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Das Café Aplo an der Westküste der Peloponnes.
© Kaspar Heinrich

Kulinarische Start-Ups in Griechenland: Griechenlands Krisenköche: Drei junge Griechen riskieren mit alten Rezepten einen neuen Anfang.

Als läge Kreuzkölln am Meer. So fühlt es sich an, im Café Aplo zu sitzen, an der Westküste des Peloponnes, wenn man den Blick quer durch den Raum und hinaus aus dem Fenster schweifen lässt.

Als läge Kreuzkölln am Meer. So fühlt es sich an, im Café Aplo zu sitzen, an der Westküste des Peloponnes, wenn man den Blick quer durch den Raum und hinaus aus dem Fenster schweifen lässt. Drinnen Möbel im Do-it-yourself-Look, schwere Ohrensessel, ganz wie in den Kneipen rund um die Weserstraße. Draußen mächtige Palmen und das tiefe Blau des Ionischen Meeres. Der Sandstrand liegt wenige Meter entfernt.

Selbst Mitte Oktober ist es hochsommerlich warm in der Bucht von Navarino, im kleinen Örtchen Gialova, kaum 300 Einwohner stark. Aggelos Pouliasis, Ende 30, steht in der offenen Küche des Aplo und brüht über der Gasflamme einen griechischen Mokka im Briki, dem traditionellen langstieligen Kupferkännchen.

Dass Pouliasis an diesem paradiesischen Flecken Erde landete, dass er mit seiner Freundin ein Bistro eröffnete, lag an Griechenlands Staatskrise. Als Grafikdesigner hatte er in Athen gearbeitet, 17 Jahre für dieselbe Agentur. Im Jahr 2011 konnten ihn die Chefs kaum noch bezahlen. Auch für seine Freundin lief es schlecht, als Regisseurin von TV-Soaps fand sie keinen Job.

Zu dieser Zeit bot ein Onkel Pouliasis ein ehemaliges Rosinenlager in Gialova an. Plötzlich ging alles sehr schnell: In fünf Tagen hatte das Paar einen Businessplan erstellt, das Menü und die Einrichtung des Cafés skizziert. Drei Monate später öffnete das Aplo, im Juni 2012.

Pouliasis, tätowiert an beiden Armen, zottiger Bart, sieht nicht aus wie die meisten Gastronomen in Gialova, die ihre Restaurants und Bars entlang der Küstenstraße betreiben und zumeist auf hellenische Folklore setzen. Sein Café kommt völlig anders daher.

„Feels like home“ steht mit Kreide an einer Schiefertafel, es ist das Motto des Aplo. „Wir haben diesen Ort so gestaltet, wie wir selbst leben“, sagt Pouliasis, „und wir kochen hier, was wir auch zu Hause kochen.“ Wenige, simple Gerichte mit guten Zutaten, lautet sein Credo. „Aplo“ bedeutet „einfach“.

Als „griechisch mit einem Twist“ beschreibt Pouliasis seine Küche. Auf der Speisekarte steht Grillkäse aus der Region mit hausgemachter Orangenmarmelade neben frischen Kartoffelchips mit Koriander. Zum Nachtisch gibt es Schokoladenmousse „mit einem Hauch Tabasco“.

Lokale Produkte, griechisches Bier, keine globalen Marken. In dieser schwierigen Zeit wolle er heimische Firmen unterstützen, sagt Pouliasis, kleine Brauereien, den Metzger um die Ecke. Die Spezialität des Aplo, ein hausgemachter Burger, kostet 9 Euro 50. Zu viel für das Gros der Einheimischen. Die meisten Gäste seien Ausländer, so Pouliasis.

Kein Wunder, der Tourismus in Griechenland boomt. Im ersten Halbjahr 2014 kamen 16,7 Prozent mehr Urlaubsgäste ins Land als im selben Zeitraum des Vorjahres. Weltweit bedeutet das den fünfthöchsten Zuwachs. Dabei wurden schon 2013 so viele ausländische Besucher gezählt wie nie zuvor, 17,9 Millionen. Der Tourismus macht ein Sechstel des griechischen Bruttoinlandsprodukts aus.

"Selbst in Krisenzeiten muss man essen"

Ein Grund für den anhaltenden Boom mag ein Steuergeschenk des griechischen Staates aus dem vergangenen Jahr sein: Trotz der Krise senkte die Regierung die Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 23 auf 13 Prozent – und forderte Restaurants und Cafés zugleich auf, die Vergünstigung an ihre Kunden weiterzugeben.

Bequem war der Start in die Gastronomie für Pouliasis trotzdem nicht. Kurz nach der Eröffnung kam ein Polizist ins Aplo und verhaftete ihn, weil er sein Gewerbe ohne Lizenz betrieb. „Das war absurd“, sagt Pouliasis heute, „wir haben zu dieser Zeit ganz regulär Steuern gezahlt, der Staat hat von uns profitiert.“ Trotzdem war das Bistro illegal. Derlei bürokratische Schikanen warfen das frischegebackene Gastronomenpaar aber nicht aus der Bahn. Selbst als Pouliasis im Nachbarort eine Nacht im Gefängnis verbrachte, wurden im Aplo Gäste bewirtet. Sein Bruder war kurzerhand eingesprungen.

Das Café Aplo an der Westküste der Peloponnes.
Das Café Aplo an der Westküste der Peloponnes.
© Kaspar Heinrich

Heute ist die Lizenz längst erteilt, die dritte Saison neigt sich dem Ende entgegen. In den Wintermonaten bleibt das Bistro geschlossen, während dieser Zeit kommen nur wenige Touristen nach Gialova. Schon an diesem sonnigen Oktobermorgen findet kaum noch ein Gast den Weg ins Aplo. Für die kühlen Monate kehrt Pouliasis zurück in seinen alten Job als Grafikdesigner, inzwischen arbeitet er freiberuflich.

Dass sich junge Griechen für den kulinarischen Bereich entscheiden, darin sieht Pouliasis einen Trend, befeuert durch etliche Kochshows im Fernsehen. „Selbst in Krisenzeiten muss man essen“, sagt er, „deswegen halten es viele für eine sichere Sache, ein Restaurant zu eröffnen.“

Manos Smyrlakis, Anfang 30, hat in seinem Büro in der Athener Innenstadt noch eine andere Erklärung parat: „Kulinarik ist der Geschäftszweig mit den geringsten Einstiegshürden – und man hat relativ schnell ein Produkt in der Hand, das man anbieten kann.“

Als er selbst seinen sicheren Job bei einem Pharmakonzern aufgab, hielten ihn die meisten seiner Freunde für verrückt. Kündigen, bei einer Arbeitslosenquote von 28 Prozent, das klang nach Selbstmord. Alle hätten ihm damals abgeraten, erinnert sich Smyrlakis, nur seine Frau nicht, mit der er in Athen wohnt. Mit Anfang 30 las sich seine Karriere perfekt: ein Abschluss in Chemie, einer in Unternehmensführung, Jobs in der Lebensmittelindustrie, bei Procter & Gamble in Frankfurt, schließlich in der Pharmabranche.

Doch die Löhne sind niedrig in Griechenland, Steuern und Lebenshaltungskosten hingegen hoch. Selbst wenn man gut in seinem Job sei, so Smyrlakis, springe nicht viel dabei heraus; mit einem Masterabschluss werde man bezahlt wie ein Azubi in Deutschland.

Ihm selbst lagen Angebote aus dem Ausland vor – doch er entschied sich zu bleiben. Das sichere Geld, so sagt er, sei ihm letztlich weniger wichtig gewesen als die Nähe zu seiner Familie. Aber auch weniger wichtig als eine neue berufliche Herausforderung.

Er erinnerte sich an eine Destillerie bei Kalamata, die Verwandte seiner Mutter betrieben. Das älteste noch bestehende Unternehmen Griechenlands, gegründet 1850. Smyrlakis’ Vision: Spirituosen zu kreieren, die zur globalen Premiummarke taugen, die in Bars auf der ganzen Welt ausgeschenkt werden und dort Griechenland vertreten, abseits von Ouzo und Metaxa.

Brandy und Ouzo wurden bis dato auch in der Familiendestillerie gebrannt, Smyrlakis begann mithilfe seines Onkels mit der Produktion von vier weiteren Bränden. Er setzte auf höherwertige Alkoholika, als Grundlage dienten Rohstoffe der mediterranen Landschaften. Etwa für Rakomelo, einen Raki mit Honig, oder Mastiha, einen Likör aus dem leicht herben Harz des Mastixstrauchs, der auf der Insel Chios wächst.

Smyrlakis Brände sind fein abgestimmt, präzise im Zusammenspiel ihrer außerhalb Griechenlands eher ungewöhnlichen Zutaten. Ein kräftiges Zimtaroma zeichnet etwa den Likör Tentura aus, Muskatnuss und Nelken runden den Geschmack ab. Winterlich wohlig mutet das an, nicht aber wie Weihnachtsmarktfusel, sondern mit sehr viel Bedacht komponiert. „Finest Roots“ heißt Smyrlakis’ Marke, der Name nimmt Bezug auf die lange Geschichte der Destillerie, aber auch auf die Rezepturen, deren Zutaten aus griechischem Boden stammen.

Trotz der schwierigen Voraussetzungen beobachtet Smyrlakis einen Wandel im Land. Die Zahl der griechischen Start-ups ist zuletzt stark angestiegen, von 2010 bis 2013 hat sie sich verneunfacht. Unter den neu gegründeten Unternehmen machen Restaurants, Bars und Lebensmittelgeschäfte den größten Anteil aus: 2012 fand fast jede vierte Firmengründung in diesem Sektor statt.

Zugleich ist klar: Ein neues Produkt sollte den globalen Markt ansprechen, in Griechenland ist die Kaufkraft gering. Deswegen setzen wie Smyrlakis viele auf Premiumprodukte für den Export, gerade im Bereich der Lebensmittel.

Antike Gefäße als Anregung fürs Produktdesign

Das Café Aplo an der Westküste der Peloponnes.
Das Café Aplo an der Westküste der Peloponnes.
© Kaspar Heinrich

So richtet sich auch das Olivenöl von Thanos und Panos Kloutsiniotis vor allem an Touristen – rund 30 Euro kosten 600 Milliliter – oder aber an kaufkräftigere Kunden im Ausland. In Australien, wo viele Griechen leben, haben die Brüder einen eigenen Vetriebshändler.

Wie Bistro-Betreiber Pouliasis half das Schicksal auch Panos Kloutsiniotis ein wenig nach, auf dem Weg zu seiner Geschäftsidee. Mit Mitte zwanzig hatte er einen Abschluss in Chemieingenieurswesen in der Tasche und fuhr, um auszuspannen, von Athen für einen Monat nach Melissi, ins Heimatdorf seiner Familie bei Korinth. Danach sollte es ins Ausland gehen, vielleicht nach Berlin, Bewerbungen waren schon geschrieben.

Kloutsiniotis wäre ein weiterer Hochschulabsolvent gewesen, der Griechenland verlassen hätte, mehr als 150.000 kehrten in den vergangenen fünf Jahren ihrer Heimat den Rücken. Kein Wunder, sind doch die Chancen gering: Von den Unter-25-Jährigen ist mehr als jeder Zweite ohne Job.

Doch es war just die Reifezeit der Oliven, in die Panos Kloutsiniotis’ Urlaub fiel, der Onkel besaß ein paar Bäume mit den aromatischen Früchten. Der junge Großstädter fand Gefallen am Ernteprozess, und plötzlich begann er umzudenken: Warum nicht im Land bleiben und hier etwas aufbauen?

Er fragte seinen jüngeren Bruder Thanos, der Wirtschaft studiert hatte, ob er mitmachen wolle. Er wollte. Gemeinsam gründeten sie die Firma Melissi & Co, im Sommer 2013 stand die erste Flasche ihres Ladolea-Olivenöls in einem Delikatessengeschäft in Madrid.

Dabei scheint der Markt an Olivenöl gesättigt. Den Brüdern war klar, dass sie auffallen mussten mit ihrem Produkt. Ein hervorragendes Öl in einer besonderen Verpackung, das war das Ziel. Auf eine moderne Weise sollte ihr Produkt sehr griechisch sein. Also besuchte Thanos Museen, um sich inspirieren zu lassen. In Korinth sah er ein bauchiges Gefäß, in dem Olympioniken vor fast 3000 Jahren Olivenöl aufbewahrt hatten, um sich vor Wettkämpfen die Körper damit einzureiben. Das antike Produktdesign diente als Vorbild für Ladolea.

Für den sämigen, goldgelben Inhalt setzen Panos und Thanos auf Bauern aus Korinthia, einer Region, die weniger bekannt für ihre Oliven ist. Zwei Sorten Öl vertreiben die beiden: ein mildes, süßliches von der Küste und ein herberes aus den Bergen. Markanter und deutlich aromatischer als die meisten Olivenöle schmeckt Ladolea, das kräftigere, intensivere kitzelt beim Abgang ein wenig den Rachen.

Geld vom Staat gab es für sie nicht, erzählen die Brüder, auch nicht von den Banken. So verhängnisvoll freizügig diese noch vor wenigen Jahren mit Krediten um sich geworfen hätten, so restriktiv seien sie heute. Das Startkapital stammte daher aus der Familie, ohne es wäre Ladolea nie geboren.

Der Anfang sei hart gewesen, erinnert sich Thanos. Einen Athener Delikatessenladen nach dem anderen hätten sie aufgesucht, damals noch schüchtern und ängstlich. Inzwischen ist Routine eingekehrt, auch in ausländischen Städten klappern die Brüder täglich ein Dutzend Geschäfte ab und preisen ihr Öl an. Wie erst Ende Oktober in Berlin. In rund 40 Läden boten die beiden ihr Produkt an, jeder dritte Besitzer wird ihr Öl in Zukunft verkaufen. Eigentlicher Anlass des Besuchs in der Hauptstadt: die Verleihung des renommierten Designpreises „Red Dot Award“ an Ladolea.

Sein persönliches Lebensniveau sei gesunken, gibt Manos Smyrlakis zu, seit der Gründung von „Finest Roots“. Aber in jenem Maße, wie er es erwartet habe, nicht schlimmer. „Es ist alles eine Frage der Prioritäten“, schiebt er hinterher. „Was meine Visionen betrifft, fühle ich mich reich.“

Informationen:

Das Olivenöl "Ladolea" gibt es in Berlin unter anderem in folgenden Läden: Rises Delicacies, Veteranenstraße 25. Von und zu Tisch - Auguststraße 52.Weinblatt, Dieffenbachstraße 59. Markthalle Neun, Eisenbahnstraße 42/43.

Die Brände von "Finest Roots" bekommt man in der Charlottenburger Weinhandlung CAVA, Schusteruhstraße 20 und online bei whiskyexchange.com.

Kaspar Heinrich

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