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Tanzen für den Regen. Boliviens Präsident Evo Morales.
© dpa

Proteste in Lateinamerika: Bolivien trocknet aus

In dem Andenstaat herrscht die größte Dürre seit Jahrzehnten. Die Menschen sind verzweifelt und fordern  „Wasser und Gesundheit statt Paläste und Atomenergie”.

Boliviens Bauern vertrocknen die Kartoffeln auf dem Acker, und die Stadtbevölkerung kann weniger duschen. In manchen Stadtteilen der Metropole La Paz verfügten 70 Prozent der Anwohner nicht mehr über ausreichend Trinkwasser, warnte die Panamerikanische Gesundheitsorganisation dieser Tage. Präsident Evo Morales hat deshalb schon an einem Bittgebet für Regen teilgenommen, bei dem Aymara-Indigene am Sonntag ihre Götter um Niederschläge anflehten.

Die dramatische Wasserknappheit trieb Tausende auf die Straßen, im ärmeren El Alto ebenso wie in der reicheren Südstadt. Auch in Cochabamba errichteten Betroffene Straßenblockaden. „Wasser und Gesundheit statt Paläste und Atomenergie!”, stand auf den Transparenten der Protestierenden. Seit mehr als zwei Wochen kommt bei 400 000 Einwohnern von La Paz nur noch zwei bis drei Stunden täglich Wasser aus der Leitung. Die Rationierung dürfte nach Ankündigungen der Wasserbehörde noch zunehmen. Denn die Meteorologen, die die höchsten Durchschnittstemperaturen seit 100 Jahren gemessen haben, machen wenig Hoffnung, dass es in nächster Zeit abkühlen oder regnen könne.

Das Klimaphänomen „El Niño“ sei für die schlimmste Dürre seit 25 Jahren verantwortlich, sagte Präsident Morales. Er stellte in Aussicht, neue Brunnen zu bohren und verhängte den Notstand. Das ist vor allem eine bürokratische Maßnahme, denn damit können Gelder mobilisiert werden, etwa um die besonders betroffenen Gegenden mit Zisternenwagen zu versorgen. „Ich appelliere an die Bevölkerung, sorgsam mit dem Wasser umzugehen“, flehte Morales. Außerdem setzte er den Direktor der Nationalen Wasserbehörde und den Vorsitzenden der staatlichen Wasserversorgung von La Paz ab. Sie hätten nicht rechtzeitig auf den sinkenden Wasserpegel der Stauseen reagiert. Diese verfügen nur noch über acht Prozent ihrer Kapazität.

Das eigentliche Problem ist damit aber nicht gelöst. Bolivien steht vor einer Klimakatastrophe, wie seit Längerem absehbar ist. Erst vor einem Jahr gab es ein Warnzeichen, als der zweitgrößte Binnensee des Landes, der Poopó, vollständig austrocknete. Damit verschwand ein Biotop, tausende Fischer verloren ihre Existenzgrundlage. Bolivien gehört zu den zehn Ländern, die weltweit am stärksten betroffen sind von Klimakatastrophen, dabei ist das Land nur für 0,35 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich – gegenüber zwölf Prozent der EU.

Wasser als Menschenrecht

Im Hochland, wo knapp die Hälfte der zehn Millionen Einwohner lebt, sind die Folgen des Klimawandels besonders dramatisch. Das Volumen der Andengletscher hat sich laut der Nicht-Regierungs- Organisation Oxfam in den vergangenen 30 Jahren um 40 Prozent verringert. Das gefährdet die Wasser- und Energieversorgung mehrerer Städte. Die Bauern, die von Subsistenzwirtschaft leben, kämpfen mit Dürreperioden, abgelöst von sintflutartigen Überschwemmungen in der Zeit der Gletscherschmelze.

Für den seit zehn Jahren regierenden, linksnationalistischen Präsidenten könnte die Wasserkrise durchaus problematisch werden. Die Stimmung ist gereizt. Morales habe das Geld verschleudert für neue Regierungsbauten und Kunstrasen-Sportplätze, statt ins Wasser- Versorgungsnetz zu investieren, beschwerte sich einer der Demonstranten in der reicheren Südstadt La Paz. Aber auch in der armen Oberstadt El Alto, lange eine Bastion von Morales, nahm die empörte Bevölkerung Angestellte der Wasserbehörde und einen Vizeminister über Stunden in Geiselhaft und warf ihnen „Unfähigkeit“ vor. Die Bolivianer sind streitbar, wenn es ums Wasser geht. Im Jahr 2000 verhinderte ein Volksaufstand in der Stadt Cochabamba die Privatisierung der Trinkwasserversorgung.

Die Wasserversorgung von La Paz war in privater Hand, bis Morales sie 2007 verstaatlichte, weil „Wasser ein Grundrecht sei, das nicht private Gewinne abwerfen dürfe“. Gerade das Wasser war eine der Standarten von Morales. Die Trinkwasserversorgung, die 1990 nicht einmal die Hälfte aller Bolivianer erreichte, wurde unter ihm auf 83 Prozent ausgeweitet. Die UN erklärten auf Betreiben Boliviens Wasser zum Menschenrecht.

In Bolivien selbst allerdings erwies sich die „Sozialisierung“ des Wassers als nur bedingt erfolgreich, wie sich jetzt herausstellt. Zwar blieben die Preise niedrig, doch die Wasserkomitees, gebildet aus Bürgerorganisationen, Lokalregierungen und nationalen Vertretern, litten unter Korruption und Misswirtschaft. Nötige Investitionen blieben oft aus; wachsende Städte ohne Kanalisation leiteten ihre Abwässer ungestraft in die Flüsse ein.

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