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Du hast gewonnen, na warte! Kindererziehung in den Dreißigern.
© Erich Ohser (Gesamtausgabe), Südwestverlag Konstanz 2000

Was ist ein schlechter Vater?: ... und später zum Therapeuten

Väter können viel falsch machen. Mit Folgen. Viele Kinder tragen als Erwachsene ihre Erlebnisse in psychologische Praxen. Drei Therapeuten berichten

Der Vater als bessere Mutter

Martin Teising, Psychoanalytiker aus Berlin: „Wie Menschen unter ihren Vätern leiden, ist natürlich ganz individuell. Aber es gibt Muster, die wiederkehren. Zum Beispiel, dass sich Väter wenig um sie gekümmert haben. Das führt zur Frage: Warum war ich es denn nicht wert? Dann gibt es männliche Patienten, die sich von ihren Vätern fürchterlich niedergemacht fühlen. Vielleicht hatten die Väter ein Rivalitätsproblem mit ihnen. Wir haben aber auch Patientinnen, die schon im Erwachsenenalter sind und sich noch immer danach sehnen, vom Vater endlich Anerkennung zu bekommen.

Mittlerweile gibt es aber auch Väter, die so agieren, als wären sie die besseren Mütter. Es lässt sich auch beobachten, dass Eltern ihre Elternschaft verweigern, indem sie negieren, einer anderen Generation anzugehören. Sie möchte sich zu den besten Freunden der Kinder machen. Das kann die Unabhängigkeitsentwicklung der Kinder beeinträchtigen. Es gehört nämlich dazu, sich mit den Eltern in der Pubertät auseinanderzusetzen. Etwas gegen sie zu setzen, um sich nach dieser Phase Teile der Lebensweise der Eltern auch wieder zu eigen zu machen, jedoch in selbstbestimmter Weise.

Natürlich ist es für Eltern und ihre erwachsenen Kinder von Gewinn, wenn ihre Beziehung partnerschaftlich gestaltet wird. Aber man sollte sich bewusst sein, dass es ein Abgrenzungsbedürfnis der Jungen von den Alten in der Geschichte immer gegeben hat. Es gehört zur menschlichen Kultur, dass die nächste Generation anders lebt als die vorhergehende. So entsteht Entwicklung. Das ist übrigens eines der Hauptunterscheidungsmerkmale zu den Tieren.

Für beide Geschlechter ist die Vaterbeziehung wichtig. Kinder brauchen Väter, die sie schützen, sie fördern, ihnen Sicherheit vermitteln. Und die ihnen eine Antwort auf die Frage geben: Wo komme ich denn her?

Wir sind ein Produkt aus der Begegnung zweier Menschen. Deshalb interessiert uns immer: Wie waren diese Menschen? Wie unterschieden sie sich? Wie gingen sie miteinander um?

Deshalb gibt es für unsere Psyche streng genommen auch keine abwesenden Väter oder Mütter, selbst wenn Kinder bei Alleinerziehenden aufwachsen. Das fehlende Elternteil ist in der Fantasie präsent. Es ist für Kinder nachteilig, wenn das anwesende Elternteil das abwesende entwertet. Wenn zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit einem Jungen lebt, ist die Frage: Welches Bild vom Vater vermittelt sie – ist er jemand, der auch etwas Gutes zu bieten hat? Oder jemand, der völlig versagt hat. Wenn eine Entwertung generalisiert wird – ,so sind die Männer‘ –, wird es für den Jungen, der selbst eine männliche Identität entwickeln muss, sicher nicht einfach.

Günstig ist, wenn Kinder Elternteile erleben, die sich gegenseitig wertschätzen. Kinder sehen, dass es neben der Mutter, platt gesagt, eine andere Sorte Mensch gibt, die eine Alternative bietet. Manche Autoren sprechen von einem mütterlichen und einem väterlichen Prinzip. Mutter sein heißt demnach Ja-Sagen, Vater heißt Nein-Sagen. Das mütterliche Prinzip bedeutet, für einen Menschen zu sorgen. Das väterliche Prinzip bedeutet, einen Menschen zu fordern, um ihn zu fördern. Diese Zuschreibung ist nicht auf das biologische Geschlecht bezogen. Gemeint sind zwei Prinzipien, die von den beiden Elternteilen verkörpert werden. Das ginge ja auch gar nicht anders: Jede Mutter, die das Kind von der Brust absetzt, sagt damit bereits ,Nein‘. Ein ,Nein‘ kann ein Antrieb sein. Auch die Rivalität mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil kann einen voranbringen, wenn die Konkurrenz vom Grundgefühl der Wertschätzung getragen wird.“

Martin Teising ist Präsident der International Psychoanalytic University Berlin und praktiziert in der dortigen Ambulanz. Zuvor war er Professor in Frankfurt.
Martin Teising ist Präsident der International Psychoanalytic University Berlin und praktiziert in der dortigen Ambulanz. Zuvor war er Professor in Frankfurt.
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Der cholerische Vater als Karrieremotor

Volker Reinken, Psychiater aus Baden-Württemberg: „Wir behandeln in unserer Klinik häufig Führungskräfte aus der Wirtschaft, Politik und Staatsdienst, die unter stressbedingten Erkrankungen, Ängsten oder Depressionen leiden. In unserer Behandlung sehen wir häufig ein klassisches Familienmuster: ein cholerischer Vater, dem die Familie alles recht macht, um ihn nicht zu erzürnen. Die Wachsamkeit, Anpassung, die ein Kind dabei zwangsläufig erlernt, prädestiniert es dafür, Karriere zu machen. Um dauerhaft über seine Leistungsgrenze hinauszugehen, die eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen, braucht es einen gewaltigen Motor. Etwas aus der Kindheit oder Jugend, das man kompensieren muss. An die Stelle des wahren Selbst setzt sich allmählich ein Kompensationsmuster, das sich aus Geld und Anerkennung speist. Dieses Muster gibt es bei Männern wie auch bei Frauen.

Oft ist der Auslöser für die Depression eine Erschütterung des Kompensationsmusters: beispielsweise eine Kündigung. Für Patienten ist das oft unendlich peinlich. Auf ihre Scham reagieren sie nicht selten mit Aggressionen.

Für die Therapie brauchen wir den realen Vater nicht, denn es ist ja der innere Vater, den man da zu sich sprechen hört. Es geht auch nicht darum, sich ganz vom Vater zu distanzieren, ihn gar zu verteufeln, sondern seinem Bild die Schärfe zu nehmen. So verschaffen sich Patienten mehr gesunde Spielräume. Im Lauf der Therapie entwickelten sich Menschen mit dieser Persönlichkeitsstruktur häufig zu Musterpatienten: charismatisch, lernbereit. Den inneren Antreiber, der sie zu Höchstleistungen führte, wenden sie häufig auch auf die Therapie an. Die Gefahr besteht nun, dass sie ihren inneren Antreiber nicht bearbeitet haben. Genau darauf müssen wir in der Behandlung achten.“

Volker Reinken ist Ärztlicher Direktor der Akutklinik Urbachtal in Bad Waldsee, Oberschwaben, in der unter anderem Führungskräfte mit Bourn-out behandelt werden.
Volker Reinken ist Ärztlicher Direktor der Akutklinik Urbachtal in Bad Waldsee, Oberschwaben, in der unter anderem Führungskräfte mit Bourn-out behandelt werden.
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Der Vater als Eventmanager am Wochenende

Björn Süfke, Psychologe aus Bielefeld: „Ich arbeite seit 18 Jahren in der Männerberatungsstelle in Bielefeld. Die meisten unserer Klienten haben nicht das Problem, dass sie vom Vater verletzt oder sonst wie falsch behandelt wurden, sondern dass sie gefühlsmäßig nicht zu ihm durchgedrungen sind. Ich schaue oft in ein großes Vater-Loch.

Diese emotionale Abwesenheit von Vätern hat verheerende Auswirkungen auf die seelische Gesundheit von Männern. Ich spreche hier von der männlichen Normalbevölkerung und nicht von Männern, die schwere psychische Probleme haben.

Mit vier, fünf Jahren fängt es bereits an, also in einem Alter, in dem Jungen wie Mädchen Freude, Trauer oder Ärger noch ungefiltert ausleben. Wenn Väter ihre Gefühle nicht zeigen, erteilen sie ihren Söhnen damit unbewusst ein Verbot, diese Gefühle zu haben. Bei Mutter und Schwester sehen die Jungs durchaus Gefühlsäußerungen. Daraus schließen sie, dass Gefühle typisch weiblich sind. Sie entwickeln Mechanismen, Gefühle von sich abzuspalten. Psychologisch ist das ein Riesenproblem: Es macht krank.

Ich will den Vätern keine Schuld geben: Zum Beispiel kann die Generation, die im Krieg war, nichts dafür, dass sie nicht aus sich herauskam. Heute nehmen viele Väter für sich in Anspruch, ihren Kindern emotional zu begegnen. Doch zeitlich sind sie immer noch viel seltener zu Hause als die Mütter. Wenn solche Väter abends um acht kurz auf ihre Kinder treffen, geben sie sich oft als lustig-lockere Typen. Oder als Eventmanager am Wochenende. Das reicht aber nicht aus. Den Begriff Quality Time halte ich daher auch psychologisch für Unsinn: Das Gerede, dass es angeblich nicht darum geht, dass man viel Zeit miteinander verbringt, sondern dass diese Zeit eine tolle ist. Das ist Augenwischerei. Ich muss in den Niederungen des Alltags auch zeitlich präsent sein. Sonst kommt es gar nicht zu den Situationen, in denen mich mein Sohn mit ganz normalen Gefühlsregungen erleben kann.

Für Jungs ist es noch eine Spur gravierender, wenn Väter abwesend sind, als für Mädchen. Für die Geschlechtsidentität des Jungen ist allein der Vater Vorbild.

In der Therapie nehme ich immer auch ein bisschen die Vaterrolle ein. Ich leite die Männer an, wieder Zugang zu ihren Gefühlen zu finden. Dazu berichte ich auch manchmal von meinen eigenen Gefühlen. Das ist etwas grundlegend anderes, als wenn es eine weibliche Therapeutin täte. Der Klient hat schon tausend Mal erlebt, dass Frauen von ihren Gefühlen berichten. Die dürfen ja welche haben. Aber ein Mann? Dazu einer, der es – aus Sicht des Klienten – ,geschafft‘ hat. Das hat schon eine große Wirkung.“

Björn Süfke arbeitet bei der Männerberatungsstelle in Bielefeld und hat das Buch „Männer. Erfindet. Euch. Neu. Was es heute heißt, Mann zu sein.“ geschrieben.
Björn Süfke arbeitet bei der Männerberatungsstelle in Bielefeld und hat das Buch „Männer. Erfindet. Euch. Neu. Was es heute heißt, Mann zu sein.“ geschrieben.
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