Rundgang durch den Bungalow: Bei Helmut Schmidt zuhause
Seine Bar nannte er "Kneipe". Eine Stiftung will das Haus des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt als Erinnerungsort nutzen. Ein Besuch.
Auf einmal wird Peer Steinbrücks Stimme leiser, brüchig hört sie sich jetzt an. Ein wenig nur zieht er die Mundwinkel nach hinten, bemüht, die Fassung zu bewahren und die ihm gestellte Frage zu beantworten. „Es riecht ganz anders“, sagt er und meint Helmut Schmidts Haus in Hamburg-Langenhorn, neben dem er auf dem ungemähten Rasen in der Mittagssonne steht. „Das klingt so banal, aber so ist es.“ Und richtig, der Rauch der Mentholzigaretten, die der Bundeskanzler a.D so gern inhaliert hat, ist verweht. Wer ihn – wie Steinbrück – häufig besucht hat, spürt die Leere schon am Geruch.
Vor einem halben Jahr ist Schmidt, den sie hier alle nur „Chef“ nennen, im Alter von 96 Jahren verstorben – er hat seine Frau Loki damit um fünf Jahre überlebt. Schmidts Geist aber soll den roten 120-Quadratmeter-Bungalow, in den die Schmidts im Jahre 1961 eingezogen sind, weiter mit Leben erfüllen. Leben? Was atmet dieses Haus heute?
Alles soll so bleiben, wie es ist. So wollten es Helmut und Loki. Oder eigentlich auch nicht, denn um das Wohnhaus im Ist-Zustand zu erhalten, es gleichzeitig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und in eine Art besondere Forschungsstätte zu verwandeln, bedarf es eines enormen Aufwands. Dafür haben Peer Steinbrück und Stefan Herms – Letzterer war bis März dieses Jahres Leiter des Staatsamtes in der Hamburger Senatskanzlei – als Vorstandsmitglieder der Helmut-und-Loki-Schmidt-Stiftung ihr Wort gegeben.
Am Montag luden sie zum Gespräch bei Schnittchen und Kaffee ins Esszimmer des Hauses in der ruhigen, niedrig bebauten Siedlung, um zu zeigen, was die Stiftung vorhat. Es ist ein seltsames Gefühl, hier einfach so einzutreten. In der Diele riecht es nach dem Pflegemittel, mit dem Steintreppenhäuser in den Siebzigern gewischt wurden.
Im Wohnzimmer ist der niedrige Sofatisch vor der braunen ledernen Sitzgarnitur gedeckt, das weiße Kaffeegeschirr mit der goldenen Bordüre steht bereit. Aschenbecher stehen auf Tischen, auch im Arbeitszimmer. Dort ist auch Schmidts schwarze Aktentasche abgestellt. Das Sitzkissen liegt auf dem grünen Bürostuhl. Eine angebrannte weiße Kerze in einem Kerzenständer steht neben einem Zinnsoldaten. Eine weitere in einer Schale. Wo bleibt nur der Hausherr?
Was ganz genau zu diesem Haus gehört, weiß nur die ehemalige Hausdame Helmut Schmidts; die Stiftung selbst hat noch keine vollständige Inventarliste anfertigen können. Das ist nicht verwunderlich. Jedes noch so kleine Stück Wandfläche ist mit Kunstwerken behängt. Da finden sich Chagalls, Noldes, Heckels, Picassos, August Macke ist da – und natürlich Ernst Barlach, dessen Skulpturen und Reliefs es Helmut Schmidt angetan hatten.
Der Wucht dieser Künstler steht allerdings die Kraft der Bücher gegenüber. Wo kein Bild hängt, lehnt ein Buch an dem anderen. Ach was Bücher! Bücherregale. Bücherräume fast. Dicht an dicht, sogar über den Türbögen in Zwischenräumen wie in dem Verbindungsstück zwischen Wohnzimmer, Esszimmer und Bar, die Schmidt seine Kneipe nannte. Alphabetisch geordnet – Lenz, Löns, Kleist – Lexika, Sachbücher, große Ausstellungskataloge, Belletristik. Schon wird jedes Buch zu einer Spur seines Besitzers und das Spannungsfeld dieser Stätte deutlich: Schmidt ist hier so präsent, dass er fehlt.
Das ist es, was dieses Haus atmet. Sein Geist ist hier – im doppelten Wortsinn. Überall sind Spuren. Eine Schachtel Starlight Lights, die 100er Größe, liegt neben dem Kamin. Darin angebrannte Holzscheite.
Eine Zeichnung von Heinrich Zille
Vor Schmidts Kneipe, einem kleinen, halb zum Zwischengang hin geöffneten Raum, hängt eine Zeichnung des Berliner Malers Zille. An der Rückseite der Bar stehen in Holzregalen angebrochene Spirituosen, über der Theke hängt ein Dreimaster, daneben eine Schiffslaterne, die Wände bekleiden maritime Bilder und Tampen, die zu Knoten gelegt wurden.
Heike Lemke, die sich um das Privatarchiv Schmidts kümmert, steht daneben und müht sich, die Tränen zurückzuhalten. „Er fehlt einfach“, sagt sie. „Manchmal höre ich den Treppenlifter, aber dann weiß ich: Das kann ja nicht sein.“ Das Archiv, das sie betreut, birgt eine Mammutaufgabe. Lemke sagt, es seien etwa 2500 Akten, die für die Zukunft bewahrt werden müssten. Das meiste auf säurehaltigem Papier in Leitz-Ordnern. Aber auch unzählige Fotografien – alles auf Papier.
Stefan Herms erzählt, dass es das größte existierende Privatarchiv sei, ein Unikat – denn Schmidt habe bereits Anfang der Sechzigerjahre alles abgeheftet, was über ihn veröffentlicht wurde, dazu kommen eigene Schriften, Reden. Es muss also gesichtet, digitalisiert, geordnet werden – das dauert Jahre.
Die Frage ist, wie sich Schmidts Wunsch, nämlich alles so zu lassen, wie es ist, erfüllen lässt. Eine völlige Öffnung für Besucher wird nicht möglich sein. Vier bis sechs Mal im Jahr könne man die Stätte vielleicht öffnen, dann für angemeldete Besucher oder Gruppen. Man könnte sich vorstellen, die Tradition der Freitagsrunden, zu denen das Ehepaar seinerzeit Denker einlud, fortzuführen. Den Anhängern von Loki und Helmut Schmidt bleibt ein virtueller Rundgang durch das Haus, ab Sommer dieses Jahres soll er möglich sein. Nur riechen wird es dabei wohl nicht.
Stephanie Nannen