ ist allerdings jugendfrei. Dass Lily James von Cate Blanchett, die ihre neiderfüllte Stiefmutter verkörpert, nicht an die Wand gespielt wird, ist zum einen der klugen Inszenierung Kenneth Branaghs zu verdanken, zum andern der Schauspielkunst der Hauptdarstellerinnen aus Großbritannien und Australien.
Die Stiefmutter, die zwei stumpfsinnige und plumpe leiblichen Töchter hat, erträgt die strahlende Jugend und Anmut ihrers Stiefkinds kaum, zumal diese ihr das eigene Altern tagtäglich vor Augen hält. Ein Hochgenuss fürs Auge sind die verschwenderischen Kostüme. Selten haben in den vergangenen Jahren Kostümdesigner so einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Es ist das erste Verdienst der dreifachen Oscar-Gewinnerin Sandy Powell. Die Ballroben und Tageskleider waren ihren Aussagen zufolge inspiriert durch das 19. Jahrhundert, wie es in Hollywoodfilmen der vierziger und fünfziger Jahre dargestellt wurde.
Der Blickfang schlechthin sind die gläsernen Cinderella-Schuhe, die in Zusammenarbeit mit der Kristallmanufaktur Swarovsky entstanden sind. Ein Ding der Unmöglichkeit, darin auch nur ein paar Meter zu gehen. Der Illusion tut das indes keinen Abbruch. Der weihnächtliche Fernsehdauerbrenner „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ der 1973 entstanden ist, wird in naher Zukunft voraussichtlich abgelöst von der Hochglanz-Cinderella des 21. Jahrhunderts. Mit den grandiosen Gegenspielerinnen Cate Blanchett und vor allem Lily James.
Jürg Zbinden
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