Kant in Kaliningrad: Ärger mit einem toten Philosophen
Er ist ein geachteter Sohn der Stadt, die zu seiner Zeit noch Königsberg hieß. Trotzdem darf Kaliningrad seinem Flughafen nicht den Namen „Immanuel Kant“ geben.
Vielerorts ist es üblich, Flughäfen zusätzlich zur Ortsbezeichnung auch Namen von herausragenden Persönlichkeiten zu geben. Roms Airport heißt zum Beispiel „Leonardo da Vinci“, in Paris gibt es den Flughafen „Charles de Gaulle“, zu München gehört „Franz Josef Strauß“. Auch in Russland könne man das doch verbreiten, befand unlängst Kulturminister Wladimir Medinski. Von Hause aus Militärhistoriker, ist ihm sehr daran gelegen, die Erinnerung an herausragende Persönlichkeiten im öffentlichen Bewusstsein wach zu halten.
Medinski regte landesweit eine mehrstufige Abstimmung im Internet an, damit die Bevölkerung den Eindruck habe, sie könne demokratisch mitbestimmen. In Kaliningrad ging so viel Demokratie gründlich schief. Für Unfrieden sorgte ausgerechnet der Verfasser des Aufsatzes „Vom ewigen Frieden“, der vor gut 200 Jahren gestorbene deutsche Philosoph Immanuel Kant – ein Sohn dieser Stadt. Da hieß sie allerdings noch Königsberg.
Nach der ersten Runde der Umfrage war der Aufklärer mit mehreren tausend Stimmen Vorsprung der Favorit als Namensgeber. Das kam nicht überraschend, denn Kant genießt bei den meisten der russischen Bewohner in der früheren ostpreußischen Stadt hohes Ansehen. Vor allem junge Leute haben überdies ein ziemlich entspanntes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit ihrer Heimatstadt. Sie kürzen den sperrigen Namen Kaliningrad im alltäglichen Sprachgebrauch gern ab und sagen „Keenig“.
Kant hat sein ganzes Leben in Königsberg verbracht, sieht man einmal von ein paar Jahren ab, als er – ganz in der Nähe – Sprösslinge des ostpreussischen Adels unterrichtete. Sein Grab befindet sich an einer Ecke der mächtigen Kathedrale. Nun führte Kant in der Abstimmung vor Zarin Elisabeth (1709-1761), der letzten „echten“ Romanowa, und einem sowjetischen Heerführer, Marschall Alexander Wassilewski, der im zweiten Weltkrieg den Sturm auf Königsberg befehligte.
Dass Kant den beiden vorgezogen werde, müsse berichtigt werden, befand der Duma-Abgeordnete Marat Barijew kategorisch. Per Ferndiagnose aus Moskau meinte der Volksvertreter, die Zivilgesellschaft in Kaliningrad müsse das doch „fühlen, richtig einschätzen und Maßnahmen ergreifen“. Er, der selbst aus Tatarstan stammt, habe das schon mit Abgeordneten in Kaliningrad besprochen. Damit die Bevölkerung dem Flughafen nicht doch noch den „falschen“ Namen gibt, erschien „Kandidat Kant“ schon nicht mehr auf der kurzen Liste für die zweite Abstimmungsrunde.
Kampfappell bei der Baltischen Flotte
Maßnahmen waren auch bei der Baltischen Flotte getroffen worden. Sie ist in Baltisk stationiert, dem vormaligen Pillau gleich vor den Toren von Kaliningrad. Die Kommandeure ließen die Mannschaften antreten und der Stabschef, Vizeadmiral Igor Muchametschin, hielt eine denkwürdige Rede.
Ihre Aufzeichnung lässt sich auf Youtube betrachten. Der hochrangige Militär wunderte sich, warum alle Welt plötzlich über Kant rede: „Dieser Mensch hat sein Vaterland verraten, er ist auf den Knien gerutscht, um einen Lehrstuhl zu erhalten“, behauptete der Admiral und fuhr fort: „Er hat irgendwelche unverständliche Bücher geschrieben, die keiner der hier vor mir Stehenden gelesen hat und auch niemals lesen wird.“ Stattdessen sollten sich die Matrosen darauf besinnen, warum die Baltische Flotte heute überhaupt in Kaliningrad stehe. Es seien sowjetische Soldaten gewesen, die die Stadt gestürmt hätten.
Ein würdiger Name für den Flughafen sei deshalb der des Marschalls der Sowjetunion Alexander Wassiljewski. Für ihn sollten nicht nur die Matrosen, sondern auch alle ihre Angehörigen stimmen, bestimmte der Admiral. Das sei keine persönliche Bitte, fügte er sicherheitshalber hinzu, sondern eine Botschaft „des Kriegsrates der Flotte und der Führung“. Auf dem Appellplatz brandete Beifall auf.
Kant-Stätten geschändet
Wer das Signal immer noch nicht gehört hatte, dem halfen in der vergangenen Woche „unbekannte Patrioten“ auf die Sprünge. Sie schändeten das Grab Kants an der Kathedrale, eine Gedenktafel in der Stadt und das Kant-Denkmal mit rosa Farbe. An der Universität, die seit 2005 den Namen des Philosophen trägt, tauchten Flugblätter auf, die Kant auf übelste Weise schmähten. Darin wurden die Studenten aufgefordert, sich von dem „Verräter“ zu distanzieren. Die Uni müsse den Namen ablegen.
Am Ende setzte sich die Zarin Jelisaweta Petrowna Romanowa mit 33 Prozent der Stimmen vor Marschall Wassiljewski durch. Die uneheliche Tochter von Peter dem Großen hatte sich 1741 an die Macht putschen lassen. Als Kaiserin von Russland beendete sie die von ihrem Vater begonnene Öffnung zum Westen. Eine erwähnenswerte Beziehung zum damaligen Königsberg hatte die Imperatorin nicht.
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