Wie schottisch ist schottischer Whisky eigentlich?: Mit Torf gewürzt
Schottischer Whisky erlebt einen weltweiten Boom. Selbst Franzosen trinken ihn häufiger als Cognac. Eine Reise zu den Quellen.
Es ist kalt, es regnet in Fäden und die Fahrbahn ist von dicken Wollknäueln blockiert. Die glotzen gelangweilt und denken nicht im Traum daran, ihren Schafshintern zu bewegen. Die Straße schlängelt sich durchs Hochland, die Landschaft ist menschenleer und märchenhaft schön. Steine und Heidekraut, Wasser und Wind und die von unsichtbaren Händen nach jeder Kurve neu ins Bild geschobenen steilen Berghänge bilden ein eigentümlich karges Ensemble.
Geschichten über schottischen Whisky beginnen gern hier oben in den wilden Highlands, wo das Leben hart ist und der Mensch rau. Hier muss der Whisky geboren worden sein, denn hier braucht man einen ordentlichen Schluck Feuerwasser gegen die Einsamkeit, das Kratzen im Hals. Doch die Destillerien liegen viel weiter unten im Tal des Spey. Der zweitgrößte Fluss Schottlands ist die Nabelschnur der hiesigen Whisky-Industrie, in der 11 000 Menschen arbeiten, von denen jeder eine Wertschöpfung von über 300 000 Euro im Jahr erzielt.
Mehr als 50 Produzenten reihen sich am Ufer des Spey, ideal für Wanderer, die auf dem Malt Whisky Trail von Brennblase zu Brennblase ziehen. Von oben erinnern die Betriebe ein wenig an Schweinemastanlagen: geduckte, langgezogene Komplexe, funktional und schmucklos.
In den unscheinbaren Gebäuden wird die erfolgreichste und bekannteste Spirituose der Welt gebrannt: schottischer Whisky. Inzwischen wird er in 200 Ländern der Welt getrunken, also überall. Selbst Franzosen schlucken mehr Scotch als Cognac, Griechen mehr Whisky als Ouzo. Doch erst die neuen Märkte in China, Singapur, Brasilien oder Südafrika haben den aktuellen Boom ausgelöst. Für die neuen Mittelklassen gehört Scotch zum Lifestyle, er ist Teil ihres Lebensgefühls, Mythos und Marke zugleich.
Die meisten Scotch sind Blends, „Verschnitte“ verschiedener Abfüllungen und Brennereien, die unter Markennamen verkauft werden wie „Famous Grouse“ oder „Johnny Walker“. Für Blends dürfen auch Grain-Whiskys verwendet werden, die nicht aus Gerste hergestellt werden. Amerikanischer Whiskey, wird überwiegend aus Mais destilliert. Auch in Deutschland wird in über 100 Brennereien Whisky produziert. Mit mäßigem Erfolg. Whisky aus dem Schwarzwald oder Frankenland, das klingt halt wie Weißwurst aus Eckernförde.
Die Marketing-Maschine der schottischen Hersteller tut denn auch alles, um ein Qualitätsprodukt zu promoten, in dem schottische Landschaft, Klima, Natur und eine Jahrhunderte alte Kultur zu einer hocharomatischen Flüssigkeit gerinnen. Bei Talisker, einem der angesehensten Hersteller auf der Isle of Skye, weit im Norden, hat man darin eine gewisse Meisterschaft entwickelt. Hunderte von Touristen werden täglich durch die Produktionsanlagen geschleust. Sie dürfen an der Gerste riechen, die kupfernen Brennanlagen streicheln und am Ende einen „Dram“ genießen, einen Schluck zehn Jahre alten Talisker.
Die Gerste kommt aus England, Deutschland oder Litauen
Wie die Winzer bei der Weinvermarktung, versuchen Talisker und andere Hersteller den Terroir-Gedanken in den Mittelpunkt zu stellen. Danach spiegelt Whisky Schluck für Schluck authentisch den Ort wider, an dem er im besonderen Mikroklima durch traditionelle Handwerkskunst entstanden ist. Die salzige Brise des nahen Meeres scheint förmlich auf der Zunge zu tanzen. Whisky ist nicht nur die bernsteinfarbene Muttermilch der Schotten. Er ist auch Botschafter der jeweiligen Region und Insel.
Mit dem real existierenden Herstellungsverfahren hat das allerdings immer weniger zu tun. Schottischer Whisky wird aus Wasser, Hefe und Gerste gemacht. Schon schwenkt die innere Kamera über goldgelbe Getreidefelder, deren Ähren im schottischen Wind lustig hin und her baumeln. Die schnöde Wahrheit: Das wichtigste Grundprodukt wächst immer öfter in England, Deutschland, Litauen und anderen Ländern. Der Gerstebedarf der Branche ist auf über eine Million Tonnen im Jahr gewachsen, und nur wenige Firmen arbeiten mit schottischem Korn.
„Die Whisky-Industrie wird von knallharten Managern beherrscht, die ihre Rohstoffe dort kaufen, wo sie die richtige Qualität zum richtigen Preis kriegen“, analysiert Craig Anderson von BBC Scotland. Werner Hertwig, der in Schöneberg das Fachgeschäft „Wein und Whisky“ leitet, das 2013 zum besten deutschen Whisky-Laden gewählt wurde, bringt es auf den Punkt: „Whisky ist ein Industrieprodukt.“ Wenn die wichtigste Zutat aber aus aller Herren Länder kommt, ist Scotch dann überhaupt noch ein schottisches Produkt? „Ist VW noch ein deutsches Auto?“ kontert Hertwig. Zumindest arbeiten in den Brennereien überwiegend Schotten. Und die Vorschriften stellen sicher, dass ihr Whisky in Schottland gebrannt, gereift und abgefüllt ist. Zur Reifung werden die Whiskyfässer allerdings häufig in große zentrale Lager abtransportiert, weit weg von Brennerei und Region.
Dass der Whisky ein weitgehend schottisches Produkt geblieben ist, dafür sorgen das traditionelle, inzwischen vom Computer gesteuerte Herstellungsverfahren und der unverkennbare Torfgeschmack. Die gewässerte und so zum Keimen gebrachte Gerste trocknet im Rauch eines Feuers, dem Torfmehl zugesetzt wird. Je mehr Torf unter satter Rauchentwicklung verbrennt, desto intensiver schmeckt der Whisky später nach Rauch und Jod. Torfpartien, die in Küstennähe gestochen werden, bringen zudem Noten von Salz und Seetang ins Spiel. In Zeiten der Armut war Torf der einzige Brennstoff der Schotten. Heute ist er der gehypte Aromalieferant der Branche. „Starker Torfgeschmack ist in Mode gekommen“, sagt Hertwig, aber „zu viel überdeckt die anderen Aromen“.
Die Hersteller bestellen die getorfte Gerste bei ihren Zulieferern, die, je nach Wunsch, die Rauchnote exakt einstellen. Der Torfrauchgeschmack wird dabei in ppm gemessen (parts per million). Werner Hertwig sieht die – kaum noch trinkbare – Obergrenze bei über 200 ppm, „aber da qualmt’s schon aus der Flasche raus!“ Whisky mit 40 bis 50 ppm hat bereits heftige Torfaromen.
Die zweite starke Geschmackskomponente ist das Fass. Scotch reift – mindestens drei Jahre, meist deutlich länger – in gebrauchten Eichenfässern, in denen zuvor Bourbon, Sherry, Portwein oder ein anderer Süßwein ausgebaut wurde. Das Fass verleiht dem schottischen Gerstenschnaps Aromen von Holz und Nüssen, von Karamell, Kokos oder Vanille. Und es gibt ihm Farbe. Allerdings helfen viele Häuser inzwischen mit Farbstoff nach, der Käufer mag es nun mal goldig.
Hersteller, die auf Farbstoff verzichten, werden von Hertwig besonders geschätzt. Der Händler hat außerdem eine Schwäche für Glenfarclas, eines der letzten uralten schottischen Familienunternehmen, oder für die Trutzburg Springbank, den einzigen großen Produzenten, der die gesamte Herstellung in eigener Regie und im eigenen Haus abwickelt.
Die meisten Whiskyfabrikanten sind längst keine Schotten mehr. Der multinationale Getränkekonzern Diageo ist die Nummer eins mit einem Marktanteil von 40 Prozent. Die Erfolgsmarken Johnny Walker und J & B, aber auch mehr als ein Dutzend feine Single Malts gehören zum Konzern. Single Malts stammen aus einer einzigen Brennerei. Für ihre Herstellung darf nur gemälzte Gerste verwendet werden, und sie werden in der Regel mindestens zehn Jahre gelagert, in hochwertigen Fässern.
Nie auf Eis!
Nummer zwei unter den Produzenten ist Pernod-Ricard mit 20 Prozent Marktanteil. Unter rein schottischer Flagge segelt nur noch ein Fünftel der Produktion. Tendenz: weiter abnehmend, denn die Multis nutzen den gegenwärtigen Megaboom für aggressive Expansionen. Der Exportwert von Scotch hat inzwischen die Sechs-Milliarden-Euro-Grenze überschritten, ein Viertel aller schottischen Ausfuhren. In einem einzigen Monat wird so viel Whisky verkauft wie Cognac im ganzen Jahr.
Auch Werner Hertwig spürt den Boom. Er erinnert sich noch an die 80er Jahre, als Whisky ein „Altmännergetränk für Eure Lordschaft“ war. Heute kommen immer mehr Frauen und junge Leute in seinen Laden, wo 1800 verschiedene Abfüllungen stehen. Hertwig ist Sammler, er hat uralte Whiskys im Regal, die bis zu 3000 Euro kosten. Gute Single Malts bekommt man ab 30 Euro.
Der Experte rät: Keine Tumbler, sondern „Nosing-Gläser“ benutzen, die sich nach oben verjüngen und das Dufterlebnis verstärken. Und Whisky nie auf Eis trinken, „das tötet die Aromen“. Whisky-Anfängern empfiehlt Hertwig einen zehnjährigen preiswerten Glenfarclas, der niemanden überfordert. Für Fortgeschrittene einen 15 Jahre alten mittelpreisigen Glendronach aus reiner Sherryfass-Lagerung. Für echte Junkies einen ebenfalls 15 Jahre alten Laphroaig aus Einzelfassfüllung, von der Hebrideninsel Islay. (Wobei auch diese legendäre Brennerei einem internationalen, japanisch-amerikanischen Konzern gehört.) Dessen fulminante Torfattacke könnte vielleicht sogar die Schafsärsche von der schottischen Fahrbahn vertreiben.
www.maltwhiskytrail.com
www.whiskyandcigars.de – ein weitere spannende Berliner Whisky-Adresse
www.world-wide-whisky.de – der Internetauftritt von Wein & Whisky
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