Gute Serie, schlechte Serie: Der Deutschland-Komplex
Serien hierzulande sind besser als ihr Ruf. Und demnächst sollen mehr Serien mit anderer Ausrichtung produzieren werden. Eine öffentlich-rechtliche Entgegnung auf eine oft gehörte Kritik.
Warum gibt es kein deutsches „Breaking Bad“? Warum kommt nicht mehr aus den Redaktionen der auf Vorschuss finanzierten öffentlich-rechtlichen Sender, die doch, anders als das Privatfernsehen, mehr nach Qualität denn nach Quote schauen müssten? Warum machen uns die Amerikaner, Briten und auch die Skandinavier mit „Mad Man“, „Breaking Bad“, „Borgen“ oder „Sherlock“ seit gut anderthalb Jahrzehnten vor, wie gutes Serienfernsehen aussieht? Das fragte im Tagesspiegel am Sonntag Peter Henning vom Verband Deutscher Drehbuchautoren und forderte mehr Mut bei deutschen Programmmachern, andere Programmschemata, weniger Süßstofffernsehen und Schere im Kopf. Damit man radikales und polarisierendes Fernsehen hierzulande nicht mehr mit der Lupe suchen müsste. Darauf nun eine öffentlich-rechtliche Entgegnung.
Zum einen: Das muss man uns Deutschen lassen: Im Jammern und Klagen macht uns keiner etwas vor. Früher war alles besser, woanders ist alles schöner, wären die Lehrer und die Eltern nicht so unfähig gewesen, wäre man ein genialer Künstler geworden. Warum haben wir nicht die Leichtigkeit des französischen Films, die Direktheit der britischen Sozialkomödie, den Humor eines Almodovars, die Frechheit eines Lars von Triers? Und nun wird ständig lamentiert, dass bei uns Produktionen im Stile der US-amerikanischen High-Quality-Serien fehlen. Und wer ist schuld daran? Die Redakteure der Sendeanstalten. Die ständig sich wiederholende Bezichtigung: Wie schaffen es Heerscharen von inkompetenten und feigen Redakteuren bloß, ganze Generationen von Kreativen an der Entfaltung ihrer Genialität zu hindern? Womit haben wir Deutschen nur dieses miserable deutsche Fernsehen verdient?
Mich irritiert in Deutschland seit langem ein ausgeprägter Selbsthass von Kritikern und auch Kreativen gegenüber unseren eigenen Hervorbringungen. Immer mit dem Unterton: Wir könnten es so viel besser, wenn man uns ließe. Offenbar geißelt man gern einen Teil eigener, als unvollkommen empfundener Identität. Merkwürdig nur, dass zum Beispiel ausländische Besucher deutscher Filmfestivals eine große Identität zwischen unseren Filmen und unserer Mentalität entdecken.
Kein Druck der Quotenknute
Deutschland ist ein reiches Land mit einer weltweit einzigartig vielfältigen Medienlandschaft. Kaum in einem anderen Land kann man wöchentlich so qualitativ herausragende Fernsehfilme sehen. Die Mittwochs-Filme der ARD – oft mit sperrigen und nicht leichten Themen – werden nicht unter dem Druck der Quotenknute produziert, und sie zeigen deutlich, wie sich qualitativer Anspruch und Publikumszuspruch vereinbaren lassen. Vergangene Woche erst wieder mit dem Film über ADS „Keine Zeit für Träume“, nächste Woche mit der „Fahnderin“, einem spannenden und nahezu tagesaktuellem Stück Fiktion über Steuerflucht.
Das Klagen über die fehlende deutsche Antwort auf „Homeland“, "House of Cards“ und „Breaking Bad“ und die nahezu manische Glorifizierung dieser Serien macht offenbar mehr Freude als darüber zu schreiben, dass die künstlerische Qualität, die kreative Kraft und viele Produktionsmittel in Deutschland seit Jahrzehnten in viele herausragenden Fernsehfilme bei ARD und ZDF gehen, zum Beispiel in die äußerst erfolgreiche „Tatort“-Reihe, die gerade jüngere Zuschauer im Übrigen wie eine Serie rezipieren und die eindrücklich dokumentiert, wie man im Krimi-Genre gesellschaftlich relevante Zeitstücke erzählen kann.
In den USA ging demgegenüber traditionell das künstlerische Potenzial in die Serie und nicht in das TV-Movie. Den künstlerisch bedeutenden Fernsehfilm oder aufwendige Mehrteiler wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder „Der Turm“ oder die Fernsehstücke von Heinrich Breloer, kennt man dort überhaupt nicht. Amerikanische Kulturschaffende beneiden uns sehr um diesen Reichtum und die Vielfalt des gebührenfinanzierten Fernsehens. Es grenzt doch an Haarspalterei, wenn man einen kategorialen Unterschied zwischen einem opulenten Mehrteiler bei uns und einer internationalen Mini-Serie konstruiert.
Die Förderung des filmischen Nachwuchses durch die Redaktionen von ARD und ZDF ist großartig und einmalig. Wer sich einmal Fernsehen in den USA, Spanien, Italien oder Frankreich angeschaut hat, wird die Qualität der Programme von ARD und ZDF zu schätzen wissen.
Zum anderen: Es gibt und gab in Deutschland ja auch nach den „Unverbesserlichen“ oder „Familie Hesselbach“ eine High-Quality-Serien-Tradition mit „Rote Erde“ oder „Heimat“ und in letzter Zeit mit „Im Angesichts des Verbrechens“ und „Weissensee“ oder auch der humorvollen Serie „Mord mit Aussicht“. Ich denke selbstkritisch, dass sich die Serie wahrlich in den letzten Jahren zu sehr nur der leichten Unterhaltung verschrieben hat und es einen Nachholbedarf gibt, gerade wenn man die Errungenschaften der „kleinen“ Fernsehländer Dänemark und Österreich betrachtet.
Neue Serien in Entwicklung
Ich bin aber guter Dinge, dass die ARD hier auf die Wünsche avancierter Zuschauer reagieren und in nächster Zeit Serien mit einer anderen Ausrichtung produzieren wird. In Entwicklung sind sie schon. Wir sollten nur nicht den Serien anderer Nationen nacheifern oder sie kopieren, sondern das Selbstbewusstsein haben, unseren eigenen filmischen Weg zu gehen. Ich bin sehr gespannt, ob und wie sich dann die den Status quo beklagenden Autoren als große Fernseh-Roman-Erzähler erweisen werden. Man wird sehen!
Der Autor ist Leiter des Programmbereiches Fernsehfilm, Kino und Serie beim WDR, „Tatort-Koordinator“ in der ARD (das heißt, er bestimmt, wann welcher „Tatort“ läuft oder welche Wiederholungen gezeigt werden) sowie Professor für „Kreatives Produzieren“ an der Kunsthochschule für Medien in Köln.
Gebhard Henke
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