ARD-Serie Weissensee: Zurück zur Stasi
Die ARD-Serie „Weissensee“ geht in die dritte Staffel. Ein Besuch am Set, bei den Schauspielern Florian Lukas und Lisa Wagner.
Teddy thront links neben dem Tisch auf einer Säule, von rechts ragt ein rotes Banner ins Bild und hinten blitzen die Blitze der Fotografen. „Fand ich sehr unangenehm“, sagt Florian Lukas. Später, als die Fotografen abgezogen sind und noch ein bisschen Zeit ist zum Plaudern. Über Gott und die Welt und „Weissensee“, dieses kleine Meisterwerk öffentlich-rechtlicher Fernsehkunst. „Weissensee“ geht gerade in die dritte Staffel, deswegen hat Schauspieler Florian Lukas nun doch einmal an den Ort kommen müssen, wo er nie war und nie hinwollte. Ins Allerheiligste der untergegangenen Staatssicherheit der untergegangenen DDR. In die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).
Einer der Drehorte: Das Offizierscasino der ehemaligen Stasi-Zentrale
Gedreht wird in Lichtenberg, Ruschestraße. Durch den Seiteneingang des einstigen MfS-Komplexes einmal quer über den riesigen Hof, zweiter Stock, rechts. Heute residiert hier das Stasi-Museum. Im alten Offizierscasino steht die Büste von Ernst Thälmann, den seine Bewunderer zu DDR-Zeiten Teddy nannten, und offiziell hatten ihn auch alle zu bewundern. Florian Lukas spricht im Rückblick von einer Atmosphäre der Angst und dass er sie beim Drehen als ebenso bedrückend empfunden habe wie damals, in den späten Achtzigern. Als die Stasi sich als Schild und Schwert der Partei verstand und das sehr wohl im militärischen Sinne definierte. „Im Klassenzimmer haben sie damals Mitschüler verhaftet, weil die sich illegale Flugblätter angeschaut hatten.“ Florian Lukas zieht den Kragen seines Blaumanns ein Stück höher. Manche Erinnerung lässt auch noch ein Vierteljahrhundert später frösteln.
„Weissensee“ symbolisiert nicht nur das im Fernsehen eher ungewöhnliche Phänomen, dass Quote und Qualität einander nicht als Feinde gegenüberstehen müssen. Sondern vor allem die Kunst, eine ursprünglich als Mini-Serie konzipierte Geschichte so schlüssig weiterzuerzählen, dass bereits über eine vierte Staffel geredet wird, obwohl die dritte noch gar nicht abgedreht ist. „Ich bin sehr dafür“, sagt Produzentin Regina Ziegler.
Die dritte Staffel soll im Herbst 2015 ausgestrahlt werden. Sie beginnt mit dem Mauerfall am 9. November 1989 und endet am 15. Januar 1990, dem Tag des Sturms auf die Stasi-Zentrale. Es ist eine kurze, aber heftige Zeit. Transportiert wird der Rausch der neu gewonnenen Freiheit. „Aber Freiheit bedeutet in diesem Fall auch Angst und Chaos“, sagt Regisseur Friedemann Fromm. Er schreibt seit der zweiten Staffel auch an den Drehbüchern mit.
Freiheit, Angst, Chaos. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die aus den ersten beiden Staffeln bekannten Figuren. Hier die renitente Künstlerin Dunja Hausmann (Katrin Sass), die sich mit der dunklen Macht eingelassen hat, um ihre Tochter aus dem Gefängnis zu retten. Dort die Stasi-Familie Kupfer mit dem altersmilden Major Hans (Uwe Kockisch) und seinem verschlagen-karrieristischen Sohn Falk (Jörg Hartmann). Zwischen beiden: Falks Bruder Martin, der Dunja Hausmanns in der zweiten Staffel verstorbene Tochter Julia geliebt und deshalb mit der Familie gebrochen hat.
Katja Wiese verschläft den Mauerfall - ausgerechnet als Journalistin
Florian Lukas spielt diesen Martin Kupfer. Am Set trägt er einen Blaumann als Zeichen dafür, dass die immer lauter gebrüllte Forderung „Stasi in die Produktion!“ noch ihrer Umsetzung harrt. Noch verschanzen sich die Genossen in ihrer kleinen Lichtenberger Welt. Schild und Schwert schützen nicht mehr die Partei, sondern nur noch sich selbst. Noch arbeitet das Volk in der Produktion. Und Katja Wiese ist gekommen, um es dabei zu beobachten.
Katja Wiese, gespielt von Lisa Wagner, dehnt den Spielraum der Handlung nach Westen aus. Immer mal wieder reist sie samt Kamerateam zu Reportagen nach Ost-Berlin und lernt dabei auch Martin Kupfer kennen. Es kommt dabei in den Morgenstunden des 10. November zu einer anrührenden Szene, als Martin erst über die nun offene Bornholmer Brücke von Prenzlauer Berg hinüber nach Wedding spaziert und später zur Wohnung von Katja, die früh am Morgen nicht so recht versteht, warum denn der nette Junge aus dem Osten plötzlich vor ihrer Tür steht. „Katja hat den Mauerfall verschlafen“, sagt Lisa Wagner. „Suboptimal für eine Journalistin.“
Lisa Wagner ist in Kaiserslautern aufgewachsen, tiefste Westpfalz. Vom Alltag der DDR hat sie bis zum Drehbeginn der dritten „Weissensee“-Staffel herzlich wenig gewusst – „das haben mir die lieben Kollegen alles beigebracht“. Und, wie war es nun? „Ich glaube im Alltag gar nicht so furchtbar viel anders als bei uns. Wissen Sie, ich hatte sehr strenge Eltern und durfte auch viele Sachen nicht, die man in der DDR nicht durfte. Zum Beispiel fernsehen.“
Ihr Filmpartner Florian Lukas war beim Mauerfall 16. Er hat den 9. November 1989 damals als gar nicht so besonders empfunden. „Das war einer von vielen spannenden Tagen. Ich war auch keiner von denen, die gleich am ersten Tag rüber sind, sich das Begrüßungsgeld abgeholt und die ,Bild‘-Zeitung gekauft haben – ähm, Entschuldigung, sind Sie von der ,Bild‘-Zeitung?“ – „Nein.“ – „Aha. Also, ich bin am Tag danach zur Schule gegangen. Das war schon spannend, an diesem Tag die Lehrer zu beobachten.“
Die einzige Qualifikation der neuen Lehrer: Sie waren aus dem Westen
Jene Genossen Pädagogen, die am Tag zuvor noch vom Kampf des Sozialismus gegen den Klassenfeind schwadroniert hatten und ihren Schülern über Nacht eine diametral gewendete Wirklichkeit erklären mussten. Lukas hat 1992 an der Schliemann-Schule in Prenzlauer Berg Abitur gemacht, bis zum Schluss begleitet von ein paar dieser einst linientreuen Lehrer. Er hat sie nicht mehr als nötig gequält, „denn auf einen, der am Boden liegt, weiter einzutreten, das ist ja nun auch keine große Herausforderung“.
Es habe ja ohnehin nicht nur die Hundertfünfzigprozentigen gegeben. Doch, doch, diese Wahrheit gehöre auch auf den Tisch, sagt Florian Lukas und hebt die Stimme um ein paar Oktaven. „Da kamen zu den Abiturprüfungen lauter neue Lehrer an, deren einzige Qualifikation es war, dass sie aus dem Westen waren.“ Und: „Unser alter Musiklehrer hat uns damals die Prüfungsaufgaben verraten und auch die Lösungen. Der wollte einfach nicht, dass da einer einfach aus dem Westen kommt und seine Schüler durchfallen lässt, obwohl er vielleicht selbst inkompetent ist.“
Auch solche Geschichten wollen gehört werden, gern in einer vierten Staffel von „Weissensee“, denn der Alltag in der DDR hatte zwischen Schwarz und Weiß auch allerlei Grautöne im Angebot. Und vom Tag der Stasi-Stürmung bis zum vielleicht ersten Ministerpräsidenten der SED-Nachfolgepartei sind noch ein paar Geschichten zu erzählen.
Sven Goldmann