Grönland: Ausgewandert in die Kälte
Eisig und im Winter sehr dunkel – es gibt Gründe dafür, dass so wenig Menschen auf Grönland leben. Drei Deutsche erzählen, warum sie auf die Polarinsel ausgewandert sind
Das Wasser vor der grönländischen Küste ist so klar, dass man vom Flugzeug aus den Teil des Eises sehen kann, der darunter liegt. Auf den Bergen blitzt Schnee in der Sonne. Dass dort unten an Land in einer kleinen Traube auch Häuser stehen, fällt erst später ins Auge. Der mit Abstand größte Teil der Polarinsel ist von einer dicken Eisdecke bedeckt. Doch auch der bewohnbare Teil Grönlands ist extrem dünn besiedelt. Es ist einsam und kalt. Trotzdem kommen mehr Urlauber als früher, trotzdem hat es Auswanderer ins Land gezogen. Auch rund 50 Deutsche – fast nur Männer – haben zwischen Fjorden und Bergen ein neues Zuhause gefunden. Drei von ihnen erzählen von sich.
In Sekunden in einer anderen Welt
„Fischen hat hier nichts mit Angeln zu tun. Das ist Abholen“, sagt Michael Schluchtmann. Im Hafen von Nuussuaq, einem Teil der Hauptstadt Nuuk, liegen im Mai schon Boote im Wasser, obwohl es ein schneereicher Winter war. Eines der Boote gehört Schluchtmann. Das acht Meter lange Gefährt heißt „Nukappissat“, übersetzt aus dem Grönländischen etwa „Die drei Brüder“. Schluchtmann will es bald umbenennen. „Ich kann kein Boot haben, das keinen Frauennamen hat“, sagt der 47-Jährige. Tanja soll es heißen, es ist die Koseform des Namens seiner russischen Frau, Tatjana.
Im Sommer ist Schluchtmann jedes Wochenende und manchmal auch in der Woche im Fjord vor Nuuk unterwegs. „Ich bin auf dem Wasser zu Hause“, sagt er. Der Hamburger wohnt seit sechs Jahren in Grönland. Eines fasziniert ihn nach wie vor: „Wenn du hier die Stadt verlässt, bist du innerhalb von Sekunden in einer anderen Welt.“ Der Schiffsmotor beginnt zu rattern. Über den Felsen im Fjord schimmert der Himmel blau.
Grönland, das ist für Schluchtmann heute Heimat. Auch wenn andere über Probleme mit Armut und Alkoholismus klagen. „Es ist das erste Land, in dem ich mich wirklich zu Hause fühle“, sagt er. „Egal, wo ich war, irgendwie hatte ich immer etwas zu meckern.“ Was ihm so gut gefällt? „Dass hier alles ein bisschen lockerer ist.“ Und die Menschen geben aufeinander acht. „In Hamburg könntest du in deiner Wohnung krepieren, und die Leute würden es nicht merken. Hier kannst du nicht einfach so verschwinden. Jeder kümmert sich.“
Zufällig ein Job-Angebot
Irgendwo im Fjord trifft Schluchtmann mit seinem Boot auf zwei Fischer. Von ihrem Kutter aus haben sie ein Netz ausgeworfen. Die beiden ziehen einen Steinbeißer nach dem anderen in ihr Boot. Die Männchen schmeißen sie zurück ins Wasser, die Weibchen behalten sie. Denn in ihrem Bauch steckt der Rogen. Anderswo eine Delikatesse, hier Alltagskost. „Willst du einen haben?“, ruft einer von ihnen, ein schnurrbärtiger, stämmiger Kerl. Der Wahl-Grönländer navigiert näher an das fremde Boot heran. „Ich bin eigentlich wunschlos glücklich“, sagt Schluchtmann.
Jörg Sennhenn hatte vor sechs Jahren zufällig auf einer Job-Plattform entdeckt, dass in Nuuk eine Stelle für Brauer ausgeschrieben war. „Es muss Spaß machen, sonst hältst du es nicht durch“, ist seine Erfahrung mit Grönland. Ab sechs Uhr morgens steht Sennhenn in der zugigen kleinen Brauerei in der Innenstadt von Nuuk, nur einen Steinwurf von Kulturzentrum und Kirche entfernt.
„Mein Plan war schon immer, nicht mein ganzes Leben in Deutschland zu verbringen“, sagt der Braumeister. Nur einmal hat er seine Entscheidung bereut, nach Grönland auszuwandern. Das war gleich in der ersten Woche. „Da wollte ich zurück“, sagt er. „Ich habe gedacht, es wäre mir alles zu teuer.“ Heute trägt Sennhenn ein Tattoo mit einem Eisbären auf der Brust, auf dem linken Arm einen Wikinger. Kälte und Dunkelheit haben den 53-Jährigen nicht beeindruckt. „Als Braumeister sind wir das ja gewohnt.“
Für Sennhenn ist das Brauen eine Kunst. Im „Godthaab Bryghus“ – Godthaab ist der dänische Name von Nuuk – hat er Porter mit Kokos, Lager mit Zitronengras und Bier mit deutschen Sauerkirschen gebraut. In „Eric The Red“ stecken Chili und Honig aus Südgrönland, dem „Garten Grönlands“, wo immer mehr Landwirte im milderen Klima versuchsweise Gemüse anbauen und Vieh halten. In einer größeren Brauerei in Deutschland hätte er wohl nicht die Freiheit, so zu experimentieren, meint Sennhenn.
Oft regiert die Gelassenheit
Auf der Insel ist Zeit nicht so wichtig. Oft regiere Gelassenheit – im Guten wie im Schlechten, meint Sennhenn. „In Deutschland setzen sich manche Leute wegen unwichtiger Dinge unter Druck. Da frage ich mich: Warum?“ Grönländer ließen vieles auf sich zukommen. „Wie wird das Wetter morgen? Das sehe ich morgen. Ändern kann ich es eh nicht“, sagt er.
Ebbe Volquardsen hatte nie geplant, sich in Grönland anzusiedeln. Kariertes Hemd, kurze dunkelblonde Haare, sitzt auf dem grauen Stoffsofa in seinem Büro. Das Jobangebot von der Insel kam für den Junior-Professor in Kulturgeschichte überraschend. „Kurz vor Weihnachten 2015 wurde ich gefragt, ob ich am 1. Januar anfangen könnte“, erzählt er. Die Grönländer sind spontan, ging ihm durch den Kopf.
Eine Beobachtung, die er später, in Nuuk, immer wieder machte. „Man wird nicht zum Geburtstag in drei Wochen eingeladen, sondern übermorgen“, sagt der 35-Jährige. „Man macht sich keine Sorgen, was in einem halben Jahr sein könnte. Und ob ich morgen mit dem Boot rausfahren kann, weiß ich eben morgen.“ Die unberechenbare Natur hat die Grönländer anpassungsfähig gemacht.
Das Leben in Nuuk ist teuer
An der Uni in Nuuk bekommt der deutsche Kulturwissenschaftler hautnah mit, wie sich die Kolonialvergangenheit der Inselbewohner auf ihr Wesen auswirkt. „Grönländer sind sehr schüchtern“, sagt Volquardsen. In seinen Vorlesungen hört er kaum ein kritisches Wort. Etwas findet er komisch: „Ich unterrichte Grönländer in deren Landesgeschichte auf Dänisch.“ Seine Heimat besucht Volquardsen nicht nur, um die Familie zu sehen. „Wenn ich in der Fußgängerzone in Niebüll bin, bin ich ganz wild am shoppen.“ In Deutschland kauft er Shampoo, in Dänemark Rasierschaum, denn das Leben in Nuuk ist teuer. Ein großes Bier im Café „Pascucci“ kostet umgerechnet elf Euro. „Wenn ich Lust auf Pizza habe, knete ich einen Teig,“ erzählt er. „Das habe ich zu Hause nie gemacht. Das entschleunigt total.“ Julia Wäschenbach/dpa
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