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Das brasilianische Nationalmuseum in Rio de Janeiro steht in Flammen.
© Leo Correa/AP/dpa

Brand im brasilianischen Nationalmuseum: 200 Jahre Geschichte gehen in Flammen auf

Ein Brand in Brasiliens Nationalmuseum zerstört bis zu 20 Millionen Exponate – und zeigt auch die Krise des Landes.

Es war das größte natur- und völkerkundliche Museum Lateinamerikas. Nun ist es vernichtet: Das brasilianische Nationalmuseum in Rio de Janeiro fing am Sonntagabend nach der Schließung aus ungeklärten Gründen Feuer. Stundenlang loderten riesige Flammendome über dem Museum in den Nachthimmel Rios. Menschen kamen nicht zu Schaden, aber die Sammlung des Museums mit 20 Millionen Ausstellungsstücken scheint verloren zu sein.

Es ist einer der tragischsten Verluste für die Geschichts- und Naturwissenschaft Lateinamerikas. Der Vizedirektor des Museums, Luiz Duarte, sagte dem Fernsehsender TV Globo: „200 Jahre Geschichte, 200 Jahre Erinnerung, 200 Jahre Wissenschaft, Kultur und Bildung sind in einer Nacht vernichtet worden. Das ist schwer zu ertragen.“ Marina Silva, Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im Oktober, sagte, dass der Brand wie eine „Lobotomie“ sei. Also ein Schnitt der Nervenbahnen durchtrennt.

Die Sammlung beinhaltete Stücke, die von Dom Pedro I, dem ersten portugiesischen König Brasiliens, ins Land gebracht worden waren. Ebenso Stücke seines Sohns, Dom Pedro II, einem Förderer der Wissenschaft und Künste. Es gab die größte Sammlung ägyptischer Mumien Lateinamerikas, griechische Artefakte, das mit 12000 Jahren älteste menschliche Fossil der Region, das den Namen „Luiza“ trug. Bei Kindern beliebt war die Dinosaurier-Ausstellung. Auch eine Sammlung mit Insekten gab es, darunter riesengroße Käfer und Schmetterlinge. Auch ein Meteorit gehört zur ständigen Ausstellung. Er war 1784 gefunden worden und überstand den Brand unbeschadet. Meteoriten sind resistent gegen hohe Temperaturen.

Untergebracht war das Museum im São-Cristóvão-Palast inmitten des Stadtparks Quinta de Boa Vista. Der Bau des Palastes war 1803 begonnen und 1862 fertiggestellt worden. Das Gebäude war historisch bedeutend, weil es der brasilianischen Königsfamilie als erste Residenz gedient hatte. Nach dem Ende der Monarchie beherbergte es die erste Verfassungsversammlung der brasilianischen Republik 1891. Ein Jahr darauf wurde es als Nationalmuseum Brasiliens eingeweiht. Ein Beobachter sagte, es sei als ob das British Museum und der Buckingham Palast zusammen abgebrannt wären.

Viele Museums-Angestellte brachen in Tränen aus

Brasiliens Präsident Michel Temer twitterte, dass die Größe des Verlusts für Brasilien noch gar nicht abzusehen sei. Allerdings war es seine Regierung, die das Kulturbudget Brasiliens zuletzt stark beschnitten hatte. Auch deswegen sprachen viele noch in der Nacht auf Montag von einer „Tragödie mit Ankündigung“.

Vor dem brennenden Museum sammelten sich in der Nacht Schaulustige und zahlreiche Angestellte des Museums. Viele von ihnen brachen beim Anblick der Flammen in Tränen aus, einige wollten in den brennenden Bau eindringen, um zu retten, was zu retten ist. Sie wurden von der Polizei daran gehindert. Eine leitende Angestellte des Museums schmiss sich vor Verzweiflung auf den Boden. Sie sagte: „Die Lebensleistung vieler Menschen verbrennt hier vor unseren Augen.“

Vizedirektor Luiz Duarte beklagte, dass verschiedene Regierungen das Museum in den letzten Jahren verfallen ließen. Zum 200-jährigen Gründungstag des Museums im Juni war nicht ein einziger Minister erschienen. „Jahrelang haben wir dafür gekämpft, ein angemessenes Budget zu bekommen“, sagte Duarte. „Nun brauchen wir es nicht mehr.“ Tatsächlich kann man den Brand als Metapher für den katastrophalen Zustand der öffentlichen Einrichtungen Brasiliens sehen. Das Land leidet seit 2012 unter einer schweren Wirtschaftskrise mit zwölf Millionen Arbeitslosen. Die Regierung hat deswegen die Ausgaben für Kultur und Soziales stark eingeschränkt.

Beim Nationalmuseum betrafen die Kürzungen aber sogar das Budget für die Gebäudeinstandhaltung. Mehrfach musste das Museum schließen, weil die Löhne für das Reinigungs- und Aufsichtspersonal nicht gezahlt wurden. Mit der Zeit wurden auch Ausstellungsräume geschlossen. Wer das Museum betrat, konnte die Vernachlässigung sehen. Termiten hatten sich in der hölzernen Struktur eingenistet, der Putz bröckelte, Kabel verliefen offen an den Wänden. Es war erkennbar, dass die Regeln zum Brandschutz nicht eingehalten wurden.

Der schlechte Zustand der öffentlichen Infrastruktur Brasiliens behinderte auch die Löscharbeiten. Offenbar konnten die Feuerwehrleute erst lange nach ihrem Eintreffen mit der Arbeit beginnen, weil die Hydranten in nächster Nähe des Museums kein Wasser führten. Auch waren nicht ausreichend Feuerwehrleute vor Ort. Das Feuer fraß sich schnell vor und fand eine Menge Holz, Dokumente und ausgestopfte Tiere, die ihm Nahrung lieferten. Die Feuerwehr hatte den Brand, der gegen 19 Uhr begonnen hatte, erst um drei Uhr morgens unter Kontrolle. Ob das Gebäude gerettet werden kann oder abgerissen werden muss, war am Montagmorgen noch nicht klar.

Rio de Janeiros Bürgermeister Marcelo Crivela sagte am Montagmorgen vor den Grundmauern des Museums, dass, auch wenn Feuer vorkämen, „ganz Brasilien“ versagt habe. Er versprach die Rekonstruktion des Gebäudes.

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