Die Idole des Mark Forster: Meine Helden - von Andreas Brehme bis Roger Willemsen
Mark Forsters Fußball-EM: Sein Song läuft ständig im ZDF. Wer ihn inspiriert und prägt, erzählt der Sänger hier.
Andi Brehme
"Meine früheste Kindheitserinnerung ist das Finale der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien. Da hat Andi Brehme vom 1. FC Kaiserslautern den entscheidenden Elfmeter versenkt, Deutschland wurde Weltmeister. Brehme trug einen modischen Vokuhilaschnitt, sehr blondes Haar und hatte beim Spielen einen grimmigen Gesichtsausdruck. Vom Typ her wie Philipp Lahm, der immer ernsthaft im Verteidigungsraum auf- und abläuft. Ich weiß noch, wie ich mit meinen sechs Jahren auf den Wohnzimmerfliesen saß, hinter mir die Familie auf dem Sofa, und gebannt meinen Vater beobachtete. Wie der während des Spiels abgegangen ist! Wie sich alle gefreut haben, weil diese Mannschaft gewonnen hat! Das hatte ich noch nie erlebt. Die nächste Szene mit Andi Brehme war weniger feierlich. Im Sommer 1996 stieg mein Verein, der FCK, zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte aus der Bundesliga ab. Das entscheidende Spiel verlor der Verein gegen Leverkusen. Unvergessen, wie Andi Brehme danach an den Schultern von Rudi Völler klebte und wie ein Schlosshund weinte. Völler war bei Leverkusen, Brehme bei Kaiserslautern, beide waren in der Nationalmannschaft befreundet, einer hat den anderen getröstet. Das war das einzige Mal, dass auch ich bei einem Fußballspiel geheult habe."
John Lennon
"Meine ersten Musikhelden habe ich im Plattenschrank meines Vaters entdeckt. Dort gab es neben den Beatles, den Stones und Udo Lindenberg auch John Lennon. Noch schön auf Vinyl. Die Lieder haben mich schon als kleinen Scheißer angesprochen, die habe ich sofort kapiert. John Lennon wirkte auf mich wie der coolste Typ der Welt, ihm schienen die Texte superwichtig, die aus seinem Leben heraus entstanden und seinen politischen Überzeugungen geschuldet waren. Er hat nie auf Hits geschielt, während Paul McCartney schon mal mit Michael Jackson zusammenarbeitete, damit der Laden läuft. Wegen John Lennon habe ich mir als Teenager meine Haare wachsen lassen. Ich rede mir ein, dass ich nur wegen ihm heute eine Brille tragen muss. Im ,White Album' der Beatles war ein Poster von John drin, das ich in meinem Kinderzimmer an die Wand gepinnt und sofort Ärger mit meinem Vater bekommen habe. Ein Loch in dem Bild, das ging gar nicht! Auf dem Foto trug John eine kleine runde Brille. Auf dem Flohmarkt habe ich mir ein ähnliches Modell mit Fenstergläsern gekauft. Ich habe sie die ganze Zeit getragen, irgendwann wurde mein Sehvermögen ziemlich schlecht, weil ich eine Sehschwäche bekam. Seitdem brauche ich eine richtige Brille."
Henry Charrière
"Als ich zehn war, hatte ich einen Klavierlehrer, einen rumänischen Jazzpianisten, der mich ein bisschen erziehen wollte. Er fand, Disziplin sei im Leben wichtig, und gab mir Bücher, um meinen Charakter zu formen, wie er es nannte. ,Der Pate', ,Der Steppenwolf' und eines Tages ,Papillon' von Henri Charrière. Seine Aufgabe: das Buch auf einer DIN-A4-Seite zusammenzufassen. Damals gab es noch kein Youtube oder Wikipedia, wo ich die Inhaltsangaben hätte klauen können. Ich hatte keine Wahl, ich musste das Buch lesen, und selten hat mich eine Geschichte so gefesselt wie diese. Sie handelt von einem Typen, der zu Unrecht wegen Totschlags verurteilt wurde und in Französisch-Guyana eine lebenslängliche Haftstrafe absitzen muss. Er versucht mehrmals auszubrechen, erst als älterem Mann gelingt ihm das. Und dieser Mann, der einen Schmetterling auf den Arm tätowiert hat und deshalb Papillon genannt wird, war Henri Charrière. Ich werde nie vergessen, wie er sich durchgebissen hat, trotz der Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Es herrschten furchtbare hygienische Zustände auf der Gefängnisinsel, er aß teilweise Kakerlaken, um zu überleben. Solche Bilder flashen zurück in meinen Hinterkopf, wenn ich mich in eine Sache verrannt habe, einfach keinen Ausweg finde. Dann denke ich an Papillon und reiße mich zusammen. Er ist für mich ein Ansporn geworden, nicht aufzugeben."
Fritz Walter
"Ich komme aus Winnweiler, einem Kleinstkaff in der Nähe von Kaiserslautern. In der Pfalz gibt es viel Platz und Fritz Walter. Er ist der große Held der Region, die Lichtgestalt des 1. FC Kaiserslautern. In Berlin scheint mir das nicht so wichtig, in meiner Heimat ist der Fußballverein identitätsstiftend für die gesamte Gegend. Fritz Walter ist der Grund dafür. Mit ihm wurde der FCK in den 1950er Jahren Deutscher Meister, er war der Kapitän der Nationalmannschaft, die 1954 Weltmeister geworden ist. Wenn es regnete, hieß es: Ah, es ist Fritz-Walter-Wetter. Weil er bei solchem Wetter besonders gut spielte. Ich wollte als Kind ein Fußballer wie er werden und hatte anfangs eine vielversprechende Karriere als Torkrokodil beim 1. FC Winnweiler: Ich war der Stürmer, der lange Zeit träge vor dem Tor herumsteht und plötzlich zuschnappt. In der B- und C-Jugend war ich dann größer als die anderen Jungs, ich sah danach aus, als könnte ich gut Fußball spielen, weswegen mir die gegnerische Manndeckung in der ersten Viertelstunde nie von der Pelle gerückt ist. Bis sie gemerkt hat, dass Andi, der kleine Stürmer neben mir, viel besser spielte."
Max Herre
"Mitte der 90er Jahre war zum ersten Mal deutscher Hip-Hop richtig cool, Bands wie Fanta Vier, Absolute Beginner und vor allem Freundeskreis fand ich gut. Deren erstes Album ,Quadratur des Kreises' ist die Platte meiner Jugend. Die kenne ich auswendig. Wenn ich das Lied ,Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte' höre, funktioniert es wie eine Zeitmaschine. Ich sehe mein Jugendzimmer vor mir, die ganzen Wände voller Poster, aus der ,Bravo', der ,Popcorn', den Postermagazinen – von Nirvana, Offspring, aber auch Take That und East 17. Max Herre hat als Schreiber von Freundeskreis damals etwas Neues geschaffen: klug und nicht peinlich auf Deutsch zu texten. Ich fand das toll, dass ich alles verstehen und darüber grübeln konnte. Er hat mich dazu angestiftet, selber Texte zu schreiben. Ich bin durch die Welt gelaufen, habe die Augen aufgemacht, habe versucht, in einen Text zu verpacken, was mich an der Schule nervt oder an Mädels erfreut, und dazu am Klavier eine Melodie geklimpert. Ich habe Max Herre mittlerweile persönlich getroffen. Er ist ein kluger, normal gebliebener Mensch, mit dem es Spaß macht, sich zu unterhalten."
Steve Jobs
"Es ist erst mal eine Leistung, unser aller Leben mit technischen Mitteln neu gestaltet zu haben. Wie wir Musik kaufen und konsumieren, wie wir kommunizieren und arbeiten. Der iPod hat definitiv die Geschwindigkeit erhöht, mit der ich Musik höre. Früher habe ich mehr Zeit mit Alben verbracht, heute brauche ich schnell neuen Stoff. Einerseits höre ich dadurch mehr, bekomme mehr Input für meine Songs, andererseits verknalle ich mich kaum noch richtig in Platten, die ich über Jahre höre. Auch vom Stil ist Steve Jobs für mich ein Vorbild. Ich mag es, wenn Menschen Dinge vereinfachen und dabei gut aussehen. Mir imponiert, dass er die letzten 20 Jahre seines Lebens sein Outfit kaum verändert hat. Seine schwarzen Rollkragenpullover, die er in Japan bestellt hat und in 50-facher Ausführung im Schrank hatte. Dazu Jeans, Sneakers und eine runde Brille. Das sah gut aus, besaß eine künstlerische Klarheit. Mir ist aufgefallen, dass ich mich in eine ähnliche Richtung bewege. Noch kein Hardliner, aber ich ziehe fast nur noch dunkle Sachen an wie heute. Schwarzer Pullover, dunkle Jeans, weiße Turnschuhe, meine Brillengestelle werden einfacher, meine Basecaps haben keine knalligen Schriftzüge mehr."
Peter Fox
"Als ich vor zehn Jahren nach Berlin gezogen bin, hatte ich das Glück, schnell einen Übungsraum in einer Kreuzberger Fabriketage zu bekommen. Da stellte ich Computer und Klavier rein, fertig war mein Mini-Tonstudio. Auf der gleichen Etage hatten damals Seeed ihren Proberaum, ich, das Landei, war hautnah dabei, als Sänger Peter Fox dort sein legendäres Album ,Stadtaffe' aufnahm. Diese Platte hat die deutsche Musiklandschaft verändert. Peter Fox hat es geschafft, dass deutsche Sprache elegant klingt. Deutsch ist hart, hat viele Zischlaute und reimt sich schlecht. Weil es ein Sprachlego ist, wie Brian Eno einmal gesagt hat. Man kann sich selber endlos Worte bauen, muss am Ende aber konkreter als auf Englisch sein. Sonst hört man sich sofort belanglos an. Nicht bei Peter Fox. Eigentlich ist es verboten, über Berlin zu texten, wenn man nicht Harald Juhnke oder Marlene Dietrich heißt. Doch er hat mein Stadtgefühl als Zugezogener formuliert, ohne Berlin ständig beim Namen zu nennen. Zum Beispiel im Lied ,Schwarz zu blau', diese Beschreibung des grauen Morgens, wenn man aus dem Club rauskommt, sich ausgekotzt, aber gut dabei fühlt. Dass ich als Randerscheinung bei der Albumproduktion dabei sein durfte, dass wir uns an der Kaffeemaschine auf dem Flur gesehen haben, während er an seiner Musik feilte, das bedeutet mir nach wie vor viel."
Roger Willemsen
"Ende der 90er Jahre dachte ich, ach, Roger Willemsen, das ist ein Fernsehfritze von Premiere. Ich habe ihn als Person des öffentlichen Lebens nicht ernst genommen, ohne wirklich eine Sendung mit ihm gesehen zu haben. Dann habe ich vor zehn Jahren ein Buch von ihm gelesen, darin hat er seine Erlebnisse beschrieben, wie es war, Stars wie Madonna oder den Dalai Lama zu interviewen. Gar nicht die Gespräche selber haben mich fasziniert, sondern seine Beobachtungen drum herum. Da habe ich kapiert, von ihm kann man sich was abgucken. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages auch so werde, wie er war: unendlich neugierig und aufrichtig. Ich habe höchstens Schübe, in denen ich wissbegierig bin. Roger Willemsen hatte eine tief sitzende Neugier. Ich meine, der Mann hat sich ein Jahr lang in den Bundestag gesetzt, um zu verstehen, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Finde ich eine großartige Idee. Und er wirkte auf mich vorbehaltlos. Ein so kluger Mann ohne Vorurteile. Sein Tod dieses Jahr hat mich überrascht. Sehr schade, ich hätte ihn gern einmal getroffen. Kurz danach habe ich mir im Netz ein paar Videos mit ihm angesehen, unter anderem eins, als er an einer Art Spieleabend mit Charlotte Roche und dem Rapper Ferris MC teilgenommen hat. Man fragt sich automatisch: Warum macht er das? Will er jugendlich sein? Nein, glaube ich nicht. Er schien wirklich fasziniert, neue Menschen kennenzulernen."