Zu PAPIER gebracht: Youtube wird der nächste „Musikantenstadl“
Die Plattform hat den Status von klassischem Fernsehen erreicht. Und ist das perfekte Umfeld von Werbung
Die Gottschalks und Kerners unserer Zeit heißen Sami Slimani und Dagi Bee. Auf der Videoplattform Youtube haben junge Wilde wie sie ihre Selbstvermarktung perfektioniert – dadurch ist die Plattform groß geworden. Hier hat der Zuschauer das Gefühl, aktiv zu sein: Er kann kommentieren, liken und so immer ganz nah dran sein.
Längst hat Youtube den Status von klassischem Fernsehen erreicht. Doch statt „Tatort“ und Talkshow laufen hier Mitschnitte aus Computerspielen und sogenannte Shopping-Hauls, bei der junge Mädchen ihre Beute aus dem Einkaufscenter präsentieren. Die Videos vermitteln durch ihre vordergründige Einfachheit das Gefühl, selbst einer von den Großen werden zu können. Der amerikanische Traum vom kleinen Video-Blog hin zum millionenfachen Klick.
Youtube ist längst kommerzialisiert
Spätestens seitdem Youtube zu Google gehört, ist die Plattform kommerzialisiert. Erst kam die Gema – dann Mediakraft. Die Vermarktungsagentur, bei der zahlreiche Youtuber unter Vertrag sind, fungiert als sogenanntes Multichannel Network – und verdient inzwischen Unsummen mit der Vermarktung der neuen Stars. Die Videos, die improvisiert und natürlich wirken sollen, sind durchgeskripted wie das Nachmittagsprogramm bei RTL und Co.
Ein perfektes Umfeld also für Werbeeinblendungen, mit denen Youtube ähnlich wie das klassische Fernsehen Geld verdient. Da ist die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) nur der nächste logische Schritt für Youtube, um seine Marktmacht weiter auszubauen. Bereits seit einigen Jahren misst die AGF die Abrufzahlen auf diversen deutsche Mediatheken. Zumindest der, die ohnehin in der AGF organisiert sind. Mit der Einbeziehung von Youtube könnte die AGF-Streaming-Messung endlich an Relevanz gewinnen und ein genaueres Bild über die aktuelle Mediennutzung abliefern. Denn die wirklich harte Währung in einer Gesellschaft, die mit einem Informationsüberangebot zu kämpfen hat, ist Aufmerksamkeit. Danach suchen die Werbetreibenden. Bei Youtube ist sie vorhanden: Laut Angaben des Netzwerks werden täglich Videos mit einer Gesamtdauer von mehreren hundert Millionen Stunden wiedergegeben und Milliarden Aufrufe generiert.
Doch diese Erfolgsgeschichte hat ein Problem: Je professioneller das Netzwerk wird, desto mehr sinkt der Reiz, sich hier auszutoben. Die Kreativen sind deshalb längst weitergezogen – zu Streaming-Diensten wie Vine, Younow oder Meerkat. Sie werden Youtube nicht ablösen. Doch kommende Generationen werden ähnlich fasziniert auf das Portal und sein Archiv schauen wie die jetzigen Teens auf den „Musikantenstadl“.
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