Olympia bei ARD und ZDF: Zwischen Jubelberichten und ungehemmter Kritik
Trotz kritischer Reportagen und Talksendungen bleibt die Frage, wie sich ARD und ZDF bei Olympia in China verhalten sollen. Ein Kommentar.
Ein seltsames Gefühl beschlich den Zuschauer am Montagabend in der Primetime. Das Erste beschäftigte sich volle zwei Stunden mit der Frage, "Spiel mit dem Feuer - Wer braucht noch dieses Olympia?", zunächst in einer Reportage von Felix Neureuther, danach im Talk mit Frank Plasberg (Thema: "Winter ohne Schnee, Spiele ohne Freiheit - was soll Olympia in Peking?") - und das alles vier Tage, bevor ARD und ZDF ihr Programm über weite Strecken mit Olympia, mit Wettkämpfen und Medaillenkandidaten vollstopfen werden. Weitestgehend übrigens aus Deutschland zu-moderiert, nicht wie üblich vom Ort des Geschehens.
Der kritische Impetus in Reportage und Talk ehrt die Öffentlich-Rechtlichen, sicher, aber die Frage ist ja: Wie will zum Beispiel ein Felix Neureuther, der den olympischen Geist sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat (seine Mutter Rosi Mittermaier gewann bei den Winterspielen 1976 in Innsbruck zwei Goldmedaillen, Vater Christian nahm als Skifahrer drei Mal an Olympia teil, Felix selber war Olympia-Teilnehmer) olympische Begeisterung in die Wohnstuben bringen, wenn diese Winterspiele in Peking laut eigener Aussage "der Gipfel der Absurdität" sind? .
Die Vorbehalte sind ja bekannt und nicht nur medialer Natur. Eigentlich hat im Vorfeld alles gegen die chinesische Hauptstadt als Gastgeber der Olympischen Winterspiele gesprochen. Weder ist Peking eine Wintersportregion, noch werden in China die Menschenrechte geachtet. Dem IOC war das offenkundig egal. Auch Themen wie Nachhaltigkeit, Meinungsfreiheit oder Klimaschutz wurden beiseitegeschoben. Es geht offenkundig um Macht und Profit, statt um die olympische Idee und deren Werte.
„Das sind die ersten Olympischen Spiele, wo ich mich jetzt auch als Experte nicht unbedingt drauf freue.“
Doch immer mehr Athletinnen und Athleten melden sich zu Wort und fordern eine Reform der Olympischen Spiele. Ein Vorreiter dabei ist eben auch Olympia-TV-Experte Felix Neureuther, der seit Tagen im ARD-Programm zusammen mit Sven Hannawald für die ARD-Olympia-Berichte wirbt.
Für dieses begehrte TV-Recht haben ARD und ZDF viel viel Geld bezahlt, und nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Sportberichterstattung (siehe die ARD-Berichte ab Ende der 1990er Jahre zur Tour de France zu Zeiten der großen Dopingfälle) stellt sich de Frage, wie unbefangen, wie kritisch, wie frei gehen die Berichterstatter mit ihrer Ware um? Kein Verkäufer hat große Lust, ständig seine Ware madig zu machen.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.
Immerhin, ein Anfang ist gemacht, eine Spur ist gelegt. Themen wie Nachhaltigkeit, Meinungsfreiheit oder Klimaschutz in China fanden und finden sich in öffentlich-rechtlichen Magazinen. Aber wenn man sich bei "hart aber fair" am Montagabend anhört, wie sich Tamara Anthony, ARD-Korrespondentin in Peking, öfters mal von chinesischen Offiziellen - zwecks Hinterfragung eigener Berichte - zum Tee bitten lassen muss, hat man große Zweifel, ob das denn ab Freitag via Fernsehen ein reines Vergnügen wird. Für Berichterstatter und Zuschauer.
Man höre auch ZDF-China-Korrespondent Ulf Röller, der im DWDL-Interview sagt, dass er immer wieder zu "Gesprächen" geladen wird, um seine Berichterstattung zu rechtfertigen.
Werden die Kameras überall hinblicken (können)? Pandemiebedingt steuert das ZDF seine Berichterstattung - wie bei den zurückliegenden Olympischen Sommerspielen in Tokio - vom Sendezentrum auf dem Mainzer Lerchenberg aus. Dort befindet sich das NBC (National Broadcast Center), das gemeinsam von ZDF und ARD genutzt wird. Das erlaubt nur bedingt medialen Zugriff auf das, was in China auch abseits der Spiele vor sich geht.
Das wird ein Eiertanz, mindestens ein Spagat
Die Medienfreiheit in China nehme „in halsbrecherischem Tempo“ ab, warnen Journalisten zuletzt immer häufiger. Die Regierung wolle Berichte verhindern. Ausländische Korrespondenten in China beklagen „nie da gewesene Hürden“ bei ihrer Berichterstattung aus dem Land. In der jährlichen Umfrage des Auslandskorrespondentenclubs (FCCC) sagten 99 Prozent der Befragten, dass die Arbeitsbedingungen nach ihrer Einschätzung nicht internationalen Standards entsprächen.
Gearbeitet, beziehungsweise gesendet wird trotzdem. Olympia-Bilder gibt es bei Eurosport, ARD und ZDF zu sehen. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender wechseln sich während der zwei Wochen ab und zeigen jeweils rund 120 Stunden im Fernsehen. Beginn ist meistens zwischen zwei und drei Uhr, gesendet wird in der Regel bis 17 Uhr.
Zusammenfassungen gibt es am Abend nicht in eigenen Sendungen, sondern in den Nachrichtenformaten. Eurosport zeigt insgesamt 300 Stunden Live-Programm im Free-TV. Dazu sind beim Bezahlangebot Joyn Plus alle Wettbewerbe verfügbar. ARD und ZDF haben von der Eurosport-Mutter Discovery, die die Olympia-Übertragungsrechte besitzt, Sublizenzen erhalten.
Das wird ein medialer Eiertanz, mindestens ein Spagat, ähnlich wie er auch bei der Fußball-WM im Dezember in Katar zu erwarten ist.
Das weiß auch ZDF-Chefredakteur Peter Frey: "Als öffentlich-rechtlicher Sender muss das ZDF umfassend und kritisch berichten und die aktuellen Geschehnisse einordnen. Das ZDF wird in seiner Olympia-Berichterstattung entsprechend ausführlich auch die politische Situation in China beleuchten. Dazu gehören auch der Umgang mit der Minderheit der Uiguren, die Menschenrechtsbewegung in Hongkong und der Status Taiwans."
Wie sagte Sven Hannawald in einem Interview der „Mittelbayerischen Zeitung“: „Das sind die ersten Olympischen Spiele, wo ich mich jetzt auch als Experte nicht unbedingt drauf freue.“