Volksbegehren in Bayern: Das Gefühl Biene
In Bayern hat das Volksbegehren „Artenvielfalt“ die Gesellschaft wachgerüttelt. Auch bei vielen Konservativen wächst das ökologische Bewusstsein.
Die Münchner Sonne scheint auf die Bienenkisten im Garten von Claudio Casanova. Die ersten Tiere wagen hier im südlichen Stadtteil Forstenried einen kleinen Inspektionsflug nach draußen und verkriechen sich dann wieder. „Da drin schmiegen die sich eng aneinander“, sagt der Imker. Den Wirbel, der in den letzten Wochen in Bayern um sie gemacht wurde, haben die Bienen selbst vollkommen verschlafen. Die Menschen hingegen stellten sich bei Minusgraden in langen Schlangen vor den Rathäusern an, um sich für das Volksbegehren „Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen!“ einzutragen. Daraus wurde eine Bienen-Massenbewegung, die die CSU mehr als nur irritiert.
„,Rettet die Bienen‘ – der Slogan ist hervorragend“, meint Claudio Casanova. Doch um seine Tiere geht es gar nicht. „Die Honigbiene ist wirklich nicht in Gefahr.“ Aber hätte man einen ähnlichen Erfolg erzielt, wenn man für die Rettung der gefährdeten Schnarrschrecke, der Großen Hufeisennase oder des Eichenheldbocks aufgerufen hätte? Casanova ist ein Bayer mit italienischem Vater. 51 Jahre alt, gelernter Programmierer, Hausmann und Hobby-Imker mit zehn Völkern. Er sagt etwas, das genau die bayerische und vielleicht auch bundesdeutsche Befindlichkeit trifft: „Biene ist ein Gefühl.“
Nur mal zum Vergleich: 18,4 Prozent der Wahlberechtigten haben sich in zwei Wochen in die Unterschriftenlisten des Volksbegehrens eingetragen. 26,9 Prozent der Wahlberechtigten, gar nicht einmal so viel mehr, haben bei der Landtagswahl im vergangenen Oktober CSU gewählt. Die Zahlen machen die Dimension des Erfolges klar. Wenn fast jeder fünfte Wahlberechtigte unterschreibt, ist hier offensichtlich ein Nerv getroffen worden. Die Parteien der sogenannten bürgerlichen Mitte kommen um das Thema Artenvielfalt nun nicht mehr herum.
1745383 von 9494510 Wahlberechtigten haben unterschrieben – fast doppelt so viele wie nötig. Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Grünen, twitterte: „Ich verneige mich vor den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern.“ Selbst der britische „Guardian“ berichtete und zeigte bayerische Aktivisten im Bienenkleid. Die Zeiten, in denen man sich in konservativen Kreisen über die, die Kröten über die Straße getragen haben, lustig gemacht hat, sind vorbei. Doch hat das Umweltthema auch die CSU erreicht? „Das ist mir noch nicht klar“, sagt Josef Göppel. Der 67-jährige ehemalige Bundestagsabgeordnete und ausgebildete Förster ist so etwas wie der grüne Widerhaken der Partei. Der jetzige Ruheständler aus Mittelfranken war Schirmherr des Volksbegehrens.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nimmt er ab, dass dieser beim Umweltschutz umdenkt. Ob aus neuer Überzeugung oder politischer Taktik, ist eine andere Frage. Einige CSU-Lokalpolitiker haben sich in die Liste eingetragen. Doch der „Mittelbau“ der Partei, so Göppel, habe weiterhin eine „ideologische Sperre“. Über die Landtagsfraktion meint er: „Die haben sich tot gestellt.“
"Wenn die CSU den Umweltschutz nicht ernst nimmt, werden die Grünen die neue Volkspartei"
Das Thema sei für die Partei aber überlebenswichtig: „Wenn die CSU den Umweltschutz jetzt nicht ernst nimmt, werden die Grünen in Bayern die neue Volkspartei sein.“ Göppel sitzt mit am von Söder für diesen Mittwoch einberufenen Runden Tisch. Da will er eine Lösung für die Landwirte erreichen, damit diese für neue Umweltmaßnahmen genauso viel Geld bekommen wie zuvor. Söder möchte mit dem Runden Tisch versöhnen, will zwischen den Organisatoren des Volksbegehrens und dem größten Gegner, dem Bauernverband, vermitteln. Ein geschickter Schachzug ist ihm dabei schon gelungen: Für die Moderation konnte er Alois Glück, einen über Parteigrenzen hinweg angesehenen CSU-Veteranen, gewinnen. „Wir brauchen am Ende ein Ergebnis, das den Artenschutz verbessert, ein Höfesterben verhindert und alle versöhnt“, so Söder.
Es gibt mehrere Untersuchungen, die Ausmaß und Konsequenzen des Insektensterbens deutlich machen. Die sogenannte Krefeld-Studie etwa hat Ende 2017 belegt, dass die Masse der Fluginsekten in Deutschland über 27 Jahre hinweg um 75 Prozent zurückgegangen ist. Und der WWF kam zu dem Ergebnis, dass wir gerade das „größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier“ erleben. Die Bienen als Bestäuber gelten als drittwichtigstes Nutztier nach Rind und Schwein – und die Wildbienen sind bedroht. Mit den Insekten verschwinden nun auch andere Arten. So leben in Bayern heute nur noch halb so viele Vögel wie noch vor 30 Jahren.
Das ruft nun auch ungewohnte Aktivisten auf den Plan: Starnberg und Umgebung sind bekannt für ihre Dichte an Millionären, SUV-Fahrern und FDP-Wählern. Protestiert wird hier normalerweise nur, wenn etwas gegen das eigene Interesse steht. Windräder, die den Blick auf den See verschandeln. Oder den Mini-Airport in Oberpfaffenhofen, der sich mehr Flugverkehr wünscht und deshalb auch mehr Lärm mit sich bringen würde. Doch nun ist der Landkreis Starnberg beim Volksbegehren bayernweit spitze – 27,7 Prozent der Bürger haben sich eingetragen, so viele wie sonst nirgends. „Wir wollen unsere schöne Landschaft und die vielen Biotope erhalten“, sagt Kerstin Täubner-Benicke, Sprecherin des Grünen-Kreisverbandes. Schon seit Längerem sei der Landkreis „grün angehaucht“.
Vielleicht ist es kein Wunder, dass ausgerechnet die ÖDP – Ökologisch-Demokratische Partei – dieses Volksbegehren angestoßen und mit zum Erfolg gebracht hat. „Wenn wir was können, dann ist es Volksbegehren“, sagt Agnes Becker, bayerische Vize-Parteivorsitzende. Zwei Mal hat die Partei so etwas organisiert: So wurde dem Senat in Bayern als kostspielige zweite Parlamentskammer das Ende bereitet sowie ein rigider Nichtraucherschutz verankert. Als „bürgerliche Ökos“ bezeichnet Becker ihre Partei, für die zuletzt 1,6 Prozent bei der Landtagswahl stimmten. Sie selbst ist studierte Tierärztin und Nebenerwerbslandwirtin, seit zwanzig Jahren lebt die 38-Jährige in einem Dorf im Bayerischen Wald. Wenn sie vom Insektensterben spricht, sind das nicht wildromantische Vorstellungen einer Städterin. „Wir sind im besten Sinne konservativ“, sagt Agnes Becker, „uns geht es um das Bewahren der Natur.“
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