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Mazen Darwish (43) ist Präsident des syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit.
©  Adnan Al Mekdad

Kriegsverbrechen: "Wir brauchen Aufarbeitung"

Der Menschenrechtler Mazen Darwish will syrische Kriegsverbrecher auch in Deutschland vor Gericht bringen.

Herr Darwish, in Syrien saßen Sie wegen Ihres Engagements für Presse- und Meinungsfreiheit im Gefängnis. Im Exil in Deutschland engagiert sich Ihr Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit dafür, Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Warum?

Ich habe Angst, dass die USA und die Europäische Gemeinschaft dabei sind, die gleichen Fehler wie in Irak zu machen: Der sogenannte Islamische Staat und die Al-Nusra-Front sollen bekämpft und ausgeschaltet werden – das totalitäre syrische Regime jedoch wird weiterexistieren. Um dies zu verhindern, brauchen wir eine Transitional Justice, also juristische Mechanismen für den Übergang und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Ansonsten werden wir nur eine neue brutale, extremistische Bewegung heranziehen. Außerdem müssen die gebildeten, akademischen Eliten, die aus Syrien geflüchtet sind, eines Tages zurückkehren, um beim Wiederaufbau zu helfen. Solange die Mörder und Kriegsverbrecher nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wird kein einziger Flüchtling zurückkehren.

Sind Ihre Bemühungen erfolgreich? Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) kann in Ihrer Heimat doch nicht tätig werden, weil Syrien kein Mitglied ist.

Dafür wurde im Dezember 2016 die neue UN-Behörde IIIM (International Impartial and Independant Mechanism) geschaffen, der seit Kurzem eine prominente französische Richterin vorsitzt. Wir arbeiten mit der Behörde zusammen, ebenso wie mit der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für Syrien, die uns im Juli hier in Berlin besucht hat. Die Organisationen bereiten zukünftige Anklagen vor. Wir dokumentieren und hören Opfer und Zeugen an.

Gibt es denn bereits Anklagen?

Uns liegen neun Anklagen gegen Kriegsverbrecher in Syrien vor, die in verschiedenen Ländern erhoben wurden. In einigen Fällen handelt es sich bei den syrischen Angeklagten um Doppelstaatler, in anderen Fällen wurde das Weltrechtsprinzip angewandt. Nach dem Weltrechtsprinzip ist das nationale Strafrecht auch auf Sachverhalte anwendbar, die keinen spezifischen Bezug zum Inland haben und auch wenn weder Täter noch Opfer die Staatsangehörigkeit des betroffenen Staates besitzen. Erforderlich ist, dass sich die Straftat gegen international geschützte Rechtsgüter richtet.

Ist dies auch in Deutschland möglich?

Ja, und wir sind bereits tätig geworden. Wir haben in diesem Jahr die erste Anklage beim Generalbundesanwalt gegen sechs hochrangige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes eingereicht. Die deutsche Justiz hat die Arbeit aufgenommen. Zwei weitere Anklagen wollen wir im September einreichen. Die Aufnahme von Verfahren ist sehr wichtig, um der totalen Straflosigkeit in Syrien etwas entgegenzusetzen.

Sie haben Ihre Organisation 2004 gegründet – kurz nach dem Ende des Damaszener Frühlings, einer kurzen liberaleren Übergangsphase zu Beginn der Herrschaft von Bashar al Assad.

Damals wurde der Keim gelegt für das zivilgesellschaftliche Engagement. Wir waren natürlich sehr vorsichtig, da nach dem Ende des kurzen Frühlings viele Politiker und Aktivisten verhaftet wurden. Allein der Gebrauch des Begriffs „Menschenrechte“ konnte dich bereits ins Gefängnis bringen. Dennoch hatten wir beschlossen, die Repression der Zivilgesellschaft nicht mehr hinzunehmen. So gründeten wir das Komitee zur Wiederbelebung der Zivilgesellschaft, das Syrische Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit und das syrische Netzwerk für Menschenrechte. Und wir trafen uns nicht mehr geheim, sondern machten unsere Aktivitäten öffentlich.

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Asma al-Assad verteidigt die brutale Politik ihres Mannes, der gegen das eigene Volk auch chemische Waffen einsetzt.
Asma al-Assad verteidigt die brutale Politik ihres Mannes, der gegen das eigene Volk auch chemische Waffen einsetzt.
© pa/Sana / Handout

Wieso haben Sie sich speziell für die Meinungsfreiheit eingesetzt angesichts so vieler Menschenrechtsverletzungen?

Besondere Sorge bereitete uns die Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten sowie die totale staatliche Überwachung der Medien. Sämtliche Medien befinden sich ja im Besitz der Regierung und werden von ihr gesteuert. Sie hat außerdem ein Monopol im Vertrieb und bei der Werbung.

Für Ihr öffentliches Engagement haben Sie aber einen hohen Preis bezahlt.

Das Zentrum nahm seine Arbeit im April 2004 auf, im Jahr 2006 wurde es geschlossen und die Website des Zentrums gesperrt. Mir wurde mein Reisepass abgenommen und ich durfte auch nicht mehr ausreisen. Im Jahr 2008 wurde ich verhaftet und daraufhin dem Militärgericht vorgeführt. Im Jahr 2009 wurde ein neues Büro des Zentrums geschlossen und dessen gesamte Ausstattung in Beschlag genommen. Im Jahr 2011wurde ich zweimal festgenommen. Und von 2012 bis 2015 saß ich erneut im Gefängnis.

Der Westen hat lange geglaubt, der in Großbritannien ausgebildete Bashar al Assad werde sein Land modernisieren. Fühlten Sie sich in Ihrem Kampf allein gelassen?

An dieser Stelle möchte ich eine einfache Tatsache klarstellen: Das Regime und die Europäer haben ein Lügenspiel miteinander gespielt, das eigentlich alle durchschaut haben. Die Europäer wissen, wie ein Polizeistaat aufgebaut ist. Und sie wissen, dass punktuelle Freiheiten ein dekoratives Element sind, das immer wieder eingesetzt wird, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. So gab es während der Verhandlungen des EU-Assoziationsabkommen kurzzeitig mehr Freiheiten. Das ändert aber nichts daran – und das wissen auch alle Beteiligten – dass dies ein dekoratives Element ist, das den repressiven und diktatorischen Charakter des Regimes nicht wirklich verschleiern kann. Als dann das Regime versuchte, sich selbst als Zivilgesellschaft zu vermarkten, hätte das im Westen auch jeder durchschauen können: Wenn die Ehefrau des Präsidenten eine wohltätige Dachorganisation gründet, hat das mit unabhängiger Zivilgesellschaft nichts zu tun. In der Branche nennt man das „Regierung-Nichtregierungsorganisationen“.

Mittlerweile leben Sie in Deutschland und erleben, wie Presse- und Medienfreiheit hier gelebt wird und welche menschenrechtlichen Debatten hier geführt werden. Was empfinden Sie?

In der arabischen Welt und in Syrien kämpfen wir noch immer um die Menschenrechte der ersten Generation – also vor allem die Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Wir versuchen, die Anwendung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche und politische Rechte zu erreichen. In Europa hat man mittlerweile angefangen, die Menschenrechte späterer Generationen durchzusetzen. Sie umfassen auch die LGBT-Rechte (Anm.: Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) und die Rechte anderer schutzbedürftiger Gruppen. In der arabischen Welt kämpfen wir um die elementarsten Rechte: das Recht auf Leben und auf freie Meinungsäußerung, das Recht zu wählen oder das Recht, politische Parteien zu gründen. In der arabischen Welt stecken wir leider noch beim ersten Halt unserer Reise zu den Menschenrechten fest.

Mazen Darwish (43) Der Jurist lebt in Berlin und kämpft für die Strafverfolgung von syrischen Kriegsverbrechern. Die Fragen stellte Adnan Al Mekdad (52). Der Syrer kam 2014 mit Reporter ohne Grenzen nach Deutschland. Heute arbeitet er für KulturTür, eine mehrsprachige Zeitschrift der DRK.

Aus dem Arabischen von Melanie Rebasso. Dieser Text ist in der Beilage „Wir wählen die Freiheit“ mit Texten von Exiljournalisten am 8. September 2017 erschienen. Die Beilage entstand im Rahmen des Projekts #jetztschreibenwir des Tagesspiegels, in Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Robert Bosch Stiftung. 

Adnan Al Mekdad

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