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Vor 50 Jahren: Armando Rodrigues de Sá aus dem kleinen nordportugiesischen Dorf Vale de Madeiros wird als Millionster Gastarbeiter in Deutschland begrüßt.
© dpa

Der Millionste Gastarbeiter kam vor 50 Jahren: Ankunft im Wirtschaftswunderland Deutschland

Heute vor 50 Jahren wurde der Portugiese Armando Rodrigues de Sá in Köln zum millionsten Gastarbeiter erklärt. Er war völlig irritiert, dass er plötzlich im Scheinwerferlicht stand. Auch heute verlassen wieder viele Portugiesen ihr krisengeschütteltes Land.

Als der Gastarbeiterzug aus Südeuropa auf dem Köln-Deutzer Bahnhof eintraf, spielte eine Kapelle die spanische und die portugiesische Nationalhymne. Zackig wurde auch „Auf, in den Kampf, Torero!“ intoniert, um am 10. September 1964 den millionsten Gastarbeiter in Deutschland zu begrüßen. So ganz genau hatte freilich damals niemand gezählt: Den millionsten Arbeitsimmigranten hatten die Repräsentanten des Arbeitgeberverbandes „durch Blindtippen“ aus der Passagierliste des Migrantenzuges herausgepickt, berichtete die Kölner Lokalpresse, „wohl wissend, dass sich der Millionste im Transport befinden musste“. Ein Zug, in dem rund 1200 in den Heimatländern angeworbene Gastarbeiter aus Spanien und Portugal saßen.

In den 50er und 60er Jahren hatte das deutsche Wirtschaftswunderland Anwerbeabkommen mit etlichen Staaten abgeschlossen, um den Arbeitskräftemangel in der Industrie zu beheben. Arbeitsmigranten wurden etwa aus Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Jugoslawien oder eben Portugal nach Deutschland geholt.

Der 38-jährige Portugiese Armando Rodrigues de Sá aus dem kleinen nordportugiesischen Dorf Vale de Madeiros wusste kaum, wie ihm geschah, als er auf dem Kölner Bahnsteig von einem Blitzlichtgewitter begrüßt wurde. Und dann auch noch einen Blumenstrauß und ein Zündapp-Moped geschenkt bekam. „Der Gefeierte, übermüdet und irritiert, besteigt schließlich das Moped und lächelt“, notierten die Chronisten.

Das Bild von Rodrigues, ein gelernter Zimmermann, ging damals um die Welt. Sein Name zog in deutsche Schul- und Geschichtsbücher ein. Und die zweisitzige Zündapp bekam später einen Ehrenplatz im Bonner „Haus der Geschichte“, dem deutschen Museum der Zeitgeschichte.

„Wir haben viel geweint“, erinnerte sich Armando Rodrigues’ heute 84 Jahre alte Ehefrau an den Abschied. Warum er damals nach Deutschland ging? „Wir hatten wenig Geld“, sagte Maria Emilia Pais de Sá. Portugal war schon damals das Armenhaus des westlichen Europas. „Mein Mann hatte viel Heimweh. Er hat immer nur für eine Saison gearbeitet, und dann kam er wieder zurück.“ Bis er 1970 krank wurde, und er in Portugal blieb. Später wurde ihm ein Krebsgeschwür diagnostiziert, er starb 1979.

Portugal hat eine Arbeitslosenquote von 14 Prozent

Auch heute verlassen wieder zehntausende Portugiesen ihr südeuropäisches Krisenland auf der Suche nach einem besseren Leben. Eine Arbeitslosenquote von 14 Prozent – bei den unter 25-Jährigen sogar von 36 Prozent – treibt viele ins Ausland. Schätzungen zufolge packten im vergangenen Jahr 100 000 Portugiesen die Koffer. Im letzten Jahrzehnt zählte das staatliche Statistikamt rund 500 000 portugiesische Auswanderer.

Sie emigrierten vor allem in jene nördlicheren Industrieländer, wo es schon große portugiesische Gemeinden gibt. Wie etwa Deutschland, das in Portugal auch „Merkelândia“ genannt wird, und wo sich 2013 genau 13 646 portugiesische Neubürger anmeldeten. Oder nach Frankreich, Luxemburg oder in die Schweiz. Auch die früheren Kolonien Brasilien, Angola und Mosambik, wo Portugiesisch gesprochen wird, sind beliebte Migrationsziele.

Aber anders als vor 50 Jahren, als die Industrieländer vor allem Fabrikarbeiter anwarben, sind die neuen portugiesischen Migranten meist gut ausgebildet: Immer mehr Wissenschaftler, Ingenieure, Informatiker, Ärzte, Pflegepersonal und Facharbeiter kehren ihrem Land den Rücken. Die Flucht vor der Krise im Schuldenland Portugal, das noch bis Mai am Tropf des Euro-Rettungsfonds hing, hat dramatische Ausmaße angenommen.

Für ein kleines Land wie Portugal, in dem zehn Millionen Menschen leben, drohe die Massenemigration zum großen Problem zu werden, warnen Soziologen. Der „Braindrain“, die Abwanderung von hochqualifizierten Talenten, sei „keine Gefahr, sondern längst Wirklichkeit“. Der portugiesische Migrationsforscher João Peixoto spricht von einer „schweren demografischen Krise“ und nennt den zunehmenden Bevölkerungsverlust sogar „katastrophisch“. Mit diesem Ausbluten sei die „Zukunft des Landes bedroht“.

Immerhin gibt es ein bisschen Hoffnung im portugiesischen Migrationsdrama. Die heimische Wirtschaft wächst nach Jahren der Flaute wieder, es werden Jobs geschaffen. Das lässt hoffen, dass auch die jungen Portugiesen bald wieder Licht sehen. Zumal die Erfahrungen der Emigranten in der Ferne nicht durchweg positiv sind. „Etliche scheitern im Ausland“, berichtete jüngst ein portugiesischer Regierungsmitarbeiter.

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