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Armut herrscht vor allem in Großstädten - dort leben sozial Schwache, zugleich ist das Leben teurer als auf dem Land.
© dpa

Reicher Westen, armer Osten?: Die Armut in den Städten wächst

Deutschland ist gespalten – aber weniger zwischen Ost und West. Die Ballungszentren werden ein immer größeres Problem. Und Charlottenburg-Wilmersdorf hat eine der höchsten Armutsquoten in Deutschland.

Er war sich wieder einmal sicher, der Bundeskanzler, daran ließen seine feste Stimme und sein entschlossener Blick bei diesem Fernsehauftritt keinen Zweifel. Immerhin galt es, Großes zu begleiten – die Währungsunion von Ost und West. „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt“, sprach Helmut Kohl in die Kameras.

Das war am 1. Juli 1990. Oft ist Kohl für dieses vollmundige Versprechen gescholten worden. Denn bald zeigte sich, dass es schwieriger einzuhalten sein würde als gedacht – wirtschaftlich kamen die neuen Länder nicht auf die Füße. Löhne, Produktivität, Innovationen, vieles blieb hinter dem West-Niveau zurück, das zeigt die Statistik. Nur in wenigen Städten bildeten sich Wachstumskerne heraus – vielerorts herrscht indes Stillstand. Bis heute.

Es sei denn, man rechnet ein wenig herum mit der Statistik. Das hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) getan. Und herausgefunden: Die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West sind gar nicht so groß wie gedacht. Berücksichtigt man die unterschiedliche Kaufkraft in den Regionen, dann zeigt sich: Im Vergleich der Länder hat Thüringen die drittniedrigste Quote an armen Menschen, nur Bayern und Baden-Württemberg stehen besser da.

In Brandenburg und Sachsen leben nach dieser Berechnungsmethode sogar weniger Arme als in Nordrhein-Westfalen. Berlin steht auf dem vorletzten und damit zweitschlechtesten Platz, mehr als jeder fünfte in der Hauptstadt gilt als arm. „Die Ost-West-Polarität ist real weit weniger gravierend als nach üblicher Definition“, sagte IW-Direktor Michael Hüther am Montag in Berlin.

Wer weniger als 871 Euro hat, ist arm

Armut ist ein relativer Zustand. Als arm gilt, wer über höchstens 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Aktuell liegt diese Schwelle bei 871 Euro im Monat – ein Wert, auf den viele Menschen in den östlichen Ländern nicht kommen. Die IW-Forscher haben nun berücksichtigt, dass man sich für einen Euro in einigen Regionen mehr leisten kann als in anderen. In München etwa muss ein Single schon 1030 Euro verdienen, um auf das gleiche Niveau zu kommen wie ein Durchschnittsdeutscher mit 871 Euro. Für Ost und West bedeutet das, dass die Armutsquoten nicht mehr rund sechs Prozentpunkte auseinander liegen, sondern nur noch drei.

Das IW hat indes eine Kluft ausfindig gemacht, die weitaus markanter ist: Während auf dem Land durchschnittlich 14 Prozent der Deutschen als arm gelten, sind es in den Städten 22 Prozent. „Das eigentliche Problem ist das Land-Stadt-Gefälle“, befand IW-Chef Hüther. So weist das eigentlich nicht als bettelarm geltende Köln mit 26 Prozent die höchste Armutsquote auf. Dahinter folgen Dortmund und Teile Berlins – die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau.

Dem deutschen Recht ist eine Spaltung nicht egal. Von einer „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ ist im Artikel 72 des Grundgesetzes die Rede. Bislang hat die Politik dies vor allem mit Blick auf die Unterschiede zwischen Ost und West thematisiert. Nun zeigt sich, dass das Gefälle zwischen Stadt und Land mindestens ebenso bedeutsam ist. Zumal es immer mehr Menschen in die Städte zieht.

Die Mieten steigen, die Kluft wird tiefer

Die zehn am stärksten von Armut betroffenen Regionen sind ausschließlich Großstädte. Darunter sind aber auch eigentlich als wohlhabend geltende Orte wie Frankfurt am Main oder Düsseldorf. In den vergangenen Jahren hat sich das Problem noch verschärft – zwischen 2006 und 2012 blieb der Anteil armer Menschen auf dem Land fast gleich, in den Städten erhöhte er sich aber um 2,5 Prozent. Vor allem Ruhrgebiets-Städte wie Duisburg, Dortmund und Gelsenkirchen fallen ins Auge. In den kommenden Jahren könne sich das Armutsproblem für die Städte generell noch erhöhen, warnte Hüther – denn die steigenden Mieten führten zu einer tieferen Spaltung.

Die Gruppen, die vom Abstieg bedroht sind, sind allerdings überall die gleichen: Arbeitslose, Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Das IW rät, hier anzusetzen – mit einem Ausbau der Kinderbetreuung, damit Alleinerziehende weniger Probleme auf dem Jobmarkt haben, mit mehr Integration, damit Migranten Schulabschlüsse nachholen oder ihre Sprachkenntnisse verbessern können. Darüber hinaus müsse es in Zukunft darum gehen, die Probleme von Städten in den Griff zu bekommen. Nicht mehr einzelne Investitionen sollten gefördert werden, so Hüther, sondern Innovationen, Gründer und Bildungseinrichtungen.

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